Bartoszewski - © Foto: Mariusz Kubik

Wladyslaw Bartoszewski: Europäer mit langem Atem

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Wolfgang Machreich über den polnischen Historiker und Politiker Wladyslaw Bartoszewski.

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Wolfgang Machreich über den polnischen Historiker und Politiker Wladyslaw Bartoszewski.

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Wer bei einem Interview mit Schnelldenker und Schnellsprecher Wladyslaw Bartoszewski darauf wartet, bis diesem die Luft ausgeht, um eine Frage stellen zu können, wird mitunter eine herbe Enttäuschung erleben. Der polnische Historiker, Diplomat und ehemalige Außenminister, der dieser Tage seinen 80 Geburtstag feiert, hat einen langen Atem. Den hat der Warschauer in seinem Leben, das geprägt war durch die Konfrontation mit zwei Diktaturen, auch gebraucht.

18-jährig kam er im Herbst 1940 als Häftling mit der Nummer 4427 in das Konzentrationslager Auschwitz. Nach schwerer Krankheit sieben Monate später entlassen, schloss er sich dem polnischen Widerstand gegen die deutsche Besatzung an, sammelte systematisch Informationen über die Nazi-Verbrechen an Juden und Polen und übermittelte die Berichte der Exilregierung in London. Als Mitglied einer katholischen Widerstandsgruppe organisierte er Hilfsaktionen für Juden und kämpfte 1944, mittlerweile Offizier der polnischen Heimatarmee, im Warschauer Aufstand mit. Für dieses Engagement wurde er mit der höchsten Auszeichnung Israels, der Medaille der "Gerechten unter den Völkern", geehrt.

Der einen Diktatur knapp entronnen, bedeutete für Bartoszewski nach 1945 die Verbindung mit der bürgerlichen polnischen Exilregierung neue Verfolgung - diesmal durch die polnischen Stalinisten. Aber auch jahrelange Haft, ständige Verhöre und Schikanen konnten den mit den katholischen Intellektuellen der Gruppe "Znak" (Zeichen) verbundenen Bartoszewski nicht brechen.

Ein Gejagter, der nicht zum Jäger geworden sei - so wurde er 1986 charakterisiert, als er den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhielt. Aber erst das Wendejahr 1989 machte möglich, was für Bartoszewski zuvor ein utopischer Traum war: Polen konnte die Verbindung zum Westen Europas wieder aufnehmen. Von Juni 1990 bis März 1995 war er Botschafter seines Landes in Österreich. Nach seiner Ernennung zum Außenminister durch Präsident Lech Walesa bemühte sich Bartoszewski um die deutsch-polnische Verständigung, zugleich mahnte er seine westlichen Kollegen, das Prinzip der Solidarität als Grundlage für die EU-Erweiterung einzuhalten. Denn, so Bartoszewski, es gäbe nicht nur eine europäische Gemeinschaft, sondern auch eine europäische Gemeinsamkeit.

Von dieser Gemeinsamkeit wird hoffentlich wieder eines der nächsten Gespräche mit dem Jubilar handeln. Gern wird dabei der Interviewer die Luft anhalten, und auf den langen Atem von Wladyslaw Bartoszewski vertrauen. Ad multos annos!

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