Ein "Europäisches Unikat" ist der Religionsunterricht in Österreich - besonders in seiner konfessionellen Vielfalt. So besuchen Kinder an öffentlichen Volksschulen in Wien entweder den römisch-katholischen oder den altkatholischen, den evangelischen oder den serbisch-orthodoxen, den rumänisch-orthodoxen oder den syrisch-orthodoxen Religionsunterricht, ohne hier die christliche Vielfalt vollständig aufzuzählen. Aber es findet auch ein israelitischer Religionsunterricht statt und ein buddhistischer. Und während etwa in Deutschland noch um die Einführung eines islamischen Religionsunterricht gerungen wird, ist dieser in Österreich - dank gesetzlichem Erbe der Monarchie - bereits seit vielen Jahren fester Bestandteil der Schullandschaft.
Gleichzeitig besitzt der konfessionelle Religionsunterricht so viel Akzeptanz, dass in Wien sogar über40 Prozent der Kinder ohne religiöses Bekenntnis diesen, allerdings zuallererst in seiner römisch-katholischen Variante besuchen.
Und trotzdem kommen nur mehr drei von vier Kindern an öffentlichen Volksschulen in Wien in den Genuss eines Religionsunterrichts. Wo dieser nämlich am Nachmittag oder in Sammelklassen an anderen Schulstandorten stattfinden muss, steigen die Abmelderaten auf über 50 Prozent. Volksschulkinder sind nun einmal eingeschränkt mobil. Da die Kinder nur den Religionsunterricht ihrer Konfession besuchen dürfen, können sie im Falle der Abmeldung an keinem anderen Religionsunterricht teilnehmen. So ist der Religionsunterricht an zahlreichen öffentlichen Volksschulen zu einem Minderheitenprogramm geworden, auch wenn durchschnittlich mehr als 80 Prozent der Kinder einer gesetzlich anerkannten Konfession angehören. Und die Lehrerinnen im Gesamtunterricht fühlen sich in der Regel formal, sachlich und persönlich nicht kompetent, um die religiöse Vielfalt zu einer Lernchance für alle machen zu können.
Wo aber gibt es ein Forum für ein Gespräch der beteiligten Akteure?
Martin Jäggle ist Professor an der Religionspädagogischen Akademie Wien und Autor von Religionsbüchern. Zusätzlich engagiert er sich in der entwicklungspolitischen Bildungsarbeit .
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