Europas Niederlagen, neu besichtigt

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Jetzt also ist es für Europa Schlag auf Schlag gegangen:

Ende März haben die Briten der EU ihren Austrittsbrief geschrieben. Und schon an diesem Samstag müssen die verbleibenden 27 Staatschefs in Brüssel über die Bedingungen eines Abschieds beraten. Ein Novum in der Geschichte der europäischen Einigung -und eine Mammutaufgabe: Wie hart, wie verständnisvoll soll/muss der "Brexit" sein?

Am 16. April haben die Türken die Union wissen lassen, dass ihnen Tayyip Erdogans machtvolle Stabilität vordringlicher ist als eine unglaubwürdige europäische Perspektive. Dies ungeachtet dessen, was da an Bedrohlichem kommen könnte.

Und am vergangenen Sonntag haben die Franzosen die Symbolfigur aller Anti-Europäer, Marine Le Pen, in die Stichwahl um die Nachfolge im Élysée-Palast geschickt.

"Gute Nacht, Europa", hätten wir wohl noch vor gar nicht langer Zeit angesichts solcher Perspektiven gedacht.

Sanierung der EU-Systemschwächen

Aber ein zweiter, dritter Blick auf das Geschehen könnte uns auch gelassener stimmen. Denn:

Dass Großbritannien mit seiner Geschichte und Weltvernetzung immer mehr ist als "nur" EU-Mitglied, war offenkundig. Und dass diese Ambivalenz eines Tages die Politik Londons verlocken könnte, das britisch Globale gegen das europäisch Gemeinsame auszuspielen, war als Risiko latent. Unglaublich dennoch, wie eindeutig die britische Jugend zu EU-Europa gestanden ist.

Dass die Türken in ihrer heiklen strategischen Lage, unter massivem inneren Druck und sehr fragwürdigen Umständen nur mit knappster Mehrheit für ihren "starken Mann" votiert haben, ist kein Beleg für Unreife. Das Ergebnis stärkt Erdo gan, aber auch die Opposition -und es belebt die Suche nach Alternativen zum gescheiterten Beitritts-traum.

Dass ein Fünftel der Franzosen ihre Stimme der "Nationalen Front" gegeben hat, sollte gerade uns Österreicher nicht überraschen. Wer die sozialen Brüche und jüngsten Terror-Erfahrungen der "Grande Nation" kennt, der kann durchaus bewundern, wie diese ihr überlebtes Parteiensystem verabschiedet hat, ohne dabei die Außengrenzen des demokratischen Spektrums zu sprengen.

Natürlich wird sich EU-Europa jetzt rasch um die Sanierung seiner Systemschwächen kümmern müssen. Leicht wird das sicher nicht. Denn es geht letztlich um die Grundprobleme des Einigungsprozesses: Wie eine zeitgemäße Europa-Vision formulieren, die das Erreichte bewahrt -und den Stürmen des Kommenden, Unerwarteten trotzen kann? Und: Wie den zentralen Widerspruch auflösen -zwischen dem Erhalt selbstbewusster Nationen und dem Weiterbau am Gemeinsamen? Beides unter einen Hut zu bringen, ist bisher nicht wirklich gelungen. Aber beides ist unverzichtbar.

Gar nicht so ausgeschlossen, dass die Weichenstellungen dieser Wochen mehr Realitätssinn und Bodennähe im Umgang mit dem "europäischen Traum" erleichtern.

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