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Wer will eigentlich ein starkes Europa? Gedanken im Vorfeld des EU-Gipfels am kommenden Wochenende.

Wieder einmal steht ein "entscheidendes" Gipfeltreffen der EU-Staats- und Regierungschefs bevor - mit allem, was dazugehört: Pokern bis zuletzt; zur Schau gestellte Unnachgiebigkeit für das je heimische Publikum, natürlich in wohltönende "europäische" Worte gekleidet; vermutlich durchverhandelte Nächte etc. Das Ritual ist bekannt - und viele haben sich wohl schon längst gelangweilt abgewendet.

Dennoch ist das Treffen am kommenden Wochenende in Brüssel etwas Besonderes, steht doch erstmals der Versuch, Europa eine Verfassung zu geben, auf der Agenda. Ein wahrhaft kühnes, visionäres Unterfangen - doch mehr und mehr griff zuletzt Pessismismus um sich, ein Scheitern gilt als durchaus möglich. Die Fragen der künftigen Machtverteilung gehen dermaßen ans Eingemachte der alten und neuen Mitgliedsländer, dass eine Einigung äußerst ungewiss scheint.

Wie immer die Sache ausgeht, auch Österreich wird, gemeinsam mit anderen "Kleinen", den falschen Kampf gekämpft haben - wenn auch, wie es heute aussieht, mit Erfolg: Die Frage des eigenen stimmberechtigten Kommissars wurde zur Glaubensfrage stilisiert. In populistischer Manier wurde dabei dem weitverbreiteten Missverständnis Rechnung getragen und gleichzeitig weiter Vorschub geleistet, der Kommissar sei so etwas wie "unser Mann in Brüssel". In Wahrheit ist die Kommission die einzige wirklich europäische Institution der Union, bei der die Nationalität der Mitglieder sekundär sein sollte. Wer die EU tatsächlich stärken möchte, wer will, dass sie mehr ist als die Summe von 15, bald 25 nationalen Interessen, der muss die Kommission forcieren. Das aber heißt auch, die Zahl ihrer Mitglieder zu reduzieren - wobei freilich gewährleistet sein müsste, dass nicht nur die "Großen" die Kommissare stellen.

Tatsächlich aber will natürlich niemand eine starke Kommission, entgegen allen Sonntagsreden - auch Österreich nicht, sonst hätte die Regierung ihre Energien nicht auf die Kommissarsfrage, sondern auf die des gewählten EU-Präsidenten gerichtet. Die geplante Installierung dieser Funktion bedeutet nämlich eine Stärkung der Nationalstaaten, dahinter steht die Idee, die Macht der ungeliebten Kommission und ihres Präsidenten durch ein nationalstaatlich lenkbares Gegengewicht zu relativieren. In dieser Frage wäre Widerstand angebracht, weil es um die Verhinderung einer Renationalisierung der Union geht. Doch hier hat Österreich, wiewohl man Protest angemeldet hat, schon längst zu Gunsten des Kommissars klein beigegeben.

Freilich, nicht nur diese Dinge stimmen nachdenklich. Auch der - machtpolitisch nicht sonderlich bedeutsame - Streit über die Präambel zu einer EU-Verfassung wirft kein gutes Licht auf die europäische Befindlichkeit (siehe dazu auch das Interview mit Tadeusz Mazowiecki, S. 6). Mag es bei nationalen Verfassungen gute Gründe geben, auf eine Präambel zu verzichten, so sieht im Falle Europas die Sache doch anders aus: der europäische Einigungsprozess ist ein Projekt von historischer Dimension ohne Beispiel. Da dürfte es sinnvoll sein, sich über gemeinsame Grundlagen zu verständigen, diese zu benennen und zu explizieren. Christentum, Judentum, Islam, antikes Denken und Rechtsverständnis, Aufklärung gehören - in unterschiedlicher Weise - hier zweifelsfrei dazu. Pointiert gesagt: Wenn man sich nicht auf einen Text einigen kann, der die Knotenpunkte Athen, Rom, Jerusalem zum Leuchten bringt, steht es nicht gut um dieses Europa.

Man möchte immer wieder zweifeln und verzweifeln am Fortgang der Integration. Ein kurzer Blick auf die Alternativen spricht freilich am stärksten gegen allzu große Skepsis. Wer "diese" EU nicht will, muss sagen, zu welchem Europa er zurück will: zu jenem nach 1945, nach 1918... oder auch zu jenen glücklichen Stunden von 1989 ff.? Allein, geschichtliche Momentaufnahmen lassen sich nicht festschreiben. Es hieße ahistorisch zu denken, meinte man, eine bestimmte geschichtliche Konstellation, und mag sie noch so wünschenswert erscheinen, könnte Bestand haben. Der Fluss der Geschichte kennt keinen Stillstand; ihn zu steuern, braucht es eben auch Treffen wie jenes am kommenden Wochenende.

rudolf.mitloehner@furche.at

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