Eurozentrische Befangenheit

Werbung
Werbung
Werbung

Benedikt XVI. ist nicht unsensibel gegenüber der Ungerechtigkeit. Aber er verknüpft das Gottesthema mit dem Kampf um Gerechtigkeit nicht.

Benedikt von Nursia, der Patron Europas, ist der Namensgeber dieses Pontifikats - und dieser Name war sein Programm. Die brennende Sorge Benedikt XVI galt dem säkularisierten und glaubensmüden Europa - der Sorge um eine Welt, die sich aus ihrem Gottesbezug löst, und in der sich deshalb der "ethische Horizont verdunkelt, die ihre "Wertebasis verliert“. Doch offensichtlich ist ihm auch als Papst die Situation anderer Kontinente fremd geblieben, die nicht durch die europäische Aufklärung geprägt sind und in der der Atheismus bis heute eine marginale Erscheinung geblieben ist.

Benedikt vermochte es nicht, die drängende Herausforderung zu erkennen, in Lateinamerika um eine neue Form der Ökumene mit den stürmisch wachsenden Pfingstkirchen zu ringen. Diese lassen sich längst nicht mehr einfach als "Sekten“ abtun, sie konfrontieren die katholische Kirche mit ihren Defiziten und fordern den Dialog auf Augenhöhe. Dieser Papst vermochte es nicht, sich der Problematik von Gesellschaften zu stellen, deren Problem nicht im Atheismus besteht, sondern in denen sich die Gottesfrage auf ganz andere Weise aufdrängt. Was dort gefordert ist, sind Kriterien der Unterscheidung zwischen dem "Gott des Lebens“ und den "Götzen des Todes“; Kriterien der Unterscheidung zwischen einem befreienden Glauben, einer Kirche mit jesuanischem Antlitz, einerseits - und entfremdenden und infantilisierenden Formen einer wildwuchernden Spiritualität andererseits.

Ein schwieriges Verhältnis

Die tragische Befangenheit Benedikts XVI. im Eurozentrismus hat ihren verdichteten und zugespitzten Ausdruck in seiner Ansprache zur Eröffnung der V. Lateinamerikanischen Bischofskonferenz in Brasilien, Aparecida, am 13. Mai 2007 gefunden. Es ist eigentlich unfasslich, wie ein Intellektueller von seinem Format vor dem gesamten lateinamerikanischen Episkopat und den Augen der Weltöffentlichkeit eine derart naive, undialektische Aussage zu formulieren vermag: "Aus der Begegnung jenes Glaubens mit den Urvölkern ist die reiche christliche Kultur dieses Kontinents entstanden … hat aus der Vielfalt von Kulturen und Sprachen einen tiefen Einklang entstehen lassen.“ So als ob die indigene Kultur nicht längst vor dem Christentum eine zutiefst religiöse Kultur wäre; so als ob die "Begegnung“ mit Europa nicht als brutaler Überfall begonnen hätte - und die Christianisierung Lateinamerikas nicht auf unheilvolle Weise mit Völkermord und Ausbeutung verquickt gewesen wäre.

Das schwierige Verhältnis Joseph Ratzingers zu Lateinamerika hat eine lange Geschichte. In den Aufbrüchen der Befreiungstheologie vermochte er nie etwas anderes zu erkennen, als die verhängnisvolle Verkürzung der christlichen Botschaft auf Politik. Als Präfekt der Glaubenskongregation verfasst er 1984 die "Instruktion über einige Aspekte der Befreiungstheologie“, die eine verheerende Wirkungsgeschichte entfaltete. Der Aufbruch der lateinamerikanischen Kirche, die erstmals in ihrer Geschichte nicht als Kirche der Oligarchie, sondern als Kirche der Armen erlebt wurde, wurde mit dieser Instruktion gebrochen. Kirchlich reaktionäre Kräfte bekamen Oberhand und marginalisierten Bischöfe von historischem Format.

Es wäre unfair dem scheidenden Papst zu unterstellen, dass er nicht sensibel für den Skandal der Ungerechtigkeit wäre, dass er nicht die "Option für die Armen“ eingefordert hätte. Doch wir suchen in seinem Denken vergebens nach dem vitalen Zusammenhang zwischen dem Gottesthema und dem Kampf um Gerechtigkeit.

Von einem Mann auf dem Stuhl Petri, der bereit ist, von den großen Propheten Lateinamerikas - von Männern wie Oscar Romero, Paulo Arns und Leonidas Proaño - zu lernen und die Kirche damit ihren jesuanischen Ursprüngen näherzubringen, darf geträumt werden!

Die Autorin, Ordensfrau, ist Theologieprofessorin an der Jesuitenuniversität UCA in San Salvador

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung