Evangelikal in Österreich

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Bibeltreue, Betonung der Wiedergeburt durch Glauben, persönliche Jesusbeziehung: So unübersichtlich die evangelikale Szene in Österreich auch erscheint, so sehr sind sich Freikirchen und evangelikale Theologie in den wesentlichen Punkten einig.

Sie glauben an die Autorität der Bibel, betonen die Wiedergeburt durch den Glauben und legen Wert auf eine persönliche Beziehung zu Jesus Christus - so unübersichtlich das Lager der Evangelikalen in Österreich auch erscheinen mag, in den zentralen Punkten stimmen sie in Lehre und Praxis überein.

Wer sich am Sonntag entschließt, einen Gottesdienst in einer freien Christengemeinde - wie evangelikale Gemeinschaften sich oft nennen - zu besuchen, sieht oft ähnliche Bilder. Die durchschnittliche evangelikale Gemeinde feiert ihre Gottesdienste nicht in alten Kirchen, sondern in Mehrzweckräumen, die unter der Woche schon einmal für andere Veranstaltungen genutzt werden können. Vorne befindet sich in der Regel auch kein Altar oder Abendmahlstisch, dafür aber häufig eine mehr oder weniger große Band, die besonders im ersten Teil des Gottesdienstes, dem "Lobpreis“, eine wichtige Rolle spielt.

Predigt als Zentrum der Feier

Hier werden Lieder zur Anbetung gesungen. Nur selten sind dabei Gesangsbücher in Verwendung, häufiger werden die Texte an die Wand projiziert. Die Lieder sind dabei nicht nur auf Deutsch, sondern sehr oft auch in englischer Sprache. Neben dem Lobpreis spielt die Predigt eine entscheidende Rolle, sie bildet das Zentrum des Gottesdienstes und dauert bis zu einer Stunde.

Der Pastor, aber auch andere Mitglieder der Gemeinschaft, legen das Wort Gottes aus, geben Zeugnis vom Wirken Gottes im eigenen Leben und erklären, warum das Wort Gottes Richtschnur fürs ganze Leben ist. Dass der Prediger oder die Predigerin oft kein liturgisches Gewand trägt, soll zum Ausdruck bringen, dass man sich von der traditionellen Volkskirche deutlich unterscheidet.

Aber es sind nicht nur die äußerlichen Unterschiede, auch strukturell und inhaltlich trennt etwa die evangelikalen Gemeinden einiges von den evangelischen Kirchen in Österreich.

"Die evangelikale Bewegung bildet einen Teil des protestantischen Christentums, das seine Wurzeln in den Erweckungsbewegungen des 18. und 19. Jahrhunderts hat“, schreibt Frank Hinkelmann, Vorsitzender der Evangelischen Allianz Österreich, in seiner Konfessionskunde. "Evangelikale Christen zeichnet aus, dass sie an der Heiligen Schrift als Autorität festhalten, ein persönliches Bekehrungserlebnis hatten und eine sozialmissionarische Ausrichtung haben“, erklärt Hinkelmann gegenüber der FURCHE. Dass "evangelikal“ in Österreich und Deutschland als konfessioneller Begriff verwendet werde, sei ein Spezifikum dieser Länder. Denn evangelikale Christen würden sich nicht nur in freien Christengemeinden finden, sondern auch innerhalb der evangelischen Landeskirche. "Ein Mitglied unseres Vorstandes ist evangelischer Pfarrer in der Steiermark“, erklärt Hinkelmann. Die meisten evangelikalen Christen würden sich in protestantischen Gemeinden und Kirchen finden, gegenüber der römisch-katholischen und orthodoxen Kirche sei das Verhältnis aber distanzierter, obwohl gerade im Dialog mit der katholischen Kirche das Vertrauen in den vergangenen Jahrzehnten immer stärker gewachsen sei.

Unabhängige Gemeinden

Bezeichnend für evangelikale Gemeinden ist ihre Unabhängigkeit. Jede Gemeinde entscheidet in der Regel für sich, wie sie ihr Glaubensleben organisiert. Es existiert keine übergeordnete Instanz, die Autorität über die einzelne Gemeinde ausübt. Dennoch gibt es immer unterschiedliche Zusammenschlüsse. "Die ‚Evangelische Allianz‘ ist ein Dachverband von einzelnen Mitgliedern aus Freikirchen und Volkskirchen“, so Hinkelmann. Bei der Allianz, gegründet 1846 in London, handle es sich um einen Verein, dessen Ziel es sei, Christen vor Ort zum gemeinsamen Gebet zu motivieren und sie bei der Durchführung von Missionsprojekten, wie etwa "Pro Christ“, zu unterstützen oder der gemeinsame Kampf für weltweite Religionsfreiheit. Jeder, der die Glaubensbasis der Allianz unterstütze, könne Mitglied werden.

Doch nicht nur die Evangelische Allianz ist ein Zusammenschluss von evangelikalen Christen. So verbinden sich immer wieder auch Gemeinden auf formaler Ebene, um sich gegenseitig bei übergemeindlichen Aufgaben zu unterstützen. "Bei uns handelt es sich um eine Plattform von Freikirchen mit relativ gleicher missionarisch-theologischer Ausrichtung“, so Johann Schoor von der "Arbeitsgemeinschaft evangelikaler Gemeinden in Österreich“ (ARGEGÖ).

Ein weiterer Zusammenschluss ist der "Bund evangelikaler Gemeinden“ (BEG), der seit 1992 besteht. "Selbständige bibeltreue Gemeinden erkannten die Notwendigkeit und die Vorteile intensiver Zusammenarbeit, um ihre Ziele effektiver umsetzen zu können“, so die Selbstbeschreibung des BEG. "Man konkurriert aber nicht“, versichert Schoor. Hinkelmann ergänzt, Mitglieder der Evangelischen Allianz können auch Mitglieder eines anderen evangelikalen Zusammenschlusses sein.

Neben diesen frei gewählten Bündnissen gibt es auch noch eine rechtliche Seite. Bei Weitem nicht alle, aber sehr viele Freikirchen und evangelikale Gemeinden haben sich zusammengetan, um sich als "staatlich eingetragene religiöse Bekenntnisgemeinschaft“ zu registrieren, darunter der BEG, der "Bund der Baptistengemeinden“, die "Mennonitische Gemeinde Österreichs“ oder die "Freie Christengemeinde/Pfingstgemeinde“. Diese Bekenntnisgemeinschaften besitzen eine eigene Rechtspersönlichkeit, auch wenn sie nicht die selben Rechte und Privilegien wie staatliche anerkannte Religionsgesellschaften haben.

Nachfahren der Wiedertäufer

Die Ablehnung der Säuglingstaufe sei übrigens kein Merkmal evangelikaler Gemeinden und Christen. Darin sind sich Schoor und Hinkelmann einig. So könne die evangelisch-methodistische Kirche, die im 18. Jahrhundert als Erneuerungsbewegung innerhalb der anglikanischen Kirche entstanden ist, ebenfalls als evangelikal bezeichnet werden, auch wenn diese die Kindertaufe durchführen.

"Jede Gemeinde kann frei entscheiden, wie sie den Glauben praktiziert und ob sie Säuglinge tauft oder nicht“, so Hinkelmann. Viele Freikirchen betonen aber die Notwendigkeit einer "Glaubenstaufe“ als Akt der bewussten Entscheidung. In diesen Gemeinden ist es auch üblich, Erwachsene noch einmal zu taufen. So bildet die Bewegung der Wiedertäufer, die während der Reformationszeit aufkam und von katholischer wie teilweise evangelischer Seite bedrängt und verfolgt wurden, eine Wurzel der evangelikalen Gemeinden in Österreich.

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