Evangelikale wählen auch "links"

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Auch wenn die Religions-Lage komplexer wird: "Glaube" bleibt im US-Wahlkampf ein Mega-Thema.

Lake Forest, Kalifornien, 17. August 2008: Das US-weit ausgestrahlte "Presidential Forum" in der Saddleback Church von Pastor Rick Warren ist ein weiterer Durchbruch für den Superstar-Geistlichen, der längst an die Stelle von Billy Graham als "Amerikas Pastor" tritt. Noch nie hatte eine derartige Veranstaltung, die sich auf religiöse Fragen an die Präsidenschaftskandidaten konzentrierte, in einer Kirche stattgefunden, noch nie waren der demokratische und der republikanische Kandidat gleichzeitig bei einem solchen Event anwesend.

Beide Kandidaten schlugen sich gut. Das Publikum war enthusiastisch.

Humorvoll vs. nachdenklich

Der Republikaner John McCain fühlte sich sichtlich wohl, war humorvoll und schlagfertig. Er erzählte, wie ihm sein Glaube und seine Gebete geholfen hatten, als Kriegsgefangener in Vietnam zu überleben. Er gestand das Scheitern seiner ersten Ehe als sein größtes moralisches Versagen ein. Sein leidenschaftlicher Ton wies ihn als Mann tiefer Überzeugungen aus, der das "Böse in der Welt bekämpfen" und als Präsident eine Pro-Life-Agenda (gegen Abtreibung etc.) unterstützen will.

Barack Obama, der Demokrat, war dem entgegen nüchterner und nachdenklicher. Er sprach über seinen Glauben an "Christus" als "Erlöser" und wies auf die Bibel hin. Aber seine Antworten zu Abtreibung und gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften waren intellektuell und nuanciert. Obama erhielt großen höflichen Applaus. Klarer Favorit des Publikums war aber John McCain.

Das "Presidential Forum" zeigte vor allem, wie Gastgeber Rick Warren die Auseinandersetzung mit der Politik betreibt - wach-sende Offenheit und mehr Dialog mit den Bürgern. Fragen nach seiner politischen Präferenz quittiert Warren mit dem Ausspruch: "Rechter Flügel, linker Flügel - ich will den ganzen Vogel!"

Religion wird in der Politik der US-Präsidenten weiter eine große Rolle spielen. Die evangelikalen Christen, die George W. Bush 2004 so geholfen haben, John Kerry zu schlagen, sind nicht verschwunden. Dennoch scheint die Situation 2008 komplexer zu sein, denn das evangelikale Christentum ändert sich.

Etwa 28 Prozent der Amerikaner bezeichnen sich als evangelikal, sie stellen also die größte und einflussreichste Wählerschaft dar. Aber sie sind keine monolithische Gruppe und kennen auch keine zentrale Führung. Das Verschwinden der "alten" christlichen Konservativen - etwa rund um den 2007 verstorbenen Führer der "Moral Majority" Jerry Falwell - lässt eine neue Generation konzilianterer Evangelikaler wie beispielsweise Rick Warren ins Rampenlicht treten, ja sogar linksgerichtete Evangelikale wie Jim Wallis, den Gründer des religiös-politischen Magazins Soujourners hervortreten.

Während traditionelle Evangelikale Themen wie Abtreibung oder gleichgeschlechtliche Partnerschaften als nicht verhandelbar ansehen, zeigen Umfragen, dass viele jüngere Evangelikale Fragen wie Armut, Umweltschutz oder Menschenrechte als ebenso zentral ansehen.

10-13%: Obama ist Muslim

Die Demokraten sehen darin eine Chance - und erreichen mit letzeren Themen mehr religiöse Menschen, darunter auch Evangelikale. Denn Barack Obama muss gerade unter diesen - aber nicht nur bei ihnen - noch viele Wähler gewinnen. Umfragen zufolge glauben 10 bis 13 Prozent der Amerikaner, Obama sei ein Muslim - trotzdem er so offen seinen christlichen Glauben anspricht!

Obama kämpft aber auch um die weißen Katholiken, die derzeit, so die Umfragen, John McCain zuneigen. Die Wahl von Joe Biden, der aus dem irisch-katholischen Arbeitermilieu stammt, als Vizepräsidentschaftskandidat, könnte ihm helfen, bei den Katholiken den Durchbruch zu schaffen.

John McCain ist in andere Kämpfe verwickelt. Früher war er ein Kritiker der Religiösen Rechten. Im republikanischen Präsidentschafts-Vorwahlkampf 2000 nannte er die rechtsgerichteten Christen Pat Roberston und Jerry Falwell "Agenten der Intoleranz". Seither versucht er, das wieder zu kitten - sogar indem er 2006 an Falwells "Liberty University" eine Rede hielt.

Aber er wird in diesen Kreisen weiter misstrauisch beäugt: Die konservativen Christen werden besonderes Augenmerk darauf richten, wen er als Vize nominiert. Die meisten Beobachter gehen davon aus, dass das sein Freund, Heimatschutz-Minister Tom Ridge, sein wird - ein Katholik, der in der Abtreibungsfrage eine liberale Position vertritt.

McCain denkt aber auch über die Nominierung des demokratischen (!) Senators Joe Lieberman, eines praktizierenden Juden, nach: Dieser stimmt mit McCains außenpolitischen Ansichten über den Nahen Osten überein, gilt aber in innenpolitischen Fragen als liberal. Beide Genannte würden sich der konservativ-christlichen Basis aber nur schwer verkaufen lassen.

Für viele Republikaner gilt Mitt Romney die erste Wahl - wegen seiner wirtschaftlichen Glaubwürdigkeit und seiner konservativen gesellschaftlichen Ansichten. Allerdings ist er ein Mormone, und das könnte die konservativ-christlichen Wähler abschrecken, die diese Religion als gefährlichen "Kult" ansehen.

Wen wählen die Religiösen?

Es ist schwer abzuschätzen, wie die religiösen Wähler bei der Präsidentschaftswahl im November tatsächlich abstimmen werden. Die Palette der Themen wird breiter, und die politischen wie die religiösen Führer sind andere als 2004.

Aber die Rolle der religiösen Anschauungen der beiden Kandidaten und deren öffentlich wahrgenommene religiöse Identität bleiben enorm wichtig. Beide verstehen das sehr gut.

Der demokratische Kandidat Barack Obama formulierte dies auf einer Religionskonferenz im Jahr 2006 so: "Ich denke, wir machen einen Fehler, wenn wir es verabsäumen, die Macht der Religion im Leben der Menschen anzuerkennen, im Leben der Amerikaner. Ich glaube, es ist Zeit, dass wir in eine ernsthafte Debatte darüber eintreten, wie wir die Religion mit unserer modernen pluralistischen Demokratie versöhnen können."

Der Autor, protestantischer Geistlicher und politischer Aktivist, Schwerpunkt: Rolle der Religion in der Gesellschaft, lebt in Erie/Pennsylvania. 2008 kandidierte er für einen Sitz im US-Kongress.

Aus dem Amerikanischen von Otto Friedrich.

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