Evangelisch evangelisieren

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Wie die evangelischen Kirchen versuchen, Mission und Evangelisieren ganz neu zu denken: Glaubensvermittlung als wertschätzende Haltung gegenüber einem postmodernen Europa.

Wie können evangelische Christinnen und Christen in Europa ihre Werte im 21. Jahrhundert verständlich und glaubwürdig weitergeben? Werte wie Leben aus dem Vertrauen in Gott, Menschenwürde, Gleichberechtigung, Solidarität, Verantwortung für unsere Welt. Wie können sie den eigenen Kirchenmitgliedern helfen, wieder sprachfähig zu werden für ihren evangelischen Glauben? So, dass sie ihn selbst neu begreifen, und so, dass sie ihn auch weitersagen und weiterleben können als Einladung an andere?

Und wo siedelt sich ein aufgeklärtes protestantisches Missions-Verständnis in Europa heute an? Schmerzlich ausgespannt zwischen den früher kulturdominierenden Missionsformen in den Kolonien, den heutigen evangelikalen Erweckungs-Predigern von den USA bis Afrika und dem nie aufgegebenen Streben des Vatikans nach einer Rekatholisierung Europas?

All diesen Missions-Varianten gegenüber empfinden wir als aufgeklärte evangelische Theolog/inn/en und Christ/inn/en eine deutliche Distanz – so sehr, dass für uns bis in die 80er- und 90er-Jahre hinein Mission und Evangelisation zu Un-Worten und „Don’ts“ geworden sind.

Schmerzliches Spannungsfeld

Seit den 80er-Jahren (Vollversammlung des Weltkirchenrates in Vancouver 1983) empfinden wir es hingegen als unsere „Mission“, öffentlich für Frieden, Gerechtigkeit und die Bewahrung der Schöpfung einzutreten. Diesen Weg des „Konziliaren Prozesses“ haben wir als wesentlich und gesellschaftlich notwendig erkannt und er prägt seither unser theologisches Denken, Reden und Handeln. Daneben ist aber jahrzehntelang das öffentliche, explizite Bekenntnis zum Glauben, die theologische Bildung der Gemeindeglieder und die Glaubens-Weitergabe außerhalb von Gottesdienst und Religionsunterricht fast untergegangen.

Die problematische Folge davon ist, dass viele unserer Gemeindeglieder heute kaum mehr sagen können, was sie eigentlich glauben. So ist um das Jahr 2000 herum unter uns das Bewusstsein neu erwacht: Als Kirche Jesu Christi ist es uns auch aufgetragen, explizit und öffentlich die Frohe Botschaft weiterzugeben – das heißt, zu evangelisieren – freilich in einer neuen Weise. Das beschäftigte insbesondere die GEKE, die Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa, neu und intensiv. Vor allem sollte klar sein, dass die „Rechtfertigung allein aus Gnade“ Basis jeder evangelischen Evangelisierung sein muss. Von ihr her verbietet sich von selbst jeder Missionsdruck, jede Angstmache, jede individualistische Engführung. Mission kann von unserem Gnadenverständnis her nur das Bekanntmachen unserer Erlösung durch Gott in Jesus Christus sein – mit befreienden Auswirkungen für die/den Einzelnen wie für die Gemeinschaft.

So setzte 2002 die GEKE eine Lehrgesprächsgruppe mit diesem Auftrag ein. Auch ich war als österreichische Delegierte und dann auch als Vorsitzende und Redaktionsmitglied Teil dieser Gruppe von 20 Theologinnen und Theologen. Ergebnis davon ist die Projektstudie „Evangelisch evangelisieren – Perspektiven für Kirchen in Europa“.

Im November 2009 haben auch die Evangelischen Kirchen in Österreich in ihrer gemeinsamen Synode dieses europäische Papier ausdrücklich rezipiert – mit der eigenen Resolution „Die Evangelischen Kirchen in Österreich als missionarische Kirchen“. Seither wird auf den diözesanen Versammlungen, in evangelischen Pfarrgemeinden, Institutionen und auch Publikationen vermehrt und positiv von Mission und Evangelisierung gesprochen. Diese Worte sind in der evangelischen Kirche in Österreich und darüber hinaus salonfähig geworden, weil es durch diesen Prozess gelungen ist, sie inhaltlich neu zu füllen: „Mission“ umfasst gemäß dem GEKE-Papier „alle Lebensäußerungen, in denen sich Kirche vom Evangelium her den Menschen zuwendet. Sie geschieht in Glauben weckender Verkündigung und diakonischem Handeln sowie in der Arbeit für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung. Einige Aspekte der Mission rufen Menschen explizit zu Christus, während andere ein implizites Christuszeugnis sind.“

„Evangelisierung“ im engeren Sinne bedeutet für uns „einen Lebensprozess der ganzen Kirche in Wort und Tat, der den Menschen im Freiheitsraum des Evangeliums die Begegnung mit dem in Jesus Christus Mensch gewordenen Gott ermöglicht“. Sie ist „ein multidimensionales Geschehen, das explizit das Ziel verfolgt, Glauben zu wecken und zu vergewissern – mit einem besonderen Akzent auf der Wortverkündigung“.

Für uns wichtig und neu an der Studie „Evangelisch evangelisieren“ ist auch, dass sie die aktuellen europäischen Kontexte würdigend aufnimmt, statt sie kultur-pessimistisch zu verdammen oder einseitig zu beklagen. So bietet jeder Parameter der (post-)modernen Gesellschaft sowohl spezifische Öffnungen als auch Sperren gegenüber dem Evangelium.

Als Beispiele seien genannt: Traditionsabbruch, Säkularisierung und „Patchwork-Religiosität“ am religiösen Markt der Möglichkeiten. Neben ihren Härten für die christlichen Kirchen bieten diese Kontexte des 21. Jahrhunderts auch die Chance, Menschen den evangelisch-christlichen Glauben neu anzubieten: authentisch, lebenstauglich, befreiend, Sinn und Gemeinschaft stiftend.

Kein konfessioneller Proselytismus

Das kann aber keinesfalls konfessionellen Proselytismus bedeuten, das heißt gemäß der „Charta Oecumenica“ (2001) werben wir als christliche Kirchen einander nicht Mitglieder ab, sondern im Gegenteil: Der Missionsauftrag gilt uns als Christen allen gemeinsam. Es geht darum, (noch) aktiven eigenen Mitgliedern ihren Glauben neu lieb und wert zu machen, ausgetretene Mitglieder in neuer Weise anzusprechen und Menschen ohne religiöse Bindung mit der Botschaft des Evangeliums in Verbindung zu bringen.

So begrüßen wir es auch, dass die katholische Kirche in Wien sich ihres christlichen Missionsauftrags neu bewusst geworden ist. An der zweiten Diözesan-Versammlung der katholischen Erzdiözese Wien im März 2010 habe ich als offizielle evangelische Beobachterin teilgenommen und dort den zirka 1000 Teilnehmern meine Anerkennung für ihr beeindruckendes Engagement für die Kommunikation des Evangeliums im Rahmen der „Apostelgeschichte 2010“ ausgesprochen.

„Evangelisch evangelisieren“ heißt für uns auch nicht, andere Weltreligionen abzuwerten oder engagierten Menschen ohne religiöses Bekenntnis die Achtung zu verweigern. Sondern „im Einsatz für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung freuen wir uns über alle, Einzelne und Gruppen, die diese Anliegen und Werte mit uns teilen.“ (Resolution der österr. Generalsynode im November 2009)

Was wir aber künftig vermehrt als Evangelisierung anbieten wollen, ist vor allem: die öffentliche Verkündigung des Evangeliums in glaubwürdiger, verständlicher und innovativer Form; Seminare für engagierte Gemeindeglieder, die in ihrem Glauben neu sprachfähig werden wollen; offene, einladende Gemeinden und Gottesdienste, die zeigen, dass unser Glaube uns auch selbst berührt und begeistert.

* Die Autorin ist evangelische Pfarrerin in Wien-Liesing und Seniorin (Stellvertreterin des Superintendenten) in Wien

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