Evangelisch gewählt

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Erdrutsch und Jahrhundertstrom - nein, die Rede ist nicht von verschiedenen Naturkatastrophen, sondern von den Nationalratswahlen des Jahres 2002. Soeben ist der Band mit den Analysen zu diesen Wahlen erschienen.

Die Analyse der Wählerströme bringt neben dem Erdrutsch der 600.000 von der FPÖ zur ÖVP Erstaunliches zu Tage, z.B. dass mittlerweile rund 140.000 Stimmen von der SPÖ über die FPÖ zur ÖVP gewandert sein dürften.

Aber nicht nur von der FPÖ holte sich die Volkspartei die Stimmen, auch von den Evangelischen. Im Vergleich zu den Wahlen von 1999 ergaben die Exit-Polls, dass beim letzten Mal die Evangelischen weniger rot und mehr grün gewählt haben als noch vor drei Jahren. Markant sind aber die Bewegungen in Bezug auf Volkspartei und Freiheitliche. Vergangenes Jahr haben 41 Prozent der Evangelischen die ÖVP gewählt, 1999 waren es nur 10 Prozent. Also eine glatte Vervierfachung. Genau umgekehrt bei den Freiheitlichen: 1999 gaben 32 Prozent der Evangelischen ihre Stimme der FPÖ, 2002 waren es nur mehr 8 Prozent.

Diese Zahlen sind auf dem Hintergrund der Tatsache zu sehen, dass das konfessionspezifische Wahlverhalten in Österreich zwar im europäischen Vergleich immer noch hoch, aber in den letzten Jahrzehnten deutlich abgeschwächt wurde. Der Anteil der regelmäßigen katholischen Kirchgänger an der ÖVP-Wählerschaft geht zurück, gleichzeitig löst sich eine historisch ableitbare Parteienpräferenz bei den Evangelischen auf. Ich sehe darin eine positive Entwicklung für die evangelische Kirche: Stillschweigend vorausgesetzte Zuordnungen aus überkommenem "Lagerdenken" werden immer fragwürdiger, die Konflikte um den Standort der Kirche in den gesellschaftspolitischen Auseinandersetzungen nehmen zu. Es kommt darauf an, wie offen sie ausgetragen werden.

Der Autor ist Oberkirchenrat der Evangelischen Kirche A.B.

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