Kein Bildnis - © Pexels / FWStudio

Evangelisch-reformierte Kirchen zum "Kruzifix"-Streit: Seit 500 Jahren weder Kreuz, noch Kruzifix

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Gelassen und unaufgeregt reagiert die Evangelische Kirche Helvetischen Bekenntnisses, kurz evangelisch-reformierte Kirche, auf das sogenannte „Kruzifix“-Urteil aus Straßburg. Bereits vor rund 500 Jahre haben die Schweizer Reformatoren Zwingli und Calvin das Kreuz aus der Kirche verbannt.

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Gelassen und unaufgeregt reagiert die Evangelische Kirche Helvetischen Bekenntnisses, kurz evangelisch-reformierte Kirche, auf das sogenannte „Kruzifix“-Urteil aus Straßburg. Bereits vor rund 500 Jahre haben die Schweizer Reformatoren Zwingli und Calvin das Kreuz aus der Kirche verbannt.

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Die Aufregung ist groß: Seit der Europäische Menschenrechtsgerichtshof einer Italienerin Recht gab, die die Religionsfreiheit von Schülern durch Kreuze in der Klasse eingeschränkt sieht, kämpfen in Österreich Kirchenführer um den Verbleib des Kreuzes in den heimischen Klassenzimmern. Mit Unverständnis reagieren römisch-katholische Bischöfe auf das „menschenrechtsverachtende“ Urteil, das sie an „totalitäre politische Systeme“ erinnere.

Doch nicht alle Kirchen verurteilen den Richterspruch aus Straßburg. Vor allem die evangelische Kirche Helvetischen Bekenntnisses in Österreich, kurz die evangelisch-reformierte Kirche, hält sich im Kruzifix-Streit zurück – und das aus gutem Grund: „Wir Reformierte haben keine Kreuze in unseren Kirchen, und so wäre es komisch, wenn ich für Kreuze in den Klassenzimmern wäre“, erklärt Landessuperintendent Thomas Hennefeld.

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Betritt man die Reformierte Stadtkirche in Wien, bemerkt man auf den ersten Blick große Unterschiede zu katholischen Kirchen der Inneren Stadt, aber auch zur Lutherischen Stadtkirche gleich nebenan. Kein Kreuz, keine Bilder und keine Kerzen schmücken den Kirchenraum. Der klassizistische Bau aus dem Jahr 1783–1784 ist streng nach vorne ausgerichtet, wo sich nur der Abendmahlstisch (kein Altar, denn die Reformierten lehnen einen Opfergedanken beim Abendmahl ab) und darüber die Kanzel befindet. Einzig drei Bibelverse verzieren den Innenraum.

Ihren „Kruzifix-Streit“ hatten die reformierten Kirchen, die aus der Schweizer Reformation unter Ulrich Zwingli und Johannes Calvin hervorgingen, vor mittlerweile fast fünfhundert Jahren. Es ging dabei um die Frage, ob Kreuze und Bilder in den Kirchen wie bisher bleiben dürfen oder verschwinden müssen.

„Du sollst dir kein Bildnis machen“

Zwingli, der Reformator Zürichs, verurteilte erstmals im Juli 1523 in seiner Schrift „Auslegen und Gründe der Schlussreden“ Bilder in Kirchen grundsätzlich als Götzenbilder. Dahinter steht die strikte Befolgung des, nach reformierter Zählung, zweiten Gebots im Alten Testament: „Du sollst dir kein Bildnis machen.“ Als es im Herbst 1523 zu Bilderstürmen in Zürich und Umgebung kam, bat der Rat der Stadt um eine Stellungnahme des Reformators. Darin hält Zwingli fest: „Die Bilder sind von Gott verboten, sofern sie zur Anbetung verleiten.“ Daher müsse man Bilder, die auf Altären verehrt werden, auch aus der Kirche entfernen, so Zwingli. Nach Ansicht des Reformators müsse die Entfernung der Bilder aber geordnet durchgeführt werden, eine Zerstörung der Bilder sei nicht nötig.

Zwei Jahre später, in seiner Schrift „Die wahre und die falsche Religion“, bezieht Zwingli zum Kruzifix Stellung: „Christus kann nach seiner göttlichen Natur nicht abgebildet werden; seine Menschheit als solche darf nicht verehrt werden, darum auch nicht das Kruzifix.“ Letztlich kann er sich einen legitimen Gebrauch von Bildern in der Kirche nicht vorstellen. Aus seiner Sicht verführe jedes Bild in der Kirche die Gläubigen früher oder später zu seiner Anbetung und damit zum Götzendienst.

Wozu aber so viele Kreuze überall in den Kirchen? Aus einer treulichen Predigt hätte man mehr lernen können als aus tausend Kreuzen.

Johannes Calvin

„Gott ist Geist und muss im Geist angebetet werden“ – unter diesem Leitsatz steht Johannes Calvins Beziehung zu Bildern in der Kirche.

Wie Zwingli beruft sich der Reformator von Genf auf das Bilderverbot des zweiten Gebots. In seiner grundlegenden Schrift „Unterricht in der christlichen Religion“ („Institutio christianae religionis“) widmet Calvin dem Bilderverbot ein ganzes Kapitel. Anstelle von Bildern und Kreuzen solle dem Volk das Wort Gottes gepredigt werden: „Wozu also so viele Kreuze überall in den Kirchen? Man hätte sie gewiss nicht aufzurichten brauchen, wenn man treulich gepredigt hätte … Aus diesem einen (der Predigt, Anm.) hätte man mehr lernen können als aus tausend hölzernen oder steinernen Kreuzen“ (Institutio I, 44–45).

Bilder verletzen die Ehre Gottes

Im Mittelpunkt bei Calvins Bilderkritik steht die Ehre Gottes: Jegliches Bild in der Kirche würde die Ehre Gottes verletzen und beschneiden. Deshalb sind Bilder in der Kirche strikt untersagt.

Zwingli und Calvin betonen aber gleichzeitig, dass Bilder mit religiösem Inhalt außerhalb des Kirchenraums weder zerstört noch verboten gehören. So befinden sich beispielsweise in den reformierten Kirchen der Niederlande keine Bilder. Jedoch erlangten reformierte niederländische Maler wie Rembrandt oder Rubens unter anderem mit ihren Darstellungen biblischer Geschichten Weltruhm, denn die Herstellung solcher Bilder für profane Zwecke wurde nie verboten.

„In vielen reformierten Kirchen gibt es auch heute weder Bilder noch Kreuze“, erklärt Landessuperintendent Hennefeld und betont: „Christinnen und Christen sollten weniger ‚an Kreuzen hängen‘ als vielmehr dafür sorgen, dass bestehende Kreuze, an denen Menschen noch heute elend zugrunde gehen, aus der Welt geschaffen werden.“

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