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EvangelischeKircheDeutschlands in der Auseinandersetzung

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Das große abendländische Thema des Kampfes um den Glauben hat sich Kindt in seinem bemerkenswerten Buch gestellt. Es ist eine Sammlung von Aufsätzen zur deutschen Geistesgeschichte, die in verschiedenen Zeitschriften des evangelischen Deutschlands in den Jahren des Kampfes um die deutsche evangslische Kirche erschienen sind. Es trägt in vielem die zeitgeschichtlichen Spuren dieses erbitterten Ringens; manche scharfe Formulierung, manches Entgegenkommen in den damals heißumstrittenen Fragen der Rassentheorie, des „nordischen Gedankens“, des Arieptums, der Germanenproblematik lassen deutlich erkennen, mit wem der Verfasser diskutiert und daß er auf die Einwände, die von den Gegnern des Christentums und Verfechtern einer „nordischen Rassenreligion“ vorgebracht wurden — er fertigt sie übrigens in überlegener Weise ab! — eingeht, um auch im gegnerischen Lager zu überzeugen, zu gewinnen.

Aufs Ganze gesehen, haben wir es mit einem sehr beachtenswerten Versuch einer Deutung der neueren deutschen Geschichte aus dem Geist christlichen Glaubens zu tun. Ja, es steckt dahinter ein kühner Erneuerungsversuch der augustinischen Geschichtsphilosophie: Gottesreich und Teufelsreich stehen in erbittertem Kampf miteinander. Kindt setzt die Methoden moderner geistesgeschichtlicher Interpretation und das moderne naturwissenschaftliche Weltbild voraus.

Eine Diagnose der Krankheiten unseres Zeitalters! zu geben — dieses Thema zieht sich durch das ganze Buch. Kindt fragt, was „unter dem apokalyptischen Anstürm des modernen Atheismus und Materialismus, der rasend zunehmenden Technisierung und Normierung und der Entwicklung der Weltstädte eigentlich geschehen sei“. Die evangelischen Kirchen sind in' ein innerkircbliches Ghetto gedrängt worden; sie stehen gleichsam „im leeren Raum und predigen einem Ge-tchlecht, das weder vom Himmel noch von der Hölle noch von Gott (dem lebendigen Gott!) noch von der eigenen Seele nocn von einer ewigen Verantwortung etwas weiß. Wo nicht einmal die Existenz der eigenen Seele dem Menschen problematisch ist, wie soll er da nach Gott, nach einer Rechtfertigung fragen? Wo der Mensch hinter die Weisheit von Piatons Phaidon zurücksinkt, wie soll ihn da dürsten nach den lebendigen Wassern des NeuCn Testaments? Ich fürchte, erst kommende Geschlechter werden ganz den ungeheuerlichen Abfall von der gesamten (auch dfer großen heidnischen!) religiösen Tradition des Abendlandes, dessen wir uns *- täglich.! — schuldig machen, zu ermessen vermögen1 ... Das .Christentum hat seine un-aufgebbaren Voraussetzungen. Gewiß kann ein Heide Christ werden, wie jedoch ein Mensch (kann man ihn übethaupt noch einen ,Menschen' nennen?), der weder einen wirklichen Gott über sich anerkennt noch je zum Bewußtsein der eigenen Seele gelangt ist? Wer .weder um Gottes Gottheit “weiß, noch einen inneren Menschen zu verlieren hat. der ist nicht nur kein Christ, der hat sich ganz einfach von einer menschenwürdigen Existenz ausgeschlossen.“ (Seite 143/4.)

Bis in das Zeitalter des Hochbarocks waren die christlichen Zentraldogmen der evangelischen Kirche — Menschwerdung, Erlösung, Heiligung — „umhüllt von einer gemeinschaftlichen oder wenigstens abendländischen religiösen Atmosphäre... Es gab noch ein gemeinschaftliches Weltbild.“ (Seite 143.) Himmel und Hölle, Engel und Dämonen, eine ewi;e Existenz der menschlichen Seele, eine Schöpfung der Welt durch einen wirklichen Gott, Verantwortung vor einem ewigen Richter — alle diese Elemente einer natürlichen Religion bildeten gleichsam den Schutzwall um die eigentlich übernatürlichen Offenbarungswahrheiten. Der Kampf um die im Wesen der Gesamtwirklichkeit liegende unzerreißbare Einheit von christlichem Dogma im engeren Sinn 'und christlichem Weltbild gibt den Hintergrund ab, auf dem sich die Gestalten der Einzelkämpfer um den evangelischen Glauben abzeichnen. L e i b n i z, dem zwar kein eigener Beitrag gewidmet ist, dessen Lebenswerk Kindt aber in seiner großen Klopstock-Monographie eingehend gewürdigt hat, faßt „Christentum und Deutschtum, Antike und Naturwissenschaft“ zum letztenmal zusammen — Symbol für die letzte, einheitlich aus einem Geist geformte Kultur des Hochbarocks (Seite 17). „Das Zerbrechen dieses spannungsreichen

Gebildes“ zeitigt als folgenreichsten Vorgang den „Auseinanderfall von Vernunft- und Glaubenswelt“, den die Theologen, Philosophen und Dichter der folgenden Jahrhunderte vergebens zu überwinden trachten. Dieser Krankheitsweg Europas endigt in der Katastrophe des modernen europäischen Nihilismus. Man liest mit Staunen und Erschütterung von dem Ringen der G e 1-1 e ft und Claudius. Was könnte gerade das dürftige Leben dieses Mannes, der nach seinem eigenen Wort seine vielköpfige Familie mit Übersetzen, Fortsetzung der gesammelten Werke und — „befiehl du deine Wege“ durchgebracht hat, uns Armgewordenen sagen! Und — man wuijdere sich nicht! — auch J. W. Goethe ist vertreten, denn es gibt einen Goethe, der nur aus einer großen christlich-biblischen Träditiqp heraus verstanden und gedeutet werden kann. (Man lese die ergreifenden Meditationen über die Philemon- und Baucis-Szenen aus Faust II). Goethe bemerkte mit Entsetzen den Prozeß der „Anonymisierung des Bösen“ (Seite 109 ff.): Indem der Böse aus dem Bewußtsein des aufgeklärten Europäers immer weiter schwand, vergiftete er 'mehr und mehr den Träger dieses Bewußtseins in seiner Substanz, bis Friedrich Nietzsche, der „Bußprediger wider Willen“, Vertreter eines Neuheidentums, das nur als Gegen-Christentum erfaßt werden kann, die Hölle wieder entdeckte, mit der Lehre von der ewigen Wiederkehr des Gleichen radikal ernst machend, allerdings nicht die christliche Hölle, die nur am Rande des geschaffenen Seins bestehen kann, sondern die auf dieser Welt schon anfangende, erbar-mungs-, weil gottlose Hölle der modernen Wirklichkeit, die in dem Wahnsinn des Atheismus unterzugehen droht. Die beiden Nietzsche-Aufsätze gehören zu den Höhepunkten des ganzen Buches. In ihnen wird die unauflösliche Verflochtenheit aller europäischen Lebensformen mit dem Christentum gleichsam exegetisch-exakt nachgewiesen. Nietzsches Leben und Sterben bietet ein eindrucksvolles Exempel dieser unauflöslichen Ehe. In Europa gibt es nur Christentum und christliche Häresie, „Teilchristentümer, Restchristentümer, Nicht - mehr - Christentümer, Gegenchristentümer, Christentumssurrogate“. Auch im Neinsagen muß Europa Christus bekennen, und die Höllle, die Nietzsche geistig und physisch vorweggenommen hat, nun selber auskosten, um in ihr entweder umzukommen, oder den lebendigen, wirklichen Gott wiederzufinden.

Wie sieht der evangelische Christ das Weltbild Jesu? „Nur fragmentarisch, nur in schwachen Analogien, nur mit Furcht und Zittern für sein eigenes Heil, nur in stammelnder Anbetung vermag der Christ etwas auszusagen über das Weltbild, das sein Heiland in Kopf und Herzen getragen, dessen Mitte er selber war und das doch zugleich das unsrige -vird sein müssen . ..“ (Seite 222/3.) Dieses Weltbild — hat sich vor allem im zwei Punkten radikal von dem modernen Weltbild unterschieden: Jesus kennt keinen in sich abgeschlossenen, „wertfreien, in unverbrüchlicher mathematischer Gesetzmäßigkeit funktionierenden Weltzusammenhang“, das heißt „Natur“ in unserem Sinn. Er sah die Dinge jeden Augenblick neu und unmittelbar aus Gottes Schöpferhand hervorgehen und diese „unbedingte göttliche Schöpferalllmacht sich in jedem Augenblick an jedem noch so winzigen Punkt des Kosmos neu aktualisieren.“

„So fordert es die Annahme eines 'wirklichen Gottes, der wirklich allmächtig ist.“ Er sah aber auch jedes Gesdiöpf in jedem Augenblick von den Mächten der Tiefe bedroht, angegriffen, ia in dieser durch Sünde und Schuld vergifteten Wehwirklichkeit überwältigt. Und entscheidend ist dabei, daß Jesus den Teufel n'iMt nur im Bereich des Sittlichen im engeren Sinne, sondern in der Gesamtwirklidikeit. auch in dem von uns „Natur“ genannten Wirklichkeitsausschnitt wirksam 'sieht. Krankheit, Naturkatastrophen, Krieg und Tod sind Domänen des „Fürsten dieser Welt“; „er hat nicht nur unser Herz vergiftet, er hat auch den Kosmos und das Leibesleben entstellt und verwüstet“. (Seite 238.) Den Bösen zu besiegen, war er gekommen; wo „Gottes Zorn mit dem satanischen . Gotteshaß aufeinanderprallt“ — da erhebt sich das Kreuz! Da ringen aber auch Engel .und Dämonen, die Mächte der Höhe und der Tiefe, die in der Fiktion eines „rein natürlidien Weltbildes“ keinen Platz mehr hatten. („Versuch über die Engel.“)

Die Anonymisierung des Bösen gehört zu den gewiegtesten Schadizügen des Teufels, wie Goethe klar erkannte. „Den Teufel spürt das Völkchen nie, und wenn er sie beim Kragen hätte.“ Der moderne, glau benslose verkümmerte Mensch hat sich seine „sichere Wirklidikeit“ zurechtgebaut — und sich selber in falsche Sicherheit -gewiegt. Das Gebäude dieser Wirklichkeit ist in seinen Fundamenten ersdiütter.t, neue Wirkhch-keitsbereidie tun sich auf und verlangen nach Deutung und Einordnung in ein neues, umfassendes Weltbild. Aber sollten die fast prophetischen Worte Kindts vor Jahren geschrieben, uns nicht zu denken geben? „Ach, was wissen denn die anderen von unserer Not: man will uns drohen, in drei Jahren gäbe es in Deutschland nodi viele, in dreißig Jahren nur noch einige, in dreihundert Jahren gar keine Christen mehr; als wenn wir das nicht selber wüßten, daß es so kommen könnte! Nun, wir wissen es auf Grund der Heiligen Schrift, und das-ist denn doch ein ander Ding. Die Möglichkeit des vollständigen Abfalls — das ist auch ein biblisches Thema; aber es ist zugleich, ihr verblendeten Propheten, ein Geheimnis des Zorns! Und diesmal würden die Zornesschalen dann über Deutschland ausgegossen: da sollte einem eigentlich die Lust der arithmetisch-kausalen Vorausberechnung vergehen!“ (S. 15/6).

Heute erscheinen diese Zeugnisse und Worte in Jahren schwersten Kampfes £t,wagt und geschrieben, em Stück jüngster Vergangenheit. Sie sind Dokumente des Glaubens und Bekenntnisses. Nun aber mögen sie Form und Gestalt annehmen hin auf Christus und seine Kirche.

Ich möchte nicht für eine erlesene Gemeinde von frommen Menschen schreiben, die bestimmt ohne mich in den Himmel kommen, sondern für eine möglichst große Zahl von Unheiligen, von Vorhof-menschen, von Halbmenschen, von Unerlösten, für diese ganze, unter dem sogenannten tragischen Lebensgefühl dahindämmernde, aber sich dabei immerhin noch gut unterhaltende, unheilige Boheme, sagen wir einfach für die, die zwar an allen Versuchungen leiden und vielen Versuchungen nachgeben, die aber doch von einer vollkommen frei sind, nämlich von der Versuchung, sich etwas einzubilden auf ihre Tugenden. Das ist eine ganz große Gemeinde. Das ist sogar der Großteil der Menschheit; denn satanische Figuren, die es natürlich auch gibt, sind so selten wie die Heiligen und höchstens bei den Dichtern beliebt, für die sie ein dankbarer Romanheld sind. Also auf diese Gemeinde habe Ich es abgesehen und möchte darum als Verfasser einer neuen Apologetik am liebsten schreiben: von einem Sünder...

Friedrich Muck ermann S. J.: Die Revolution der Heizen

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