Hochwald - © Polyfilm

Evi Romens Regiedebüt "Hochwald": Sündenbock 2.0

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Evi Romens mehrfach ausgezeichneter Anti-Heimatfilm „Hochwald“ kommt demnächst ins Kino. Der Film stellt auch intensiv Fragen nach der Religion. Und findet nur schwer Antworten.

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Evi Romens mehrfach ausgezeichneter Anti-Heimatfilm „Hochwald“ kommt demnächst ins Kino. Der Film stellt auch intensiv Fragen nach der Religion. Und findet nur schwer Antworten.

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Im biblischen Judentum gehörte der Sündenbock zur Liturgie des Versöhnungstages – Jom Kippur: Ein Ziegenbock wurde – aufgrund einer Gesetzesvorschrift aus dem Buch Levitikus (Lev 16) – vom Hohepriester symbolisch mit den Sündes des Volkes Israel beladen, und in die Wüste geschickt. Ein Reinigungsritus, der religionsgeschichtlich wirkmächtig wurde –nicht nur im Judentum.

Im 20. Jahrhundert hat der frankoamerikanische Kulturwissenschaftler René Girard (1923–2015) den Sündenbock(mechanismus) ins Zentrum seiner religionsphilosophischen Theorie gestellt. Dass auf ein schwaches und/oder unangepasstes Mitglied einer Gruppe die Schuld der anderen abgewälzt wird, beschäftigt auch Psychologie, Soziologie oder Organisationstheorie.

Auch Mario – schwul, drogensüchtig und auch sonst Outlaw eines Südtiroler Dorfes hoch oben in den Bergen – ist in Evi Romens bereits viel beachtetem Regiedebüt „Hochwald“ solch ein Sündenbock. Sein Freiheitsdrang passt nicht in die enge und sozial starre Gesellschaft am Berg, von dem man nur per Seilbahn in die Stadt im Tal kommt. Mario wäre gern Tänzer – doch die finanziellen Möglichkeiten reichen dazu nicht, also hat er zeitweilig Konditor gelernt und hält sich im Dorf mit Hilfsarbeiten etwa beim Fleischer über Wasser. Dieses Prachtexemplar von feinem Familienvater wird von Mario gegen einen Hunderter auch sexuell befriedigt – auch so kommt Geld ins Haus, mit dem Mario seine Drogensucht finanziert.

Ein Anti-Religionsfilm

Ganz anders der gleichaltrige Lenz, Sohn eines reichen Weinbauern: Der hat es in eine Schauspielschule nach Wien geschafft, wo er auch seine Sexualität ausleben kann. Lenz hat sogar ein Stipendium für Rom bekommen, gleich nach Neujahr wird er dort weiterstudieren. Und er lädt Mario ein, ihn zu begleiten. Diesen hält wenig im Dorf, denn er ist zwar Vater einer kleinen Tochter, für die er aber ob seiner Suchtdelikte kein Sorgerecht hat.

In Rom besuchen Mario und Lenz eine Schwulenbar, auf die ein islamistischer Terroranschlag verübt wird: Lenz kommt dabei zu Tode, Mario überlebt. Dass Lenz tot ist, der Mädchenschwarm und Winzersohn, wird/ will niemand im Dorf begreifen. Mario hingegen wird bedeutet, dass mit Lenz der Falsche ums Leben gekommen ist - und offenbar auch der Falsche überlebt hat. All die Bigotterie dieser Gesellschaft wird auf Sündenbock Mario geladen. Und der bricht darunter auch buchstäblich zusammen.

Den ganzen Film „Hochwald“ hindurchkommt die Sündenbockmetapher implizit vor. Erst am Ende offenbart sie Regisseurin und Drehbuchautorin Evi Romen dann auch explizit.

Vieles ist religiös aufgeladen in „Hochwald“, dennoch wäre es falsch, ihn als „religiösen Film“ zu apostrophieren. Eher lässt er sich unters Thema „Heimat“ subsumieren, vielleicht noch genauer als „Anti-Heimatfilm“. Evi Romen, gebürtige Südtirolerin, weiß genau, ihren Finger in die Wunden der Heimat zu legen. Es ist schon zwölf Jahre her, dass der Tiroler Dramatiker Händl Klaus mit seinem Filmdebüt „März“ bestach – gleichfalls als Anti-Heimatfilm – durch die schonungslose Darstellung eines kargen Tirolertums, das so gar nichts mit Jodelseligkeit oder Après-Ski-Gedöns zu tun hat. Sondern viel mehr mit völliger Sprachlosigkeit gegenüber Vorgängen, die nicht ins hergebrachte Lebensmodell passen.

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