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"Ich bin Muslim, Jude und Christ": Jassir Arafat gab jahrelang den Christenfreund. Heute aber bedroht der radikale Islam auch die palästinensischen Christen.

In Bethlehem wird dieses Weihnachtsfest kein Jassir Arafat mehr an der Christmette teilnehmen, um so christlicher Tradition und Präsenz in Palästina Achtung zu ,bekunden. Allerdings hatte Israel den nun verstorbenen Palästinenserpräsidenten schon in den letzten drei Jahren an der Fahrt nach Bethlehem gehindert. Das Christentum und besonders die Heilig-Land-Christen haben aber im Leben und Wirken von Arafat eine wichtige Rolle gespielt: Die Palästinenser waren nach dem Verlust der Altstadt von Jerusalem und des Westjordanlandes 1967 an Israel sofort bemüht, die christliche Welt für ihre Sache zu gewinnen. Gezielt tat das die PLO, als 1969 der von Haus aus areligiöse Jassir Arafat an ihre Spitze trat. Obwohl er durch nationalistische und links-progressive Leitbilder geprägt war, räumte er arabischen Christen beachtliche Mitsprache ein. Anglikanische und lutherische Geistliche erhielten im PLO-Zentralkomitee Sitz und Stimme. Besonders geschätzt wurde von Arafat der evangelisch-reformierte Pfarrer in Kairo, André Pidoux. Dieser spielte auch eine wichtige Rolle bei der palästinensischen Jerusalemkonferenz von 1975: Diese versprach den Heilig-Land-Christen eine künftige Mitverwaltung der Altstadt von Jerusalem, falls sich Israel zurückziehen sollte.

Schutz der heiligen Stätten

In den 70er Jahren schlug Arafat sogar einen Ableger des Vatikanstaates für die christlichen heiligen Stätten von Jerusalem und Bethlehem vor, zu deren Schutz er die päpstliche Schweizergarde aufbieten wollte. Noch zu Beginn der ersten Intifada 1987/89 trat Arafat betont als Anwalt der palästinensischen Christen auf. In einem Interview für Radio Vatikan beteuerte er 1988 aus Bagdad: "Ich fühle mich auch als Christ und werde im Heiligen Land alle christlichen Belange mitvertreten. Ich bin Muslim, Jude und Christ!"

Arafat stand damit nicht allein. Sein Vordenker in allen Kirchenfragen war der vor einem Jahr 67-jährig verstorbene Jerusalemer Christ Edward Said. Saids Vision war ein Palästina, das Israelis und Arabern gemeinsame Heimat sein kann, ein befriedetes und auf den ganzen Nahen Osten ausstrahlendes Heiliges Land von Juden, Christen und Muslimen. Vor diesem Hintergrund kritisierte Said die Oslo-Verträge von 1993. Damals wurde die palästinensische Selbstverwaltung als großer Erfolg von Präsident Clinton und Arafat gefeiert. Der Christ Said erkannte als einer der ersten die drohende Rückwendung zu einem radikal-politischen Islam, aber auch Judentum und befürchtete, dass sich Israel und die neuen Selbstverwaltungsgebiete erst recht auseinander entwickeln würden. Neue Intifada, Selbstmordattentate und der "Schutzzaun" haben ihm inzwischen Recht gegeben.

Konzessionen an Islamisten

Arafat hingegen glaubte sich vor zehn Jahren nach seiner Rückkehr in Teilgebiete von Palästina auf dem Weg zum Erfolg. Die Ehe mit der griechisch-orthodoxen Suha Tauwil wurde als weiterer Beweis für seine christenfreundliche Haltung gewertet. Doch Frau Arafat trat bald "auf eigenen Wunsch" zum Islam über. Ihr Mann bekam es zunehmend mit den mächtig auftrumpfenden islamistischen Bewegungen wie Hamas und Dschihad zu tun. Er versuchte, diese mit Konzessionen für sich zu gewinnen. Arafats Religionspolitik in seinem neuen Machtbereich war nun klar auf islamische Dominanz und die Umfunktionierung der palästinensischen Christen von gleichberechtigten Mitkämpfern zu botmäßigen Untertanen ausgerichtet. So wurden der russischen Auslandskirche Klöster und Pilgerhospize zugunsten des Moskauer Patriarchats enteignet, christliche Bürgermeister durch Muslime ersetzt. Sogar den neuen, 2001 gewählten orthodoxen Patriarchen von Jerusalem, den Griechen Irenaios, hat Arafat - der einen von ihm abhängigen Araber wollte - nur nach langem Zögern anerkannt.

Erst im für alle Seiten gerade 2002/03 so schrecklichen Verlauf der zweiten Intifada musste Arafat erkennen, dass sich die Islamisten nicht vor seinen Wagen spannen ließen, sondern letztlich gegen ihn kämpften. So kehrte er zu seiner bewährten prochristlichen Politik zurück. Im November 2003 sandte er eine Delegation von Heilig-Land-Christen nach Rom, die dort vom Papst empfangen wurde. Johannes Paul II. unterstrich die "wichtige christliche Rolle bei der Förderung der legitimen Bestrebungen des palästinensischen Volkes".

Für Arafat kam diese Rückbesinnung zu spät. Immerhin sichert sie ihm jetzt bei allen Heilig-Land-Christen ein gutes Angedenken. Sonst hinterlässt er ihnen aber kein auch nur halbwegs zukunftsweisendes Erbe. Nach seinem Tod zeichnet sich erst recht ein Zusammengehen seiner Nachfolger in der PLO wie in der arabischen Selbstverwaltung mit den radikalen Muslimen von den Kampforganisationen Hamas und Dschihad ab. Was Arafat nicht gelang, wollen seine Epigonen im Zeichen des Halbmonds allein erreichen. Für den politischen Islam haben aber Christen in Palästina genauso wenig wie Juden einen Platz. Der Entwurf für die Verfassung eines Palästinenserstaates verankert nicht einmal elementarste religiöse Grundrechte seiner christlichen Bürger. In der gegenwärtigen kollektiven Palästinenserführung nach Arafat sitzt kein einziger prominenter Christ mehr. Der designierte Mahmud Abbas wird die Stimmen der islamistischen Wähler von Gaza brauchen, will er am 9. Jänner neuer Palästinapräsident werden.

Jerusalem: Kirchenmuseum?

Verwaist sind die Heilig-Land-Christen nach Arafat aber nicht nur in Gazastreifen und Westjordanland einer immer militanteren und erdrückenderen islamischen Mehrheit gegenüber. Das gilt erst recht für die nur mehr 21.000 christlichen Bewohner Jerusalems, deren besonderer Schutzherr - wie einst als Apostolische Majestäten die österreichischen Kaiser - Arafat war. Das wurde ihm noch am 4. Mai 1994 von Rabin und Peres beim Gaza-Abkommens mitgarantiert.

Unter Sharon sehen sich Jerusalems letzte Christen jetzt erstmals auch der Aggressivität von Juden und nicht nur von Muslimen ausgesetzt: Talmud-Studenten bespucken christliche Geistliche, Frauen leeren ihre Abfalleimer an Kirchentüren aus. Dem armenischen Patriarchen von Jerusalem, Torkom I., wurde in vollem Ornat an der Spitze einer Prozession das Brustkreuz weggerissen. Die griechische Kreuz- und die russische Dreifaltigkeitskirche sind mit Zionssternen beschmiert. Großrabbiner Jona Metzger hat diese Übergriffe verurteilt, doch die israelische Polizei schaut weiter weg. So ist zu befürchten, dass sich ohne Lösung der Jerusalemfrage, auf die gerade Arafat bis zuletzt gepocht hatte, der Exodus der Christen aus Jerusalem weiter beschleunigt. Es droht der Tag zu kommen, an dem die Stadt zum Kirchenmuseum ohne Christen mit ein paar Geistlichen als liturgischen Museumswächtern verkommt.

Der Autor, langjähriger Nahostkorrespondent, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut Glaube in der 2. Welt, Zürich.

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