Explosion in der Kirche

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Pedro Arrupe, Arzt, Visionär und Generaloberer der Gesellschaft Jesu, zum 100. Geburtstag.

Persönlich bin ich ihm nie begegnet. Ende der 80er Jahre konnte ich ihn bei einem Besuch in der Jesuitenkurie in Rom, bereits halbseitig gelähmt und ans Bett gefesselt, durch die halb geöffnete Tür seines Krankenzimmers sehen. Er betete. Die Ruhe, die er dabei ausstrahlte, hat sich in meine Erinnerung eingegraben. Pedro Arrupe war nach Ignatius von Loyola (1491-1556) der zweite Baske als Generaloberer der Gesellschaft Jesu. Viele seiner Impulse und Initiativen wirken bis heute nach. Ein spanischer Biograf nannte ihn "eine Explosion in der Kirche".

Vom Mediziner zum Jesuiten

Vor 100 Jahren, am 14. November 1907, wurde Arrupe als jüngstes von fünf Kindern in Bilbao geboren. Der Vater war Architekt, die Mutter Tochter eines Arztes. Ab 1923 studierte er zunächst Medizin in Madrid. Im dritten Studienjahr geriet er in eine Lebenskrise, der Tod des Vaters - die Mutter hatte er bereits in der Kindheit verloren - vertiefte sie. Bei einer Wallfahrt mit seinen vier Schwestern wurde er in Lourdes Zeuge von drei Heilungswundern. Dieses Erlebnis ließ den Entschluss reifen, Jesuit zu werden. Sein Medizinprofessor Juan Negrín (später republikanischer Exilpräsident) bezeichnete den Ordenseintritt als großen Verlust für die Medizin.

Am 15. Januar 1927 trat Pedro Arrupe in Loyola ins Noviziat der Jesuitenprovinz von Kastilien ein. Die ordensüblichen Studien verliefen, bedingt durch die politischen Verhältnisse in Spanien, turbulent: Die in Oña (Burgos) begonnenen philosophischen Studien musste er im Februar 1932 in Belgien fortsetzen. Im September 1933 übersiedelte er ins niederländische Valkenburg, wo die deutschen Jesuiten ein Studienhaus betrieben. Dort traf er auf Alfred Delp (1907-1945), den er später einen Märtyrer nannte. Nach der Priesterweihe 1936 schickte ihn sein Provinzial in die USA, wo er sich auf medizinische Ethik spezialisierte. 1937/38 folgte ein geistliches Orientierungsjahr (Tertiat) in Cleveland mit einem Pastoraleinsatz unter spanischen Immigranten in New York.

Missionar in Japan

Schließlich erhielt er die Erlaubnis für die Mission in Japan, wo er im Herbst 1938 eintraf. 27 Jahre sollte er hier verbringen. Zuerst studierte Arrupe in Hiroshima Japanisch und ließ sich auf die Kultur ein: Bogenschießen, Teezeremonie, Zen-Meditation, Schreibkunst. Nebenher arbeitete er in einem Armenviertel in Tokio. Dann wurde er Pfarrer in Yamaguchi.

Kurz vor dem Überfall auf Pearl Harbour als Spion verdächtigt, wurde Arrupe von Anfang November 1941 bis Mitte Januar 1942 in Isolationshaft gesteckt. Nach der Entlassung wurde er Novizenmeister in Hiroshima, wo er am 6. August 1945 Zeuge des Atombombenabwurfs wurde. Nun funktionierte er das Noviziatshaus zu einem Notlazarett um und nahm schwierigste Operationen vor. 1958 wurde Japan 1958 eine eigenständige Ordensprovinz und Arrupe ihr erster Provinzial. Die hier arbeitenden Jesuiten stammten aus 30 verschiedenen Nationen. Der Orden engagierte sich in Pfarreien und Exerzitienhäusern, baute die Sophia-Universität in Tokio auf, betrieb Studentenhäuser.

Am 22. Mai 1965 wurde Arrupe zum 28. Generaloberen der Gesellschaft Jesu gewählt. Verdutzt fragte er seinen Nachbarn: "Und was mache ich jetzt?" Der antwortete geistesgegenwärtig: "Zum letzten Mal gehorchen."

Die oberste legislative Versammlung des Ordens trug ihrem neuen Chef auf, die Jesuiten weltweit vor Ort zu besuchen. Die erste von zahllosen Auslandsreisen führte ihn noch im selben Jahr in den Nahen Osten. Mit seinem gewinnenden Lächeln, gelegentlichen Gesangseinlagen mit seiner konzertreifen Baritonstimme, mit Charme und Witz konnte er Widerstände überwinden und Herzen gewinnen. Ein Kommunikationsreferat wurde eingerichtet, er gab Pressekonferenzen - bis dahin war der Jesuitengeneral praktisch "unsichtbar" gewesen.

Glaube und Gerechtigkeit

Im August 1968 nahm Arrupe an der Zweiten Generalversammlung der Lateinamerikanischen Bischöfe in Medellín teil. Im Anschluss daran forderte er die lateinamerikanischen Provinziäle auf, sich für soziale Gerechtigkeit einzusetzen und den Armen Priorität zu geben. Auf der 32. Generalkongregation 1974/75 formulierte der Orden dieses Anliegen im Dekret "Unsere Sendung heute". Es löste, nicht nur in Lateinamerika, teils heftige Spannungen aus, die bis heute nachwirken.

Arrupe litt darunter. Es schmerzte ihn, dass er zu Papst Johannes Paul II. nie jenes herzliche Verhältnis aufbauen konnte wie zu Paul VI. Als er 1980 zurücktreten wollte, lehnte der Papst ab, der Orden sei nicht reif für eine Neuwahl. Im Mai 1981 überlebte der Papst ein Attentat nur knapp, Arrupe erlitt bei der Rückkehr von einer Philippinenreise Anfang August einen Schlaganfall.

Päpstliche Intervention

Entgegen dem Ordensrecht betraute der Papst den fast 80-jährigen Jesuiten Paolo Dezza interimistisch mit der Leitung des Ordens. Es war der massivste Eingriff in den Orden seit seiner Aufhebung unter Clemens XIV. (1773). War der Papst damals schlecht beraten? Später besuchte Johannes Paul II. den Schwerkranken wiederholt auf der Krankenstation, nachdem die 33. Generalkongregation (1983) Arrupes Rücktritt angenommen und Peter-Hans Kolvenbach zu seinem Nachfolger gewählt hatte.

Arrupes lange Agonie endete erst am 5. Februar 1991, als er starb. Vor einigen Jahren wurde der Sarg Arrupes vom Campo Verano, dem römischen Friedhof, in die Jesuitenkirche Il Gesù überführt.

Eine seiner letzten Initiativen war die Gründung des Jesuit Refugee Service (JRS), als Rom 1980 von äthiopischen Flüchtlingen überschwemmt wurde. Den Begriff der "Inkulturation" hat er in die Kirche eingeführt.

Der Jesuitenorden verdankt dem unverbesserlichen Optimisten Pedro Arrupe unendlich viel, die Kirche insgesamt nicht weniger.

Der Autor ist stv. Chefredakteur der "Stimmen der Zeit" und Mitherausgeber der "Sämtlichen Werke" Karl Rahners.

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