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Kopftuch: Ja, aber. "Totalverschleierung": Nein. Eine Analyse des "Kopftuch-Streites" aus dem Blickwinkel der Religions-Juristin.

Europaweit stellen sich zunehmend Fragen im Zusammenhang mit der Einordnung des Islam und seinen typischen Formen der Religionsausübung in die jeweilige Rechtsordnung. Neben dem "Kopftuch-Streit" sind vor allem das Schächten, Moscheenbau und Muezzinruf, der koedukative Schwimmunterricht sowie arbeitsrechtliche Fragen zu nennen. Dabei stellt die mangelnde Verfasstheit des Islam eine nicht unwesentliche Komponente dar. In diesem Kontext nimmt Österreich erfreulicherweise eine Sonderstellung ein, als diese Einordnung grundsätzlich durch die Anerkennung der Islamischen Glaubensgemeinschaft 1912 erfolgt ist.

Kollidierende Positionen

Neben dem Schächten hat vor allem das Tragen des Kopftuches europäische Gerichte bis hin zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte beschäftigt. Besondere Aufmerksamkeit erregte die jüngste Entscheidung des deutschen Bundesverfassungsgerichts.

Derartigen Konfliktfällen liegen kollidierende Rechtspositionen zu Grunde: Im gegenständlichen Fall stehen auf der einen Seite die (positive) Religionsfreiheit der Lehrerin und die Gewährleistung des freien und gleichen Zugangs zu öffentlichen Ämtern unabhängig vom Religionsbekenntnis. Auf der anderen Seite ist der (negativen) Religionsfreiheit der Schüler bzw. ihrer Eltern und dem elterlichen Erziehungsrecht sowie dem Bildungsauftrag des religiös-weltanschaulich neutralen Staates Rechnung zu tragen.

Zunächst ist festzuhalten, dass das Tragen des islamischen Kopftuches grundsätzlich einen Akt der Religionsausübung darstellt und als solcher vom grundrechtlichen Schutzbereich mit umfasst ist. Wie das im Zusammenhang mit der Verwendung von religiösen Symbolen bzw. der Befolgung religiöser (Bekleidungs-)Vorschriften nicht selten der Fall ist, bleibt deren konkrete Sinndeutung im Einzelfall weithin offen. Eine Beurteilung der entsprechenden theologischen Grundlagen sowie der durch die Verwendung religiöser Symbole ausgedrückten Glaubenshaltung ist dem konfessionell neutralen Staat grundsätzlich verwehrt.

Vor allem ist es unzulässig, dem Tragen des islamischen Kopftuches schlechthin entweder eine fundamentalistische politische Haltung zu unterstellen oder ihm quasi automatisch eine missionierende und indoktrinierende Wirkung zuzusprechen. Eine solche geht wohl nicht vom bloßen Tragen des Kopftuches aus, sondern wäre vielmehr nur in Verbindung mit einer Unterrichtsgestaltung oder einem sonstigen Verhalten der Lehrerin denkbar, die im Widerspruch zu den Prinzipien der freiheitlichdemokratischen Grundordnung oder zum Geist religiös-weltanschaulicher Toleranz stünden und daher mit dem staatlichen Erziehungsauftrag unvereinbar wären.

Ebenso kann das Tragen des Kopftuches nicht generell als Zeichen für ein verfassungswidriges Frauenbild angesehen werden. Ein solches Verhalten kann in einem speziellen politischen Kontext vielmehr durch die Überzeugung mit bestimmt sein, sich für ihre Rechte als Frau im Allgemeinen und als Muslima im Besonderen einsetzen zu wollen: In diesem Zusammenhang sei auf die Türkei verwiesen, wo von manchen das Tragen des Kopftuches als ein emanzipatorischer Akt verstanden wird, gerichtet gegen das vom laizistischen Staat verordnete Kopftuch-Verbot.

Schule: Ja - Gericht: Nein?

Religionsfreiheit umfasst auch Freiheit von Religion und kann das Recht einschließen, mit religiösen Manifestationsformen und Symbolen nicht konfrontiert zu werden. Im Zusammenhang damit ist der Frage nachzugehen, ob eine immer wieder behauptete Suggestivwirkung des Kopftuches tatsächlich gegeben ist und auf mangelnde Toleranz der Trägerin weist oder ob die "Konfrontation" mit einem religiösen Symbol nicht sogar eher als ein Einüben in Toleranz auf Seiten der Schüler verstanden werden kann. Eines sei aber klargestellt: Eine das Gesicht nicht erkennen lassende "Totalverschleierung" in der Schule ist ohne jede Einschränkung als absolut unzulässig anzusehen.

Bei der Lösung des "Kopftuch-Streits" geht es um die Sicherung der Grundrechte aller Beteiligten im Sinn einer "fair balance", wobei die Funktion der Grundrechte als Minderheitenschutz zu beachten ist.

Im gegenständlichen Konfliktfall ist also von der unumkehrbaren institutionellen Trennung von Staat und Religionsgemeinschaften auszugehen. Die sich daraus ergebende religiös-weltanschauliche Neutralität verlangt allerdings, eine Differenzierung dahingehend vorzunehmen, ob der Staat in Kernbereichen hoheitlichen Handelns - wie etwa der Gerichtsbarkeit - tätig wird oder nicht. Während im Bereich Schule eine pluralistische Hereinnahme von Religion zu erfolgen hat, sind die hoheitlichen Kernbereiche durch deren Ausgrenzung bestimmt. In der Schule kommt es zu einer Begegnung unterschiedlicher Weltanschauungen und Werthaltungen. Sie ist daher auf einen offenen Dialog angewiesen, der stete Einübung in Toleranz voraussetzt. Dementsprechend würde der Befund hinsichtlich des islamischen Kopftuches im Falle einer Richterin anders zu lauten haben als im Fall einer Lehrerin.

Kritik am deutschen Urteil

Aus all dem ergibt sich, dass ein Kopftuch-Verbot - im Sinn eines notwendigen Abstellens auf die konkreten Gegebenheiten des Einzelfalles - nur bei einer nachhaltigen Beeinträchtigung des Schulfriedens in Betracht kommen sollte.

Bedauerlich ist, dass das deutsche Bundesverfassungsgericht zwar zahlreiche Argumente Für und Wider vorbringt, die Gewichtung und Abwägung jedoch ohne Richtungsweisung dem jeweiligen Landesgesetzgeber überlässt. Derartige Abwägungen vorzunehmen ist wohl die Aufgabe des Gesetzgebers. Von den Verfassungsrichtern hätte man sich dafür jedoch klare Vorgaben erwarten dürfen, wie sie aus dem Grundrechtskatalog des Bonner Grundgesetzes und dem Verfassungsprinzip der religiös-weltanschaulichen Neutralität des Staates abzuleiten sind.

Sowohl der Anlassfall als auch die Vorgangsweise der Verfassungsrichter machen deutlich, wie wichtig es ist, die sich in einer multikulturellen bzw. multikonfessionellen Gesellschaft stellenden Herausforderungen anzunehmen und - einem zeitgemäßen Grundrechtsverständnis verpflichtet - zu lösen. Und zwar in dem Sinn, dass Grundrechte nicht regional unterschiedlich gewährleistet werden, sondern dass in einem derart zentralen und sensiblen Bereich unserer Rechtsordnung klare und einheitliche Regelungen bestehen, die jedoch gleichzeitig Raum für eine adäquate Berücksichtigung des Einzelfalles lassen.

Die Autorin lehrt am Inst. f. Recht und Religion der Universität Wien.

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