Fairneß oder Sozialabbau?

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Die Debatte. Was bringt die neue Regierung?

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Die Debatte. Was bringt die neue Regierung?

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ZUM THEMA Präambel und mehr Bei der Vorstellung des schwarz-blauen Regierungsprogramms ging dessen Inhalt in der Aufregung - Befürwortung und Kritik - um die Präambel unter. Dazu kamen die beschwichtigenden Erklärungen, daß 80 Prozent des jetzigen Papiers auch schon so in der rot-schwarzen Variante gestanden seien.

Diese Meldungen verfolgten wohl das Ziel, die Einsicht zu verbreiten, daß ein Teil der Belastungen so oder so auf keinen Fall erspart geblieben wäre.

Ganz hat die Beruhigung aber nicht gewirkt, landauf, landab rühren sich Unmutsäußerungen, von seiten caritativer Organisationen, der Gewerkschaften, Arbeiter- und Angestelltenvertretungen. In dieser Furche-Debatte verteidigt Bundeskanzler Schüssel die großen Linien seines Programms. Kritik kommt von SPÖ-Klubobmann Peter Kostelka. WM Die Volkspartei ist in der neu entstandenen politischen Situation der einzige verläßliche Anker in der Mitte.

Von Wolfgang Schüssel Wir können auf unser Land stolz sein: Wir sind wirtschaftlich stark und wohlhabend, unsere Demokratie steht auf einem festen Fundament und wir können hohe soziale Sicherheit anbieten. Noch nie waren in Österreich so viele Menschen erwerbstätig. Die Prognosen für das Wachstum sind günstig, die Preise stabil, und Österreich ist eine stabile Demokratie.

All das ist nicht patriotische Schönfärberei, sondern die realistische Beschreibung des Zustandes unserer Republik. Österreich hat sich in den vergangenen Tagen auch nicht verändert. Bei manchen in- und ausländischen Beobachtern hat sich aber der Blickwinkel auf unser Land gewandelt. Österreich muß sich plötzlich Vorwürfen und Ängsten stellen. Auch hier im Land haben viele aufgrund von Demonstrationen und medialer Berichterstattung den Eindruck, die Welt sieht uns anders als wir uns selbst sehen. Unsere europäischen Partner und andere nehmen Anstoß an der Regierungsbeteiligung der FPÖ. Härte, Ausmaß, Geschwindigkeit der Maßnahmen und die Art des Vorgehens haben Österreich schockiert.

Vieles von dem, was über uns berichtet wird, ist nicht gerechtfertigt, wird undifferenziert dargestellt. Dieser überzogenen Kritik halte ich entgegen, daß alle im Parlament vertretenen Parteien zu den Grundwerten der Demokratie stehen. Aber ich will nicht verschweigen, daß es ein Problem der Worte, der Sprache und der Tonlage gibt. Es gilt für uns alle, daß wir in Zukunft mehr Sensibilität in unseren Äußerungen und mehr Feingefühl gegenüber anderen zeigen. Diese Regierung wird auch viele neue Wege gehen. Ich möchte das an drei - gerade für die Leser der Furche - wichtigen Beispielen demonstrieren: n Wir sind eines der wohlhabendsten Länder, und kennen trotzdem Armut. Diese Regierung verpflichtet sich, einen Beitrag zur sozialen Existenzsicherung zu leisten. Wir gehen davon aus, daß unser bestehendes Sozialsystem eine ausreichende Existenzsicherung für diejenigen garantiert, die aus eigener Kraft nicht voll am Erwerbsleben - und daraus abgeleiteten Sicherungssystemen - teilhaben können. Freunde etwa in der Caritas sagen uns, das Problem für viele der Ärmsten liegt im bürokratischen Dschungel, also im Zugang zu den Sozialleistungen. Wir werden daher in den Bezirken "Soziale Servicestellen" einrichten, um einen einfachen und transparenten Zugang zur sozialen Existenzsicherung zu ermöglichen.

n In einer nationalen Kraftanstrengung wird diese Regierung versuchen, die sprachlichen und sozialen Barrieren zwischen Inländern und Zuwanderern abzubauen. Beginnend in den Schulen bis hin zur Mediation in Konfliktsituationen zwischen einheimischer Bevölkerung und Zuwanderern. Das ist ein Quantensprung nach vorne in der Problemlösung dieser sensiblen Frage.

n Die Altersvorsorge geht einen jeden an. Daher werden wir einige Schritte zum Ausbau des Drei-Säulen-Systems unternehmen: Durch die Sicherung der gesetzlichen Pensionsversicherung, den Ausbau der betrieblich finanzierten Zusatzpension durch das Modell "Abfertigung neu" und einer weiteren Förderung der privaten Altersvorsorge durch steuerliche Anreize. Kernpunkt bleibt die gesetzliche Pensionsversicherung: Weil wir es uns auf Dauer nicht leisten können, daß viel zu viele viel zu früh in Frühpension gehen und sich nicht an das eigentlich gesetzlich vorgeschriebene Pensionsantrittsalter halten, werden wir diese Altersgrenze für die Frühpension um 18 Monate hinaufsetzen.

Diese Beispiele dokumentieren das hohe Maß an sozialer Verantwortung der neuen Regierung. In jeder dieser Maßnahmen soll der Wille zur Fairneß erkannt werden. Ohne diese soziale Verantwortung wäre die ÖVP als christdemokratische Partei diese Koalition auch nicht eingegangen. Denn die ÖVP ist in der neu entstandenen politischen Situation in Österreich der einzige verläßliche Anker in der Mitte.

Der Autor ist Bundeskanzler der Republik Österreich.

Der Preis für diese Koalition ist hoch. Anstatt die Bedürftigen zu stärken, wird die Gesellschaft auseinandergetrieben.

Von Peter Kostelka Wolfgang Schüssel hat sich seinen Amtsantritt wohl anders vorgestellt. Sicherlich hat er gewußt, daß es Proteste gegen seine Koalition mit der FPÖ im befreundeten Ausland geben wird. Sicher hat er, der sich gerne als allwissender Politstratege sieht, auch gewußt, daß es im Inland zu Widerständen gegen eine Regierungsbeteiligung der FPÖ kommen wird.

Schüssel wußte genau, daß der Preis, den er für diese Koalition zu zahlen hat, hoch sein würde. Aber er wollte Bundeskanzler werden, nach drei Jahrzehnten in der Politik endlich aus dem Schatten Anderer, die er immer für weniger geeignet hielt als sich selbst, heraustreten. Diesem Ziel wurde letztendlich alles andere untergeordnet. Dem persönlichen Machtanspruch Schüssels ist es somit zuzuschreiben, daß Österreichs Situation ist, wie sie ist: im Ausland isoliert und im Inland gespalten.

Vielleicht war Schüssel über die Wucht der Auslandsreaktionen überrascht. Sicher nicht überrascht konnte er darüber sein, daß es solche Reaktionen geben wird, denn diese sind ihm bereits Monate vor dem Pakt mit der FPÖ wiederholt angedroht geworden. Sicher hat Schüssel die Heftigkeit der Demonstrationen im Inland überrascht. Die Strategen einer Wiener PR-Agentur hätten sich andernfalls - abgesehen von der Doppelconference mit Haider in der Hofburg - etwas einfallen lassen müssen, um der neuen Bundesregierung die Benutzung der unterirdischen Gänge des Ballhausplatzes zu ersparen.

Wie konnte Schüssel einer solchen Fehleinschätzung unterliegen? Rudolf Burger, Professor für Philospie, sieht in einem Kommentar für die Tageszeitung "Die Presse" den Grund darin, daß "Schüssel, unbelehrt, immer noch auf einer altbackenen Korrespondenztheorie der Wahrheit beharrt und durch Taten irgendetwas beweisen will". Wolfgang Schüssel sei ein anderer Mensch geworden, suchen Parteifreunde eine andere Erklärung für Schüssels Verhalten. Nicht mehr offen für Diskussionen sei er, Debatten werden abgewürgt. Nicht mehr liberal im klassischen bürgerlichen Sinn sei er, sondern autoritär. Dem neuen Koalitionspartner angepaßt eben.

Die Erwartungen an das blau-schwarze Regierungsprogramm waren nach den Ankündigungen groß. Die Enttäuschung über den vorliegenden Pakt ist es nicht minder. Daß der neue Kurs auch nicht allerorts in der ÖVP akzeptiert wird, zeigen die Parteiaustritte einiger prominenter und vieler weniger prominenter Mitglieder der einstmals großen christlich sozialen Volkspartei. Als eine "Frage ihres Gewissens" etwa bezeichnete Eva Petrik, viele Jahre Präsidentin der Katholischen Aktion, ihren Austritt aus der ÖVP. Sie könne, so Petrik, nicht akzeptieren, daß die Partei mit der FPÖ koaliere. Von ihr werde es keine Stimme mehr geben. Auch die Fraktion Christlicher Gewerkschafter protestierte gegen den von Schüssel verordneten neuen Kurs. In einer Resolution wurde das Koalitionsabkommen in scharfer Form abgelehnt, weil es "weder den Grundsätzen der ÖVP, noch den Prinzipien der Christlichen Soziallehre entspricht und unsozial ist", so die Christgewerkschafter.

Unsozial - dieser Kritik der Christgewerkschafter am Programm der neuen Regierung will ich mich anschließen. Der FPÖ-ÖVP-Pakt bevorzugt die Falschen und legt jenen, die Hilfe brauchen würden, die Latte sehr hoch - ich meine - zu hoch. Leichtfertig werden von FPÖ und ÖVP Langzeitarbeitslose als "Sozialschmarotzer" abgestempelt, die Familienzusammenführung wird von beiden Parteien als notwendiges Übel und nicht als lohnende Aufgabe der Integration gesehen. Das vom Ex-Familienminister Bartenstein noch im Wahlkampf geforderte Verbot der Schubhaft für Kinder und Jugendliche kommt - dank FPÖ - im Regierungspakt mit keinem Wort vor. Dieses Programm, das unsere Gesellschaft auseinandertreibt statt sie zusammenzuführen, werden wir keinesfalls mittragen.

Der Autor ist Klubobmann der SPÖ.

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