Fasten und Kurs halten

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In Zeiten wie diesen, meint Kollege Sven Gächter im profil sinngemäß, soll man einen Kommentar nicht mit „in Zeiten wie diesen“ beginnen. Wohl wahr: Das Krisengerede ist inflationär, das „übliche Gesudere“ – ja, wir vermissen Alfred Gusenbauer – mag niemand mehr hören. Die „Krise als Chance“-Rhetorik stimmt zwar im Kern – was ist schon keine Chance? –, wirkt aber trotzdem seltsam schal. Damit punkten kann nur, wer gleichermaßen über Authentizität, Intelligenz und Sachkenntnis verfügt.

Groß ist natürlich auch die Versuchung – zumal für ein Blatt wie dieses, das sich ständig der Herausforderung einer Synthese von Denken und Glauben unterwirft – die Krise mit der eben beginnenden österlichen Bußzeit zu verknüpfen, also eine Art Fastenpredigt im globalen Maßstab vom Stapel zu lassen.

Da dürften dann Worte wie „Gier“, „Maßlosigkeit“ und der Appell zur Umkehr nicht fehlen. Erstere freilich hat es als Haltungen und Antriebskräfte immer schon gegeben – weil der Mensch in seinem Streben, mit Herz und Hirn, ein (potenziell) Maßloser ist. Zeugnis davon geben zahlreiche „Sternstunden der Menschheit“ – aber eben auch die Verbrechen und Gräuel der Geschichte.

Umdenken statt Umkehr

Und was die Umkehr betrifft: Vielleicht lautet ja gerade jetzt, da sie von allen beschworen wird, das Gebot der Stunde: Kurs halten. Im Übrigen heißt das meist mit „Umkehr“ übersetzte Wort im griechischen Originaltext des Neuen Testaments „metanoia“ – also Umdenken. Wer aber Kurs halten will, muss ständig umdenken, sich auf stets wechselnde Rahmenbedingungen einstellen, Unwägbarkeiten und Risken abschätzen, auftretende Hindernisse umschiffen.

Gerade also wer einem (inneren) Kompass folgt, muss sich immer neu orientieren, um die vielfältigen Wegmarken richtig zu deuten, nicht jedem Trend aufzusitzen, die Sirenen des Zeitgeistes von geistig substanziellen Stimmen unterscheiden zu können: Eben darin, in dieser Unterscheidungssituation, besteht die permanente, existenzielle Krise des Menschen – nicht nur in Zeiten wie diesen.

Kurs halten, das ist auch nahe an der ursprünglichen Bedeutung des Wortes „Fasten“, welches ein Fest-Stehen oder Sich-Fest-Machen meint. Und es hat mit Haltungen zu tun, die als der Fastenzeit in besonderer Weise angemessen gelten können: Nüchternheit und Gelassenheit.

Einen Schritt zurücktreten

Die größte Gefahr jeder akuten Krise, im individuellen Bereich ebenso wie auf politisch-gesellschaftlich-ökonomischer Ebene, liegt ja in einer durch hektische Betriebsamkeit und Aktionismus ausgelösten Eigendynamik, welche die Krise immer weiter verschärft (in der Politik kommt noch der medial gesteuerte Druck der Öffentlichkeit dazu). Demgegenüber täte der berühmte Schritt zurück, der es ermöglicht, das Gesamtbild (wieder) besser erfassen zu können, dringend not. Aber wer hat schon den Mut, die Ruhe, den langen Atem – in Zeiten wie diesen – dazu?

Da schnüren wir lieber in aller Eile unsere Hilfspakete (oder lassen schnüren), verteilen wechselseitig jede Menge Beruhigungspillen und rufen einander mit großer moralischer Geste zur Umkehr auf. Indes, wer zu viel umkehrt, könnte sich bald nur mehr um sich selbst drehen … „Ostern“, ohnedies immer nur als Hoffnung oder Verheißung am Horizont, muss solcherart zwangsläufig aus dem Blick geraten.

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