Fegefeuer der Gefühle

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Seit 1. Jänner sind in Wiens Spitälern ambulante Abtreibungen um nur 274,91 Euro möglich. Die "Aktion Leben" warnt vor der Signalwirkung solcher "Dumpingpreise" - und sieht in den umstrittenen Methoden von "Human Life International" einen Motor für diese Regelung.

Die Passanten am Wiener Fleischmarkt verlieren sich. Manche widmen den Schaufenstern noch einen raschen Blick, andere eilen zielstrebig zum Hauptpostamt. Nur die zwei vor dem Haus Nummer 26 haben an diesem Freitag Vormittag alle Zeit der Welt. "Wir sind vom Lebensschutz", erklärt die ältere Frau und teilt ein blaues Faltblatt aus. Ihr Kollege bleibt dagegen stumm und lässt allein sein Schaubild sprechen. "Zwölf Wochen" ist darauf zu lesen, darüber prangt ein menschlicher Fötus in Dunkelrot. Je näher man dem Eingang kommt, desto mehr Panik macht sich am Gehsteig breit. "Überlegen Sie es sich", beginnt die Frau plötzlich zu schreien, als der Wachdienst die Tür öffnet. "Töten ist keine Lösung!"

Seit Jahren wird das "Ambulatorium am Fleischmarkt" - mit 5.900 Schwangerschaftsabbrüchen pro Jahr Österreichs größte und älteste Abtreibungsklinik - regelrecht belagert. Mit Rosenkränzen und Plastikembryonen in der Hand versuchen die Mitglieder des Vereins "Human Life International" (HLI), Frauen im letzten Moment von einem Schwangerschaftsabbruch abzubringen. Auch vor der Privatklinik "Lucina" in Wien-Leopoldstadt, wo jährlich bis zu 1.000 Eingriffe (Abtreibungen oder Sterilisationen) vorgenommen werden, sind die Aktivisten präsent und demonstrieren einmal im Monat mit Gebetsprozessionen gegen den künstlichen Abort.

Spießrutenlauf von Frauen

Eine Vorgehensweise, die nicht nur bei den Klinikbetreibern und zahlreichen Frauenverbänden auf heftige Kritik stößt, sondern auch bei der "Aktion Leben", die allzu oft mit HLI in einen Topf geworfen wird. "Wir leiden selbst unter diesen Aktionen und distanzieren uns davon", stellt Generalsekretärin Gertraude Steindl gegenüber der Furche klar. "Was Frauen brauchen ist Beratung. Doch das ist keine Beratung."

In den letzten Tagen und Wochen erreichte Steindls Leiden seinen Höhepunkt. Unter anderem, um Frauen einen solchen "Spießrutenlauf" vor privaten Kliniken zu ersparen, hatte nämlich Wiens Gesundheitsstadträtin Elisabeth Pittermann (SP) angeregt, Abtreibungen "in die Sicherheit der öffentlichen Häuser zu holen und auf mehrere Standorte aufzuteilen".

Möglich wurde dies durch die Aufnahme von Schwangerschaftsabbrüchen in den Ambulanzkatalog der Wiener Spitäler. Zahlte eine Frau bisher zwischen 674 und 936 Euro für diese Leistung - sie wurde dafür als Sonderklassepatientin eingestuft -, so kostet eine Abtreibung seit 1. Jänner nur noch 274,91 Euro - und damit wesentlich weniger als am Fleischmarkt (450 Euro) oder in der Klinik "Lucina" (428 bis 460 Euro). Fünf Wiener Krankenhäuser würden nach Angaben Pittermanns diese ambulante Leistung anbieten: das Kaiser-Franz-Josef-Spital, das Krankenhaus Lainz, die Rudolfstiftung, das Donauspital und die Semmelweisklinik.

Kaum hatten Pittermann und Wiens Frauenstadträtin Renate Brauner (ebenfalls SP) die Neuerung verlautbart, wurde Kritik laut an der Regelung. So ortete die "Aktion Leben" ein gesellschaftlich verheerendes Signal, Schwangerschaftsabbrüche "zu Dumpingpreisen" durchzuführen. "Mit 274,91 Euro bietet Wien Abtreibungen wahrscheinlich europaweit am günstigsten an", gibt Gertraude Steindl zu bedenken. Ein Faktum, das innerhalb Österreichs und darüber hinaus zu einem regelrechten "Abtreibungs-Tourismus" führen könnte.

Gleichzeitig würden die öffentlichen Mittel zur Bewerbung der zahlreichen Beratungseinrichtungen stetig gekürzt, kritisiert die Generalsekretärin von "Aktion Leben". Auch auf viele jener flankierenden Maßnahmen, die im Rahmen der seit 1975 geltenden Fristenregelung eingemahnt wurden, warte man noch immer vergebens. "Es muss mehr als nur das Kindergeld geben", fordert Steindl. Dazu gehörten ein weiterer Ausbau der Sexualerziehung an den Schulen, in Wien eine Erhöhung des Familienzuschusses, kürzere Wartezeiten bei den Sozialämtern, ein Mutter-Kind-Heim, mehr Betreuungsplätze für Kinder unter drei Jahren sowie günstigere Kindergartenplätze.

Dass der Beschluss zur Möglichkeit ambulanter Schwangerschaftsabbrüche vom Wiener Landtag im Dezember 2002 einstimmig - also mit Unterstützung von ÖVP und FPÖ - gefällt wurde, quittiert Gertraude Steindl mit Verwunderung. Tatsächlich bezog die Wiener ÖVP erst vor wenigen Tagen in einer Aussendung Position: Zwar lehne man Schwangerschaftsabbrüche grundsätzlich strikt ab. Nichtsdestoweniger seien sie soziale Realität. Keinesfalls sei es die Intention gewesen, solche Eingriffe dadurch zu erleichtern, indem man sie "billiger" mache, heißt es. "Die Berücksichtigung von medizinisch-ethischen und sozialen Aspekten hinsichtlich der Situation der betroffenen Frauen hat aber bei der Entscheidung eine Rolle gespielt", erklärt die ÖVP.

Genau diese sozialen Aspekte werden auch von Gesundheitsstadträtin Elisabeth Pittermann ins Treffen geführt, um die strittige Entscheidung zu rechtfertigen: "Diese Maßnahme ist ja kein Aufruf, Kinder abzutreiben", stellt Pittermann fest. "Wenn aber ein Abbruch für eine Frau notwendig ist, dann soll er zu einem möglichst günstigen Preis durchgeführt werden können." Um mit der Notsituation der Frauen nicht auch noch Geschäfte zu machen, habe man den Selbstkostenpreis des Wiener Krankenanstaltenverbundes von 274,91 Euro für einen Abbruch gewählt. Dass es dadurch allgemein zu mehr Abtreibungen kommen könnte, glaubt Pittermann jedenfalls nicht.

Um die tatsächliche Zahl der Schwangerschaftsabbrüche ranken sich - nicht zuletzt wegen fehlender Statistiken - zahllose Mythen. Laut einer Studie auf Basis europäischer Daten ist jedenfalls von zehn bis 29 Abtreibungen pro 100 Lebendgeburten auszugehen. Für Österreich würde dies 19.000 bis 25.000 Schwangerschaftsabbrüche pro Jahr bedeuten. Umgerechnet auf die Bundeshauptstadt schätzt die Wiener Frauengesundheitsbeauftragte Beate Wimmer-Puchinger die Zahl der Abtreibungen auf über 4.600. Nur 343 davon wurden in öffentlichen Spitälern durchgeführt, der große Rest in den beiden Privatkliniken oder bei niedergelassenen Ärzten. Bei zwei Dritteln dieser Abtreibungen - für Frauen mit einem Einkommen von maximal 600 Euro - übernahm die Magistratsabteilung 12 (Wien Sozial) die Kosten. Exakte Zahlen sind aber auch hier Mangelware.

So konturenlos wie die Faktenlage entpuppt sich auch die weitere Vorgehensweise in den fünf Wiener Ambulanzen. Strittig ist, ob sich in den einzelnen Spitälern tatsächlich Ärzte finden, die diese Eingriffe vornehmen wollen (laut Paragraph 97 Strafgesetzbuch ist kein Arzt verpflichtet, einen Schwangerschaftsabbruch durchzuführen). "Die zwei Ärzte, die bisher an der Semmelweisklinik und auch am Fleischmarkt Abbrüche durchgeführt haben, gehen bald in Pension", erklärt Werner Grünberger, Primar in der Rudolfstiftung und in der Semmelweisklinik. Von ihnen abgesehen sei ihm kein weiterer Arzt bekannt, der diese Eingriffe vornehmen wolle.

Auch hinsichtlich der Beratung in den städtischen Spitälern scheiden sich die Geister. Zwar ist in Österreich - anders als in Deutschland - laut Gesetz keine verpflichtende Beratung vorgeschrieben. In der Praxis bestehten jedoch die meisten Ambulanzen auf den Besuch einer familienberatungsähnlichen Stelle. Umso heftiger kritisiert die Österreichische Gesellschaft für Familienplanung (ÖGF), die schon jetzt in mehreren Wiener Spitälern Beratungsstellen anbietet, das unkoordinierte Vorgehen der Stadt Wien. "Man hat mit uns nichts abgeklärt", ärgert sich Elisabeth Pracht, Geschäftsstellenleiterin der ÖGF. Zudem habe das Sozialministerium seine Zuschüsse seit Jahren eingefroren. "Momentan wissen wir nicht, wie wir das schaffen sollen."

Überforderte Spitäler

Auch in den Krankenhäusern herrscht Ratlosigkeit: So beklagt man im Kaiser-Franz-Josef-Spital, dass neben den drei wöchentlichen ÖGF-Beratungsstunden keine zusätzlichen Ressourcen zur Verfügung stehen. Auch in Lainz ist für die zwei geplanten Abbrüche pro Woche "noch nicht alles abgeklärt". Schließlich sieht man sich auch im Wilhelminenspital grundsätzlich zu ambulanten Abtreibungen bereit - aber nur, wenn man Beratung anbieten könnte. Fazit: Bitte warten.

Indes zeigt man sich in der Rudolfstiftung gerüstet. Die Frauen würden in die Beratungsstelle der ÖGF im Ambulatorium Wien-Mitte geschickt, heißt es auf Anfrage der Furche. Vor kurzem noch waren die Expertinnen freilich vor Ort. "Vor eineinhalb Jahren hat uns die Rudolfstiftung vor die Tür gesetzt", empört sich Elisabeth Pracht. Seit 1. Jänner würden nun die Frauen nach Wien-Mitte "oder irgendwohin" geschickt. Angesichts dieses Chaos sei eine einheitliche Beratungspraxis der Spitäler hoch an der Zeit.

Findet also jener Spießrutenlauf von Frauen, der am Fleischmarkt seinen Anfang nahm, in den Wiener Krankenhäusern seine (wenn auch etwas abgeänderte) Fortsetzung? Die zahlreichen Anlaufschwierigkeiten sowie die spärlichen Informationen für Frauen - mit einer Broschüre ist erst im Frühjahr zu rechnen - lassen dies vermuten. "Dabei gibt es viele Wege, Frauen in Notsituationen zu helfen", stellt Gertraude Steindl von der "Aktion Leben" fest: "Schwangerschaftsabbrüche als Lappalie darzustellen, gehört aber sicher nicht dazu."

InfoS zum Forderungskatalog der

"Aktion Leben" - "Brücken bauen in die Zukunft" - sowie zum Angebot an

Beratungsstellen unter (01) 512 52 21,

Internet: www.aktionleben.at

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