"Fehlende Offenheit ist der SYSTEMFEHLER"

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Der Chef der Erste Group, Andreas treichl, über persönliche lässigkeit, fehlende Unternehmenskultur, die Pizzaausflüge des Bundeskanzlers und die Frage von Moral und Reichtum im Bankwesen.

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Der Chef der Erste Group, Andreas treichl, über persönliche lässigkeit, fehlende Unternehmenskultur, die Pizzaausflüge des Bundeskanzlers und die Frage von Moral und Reichtum im Bankwesen.

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Seit 20 Jahren ist Andreas Treichl Generaldirektor der "Erste Bank", die zuletzt mit einem Milliardengewinn bilanzieren konnte. Treichl nimmt sich für gewöhnlich kein Blatt vor den Mund, wenn es um die Kritik an Politik und Gesellschaft geht. Ein Gespräch anlässlich des diesjährigen "Forum Christlicher Führungskräfte" in Göttweig, bei dem Treichl als Hauptredner auftritt.

DIE FURCHE: Herr Treichl, Sie haben kürzlich dem Standard ein Interview gegeben, das auch online verbreitet wurde. Darauf gab es dann Reaktionen im Netz. Einer der Leser schrieb: "Der Treichl ist ja noch eine coole Socke". Freut Sie so ein Kompliment?

Andreas Treichl: Mich ärgert im Netz nichts mehr.

DIE FURCHE: Es freut Sie nicht, dass ein Jugendlicher findet, Sie seien eine "coole Socke"?

Treichl: Natürlich freut es mich, aber in diesen Foren kann alles vorkommen und man wird ja auch beschimpft. So gesehen bin ich natürlich lieber eine "coole Socke" als eine "blöde Sau".

DIE FURCHE: Es ist aber trotzdem ein ungewöhnlicher Ruf für jemanden, der mit 20 Dienstjahren längstdienender CEO einer börsennotierten Bank ist. Hat das mit Ihrer schonungslosen Offenheit zu tun?

Treichl: Ja schon. Ich halte es für einen großen systemischen Fehler, nicht offen zu sein, sondern immer darauf zu schielen, nur ja keine Fehler zu machen. Wir erziehen ja Kinder auch schon dazu, keine Fehler zu machen, und das merkt man in manchen Branchen sehr stark. In der Politik, in der Kirche und bei den Banken zum Teil. Die Menschen tun sich sehr schwer damit zu sagen: "Ich habe einen Fehler gemacht". Ich habe eine völlig andere Einstellung dazu.

DIE FURCHE: Dann sind Sie aber auch in einer idealen Position. Ein Angestellter, der einen Fehler macht, bekommt keine verantwortungsvolle Position mehr. Sei das ein Manager oder ein Mitarbeiter bei einer Zeitung. Aber wie bringt man ein System dazu zu sagen, mach Fehler und lerne daraus?

Treichl: Das ist eine Erziehungssache und das geht bei uns völlig schief. Ich habe noch nie einen Politiker sagen hören, ich habe Mist gebaut. Ich glaube, dass das eine riesige Rolle spielt, warum wir keine unternehmerische Kultur in unserem Land haben. Es ist verpönt zu scheitern. Und wir gehen wahnsinnig schlecht mit dem Begriff Risiko um.

DIE FURCHE: Sie sagen, die "Erste" habe eine positive Bilanz geschrieben auch aufgrund einer neuen Kompetenz, die innerhalb des Unternehmens herrscht ...

Treichl: Wir haben einen großen Fortschritt gemacht darin, wie wir miteinander umgehen und wie wir unser Unternehmen betrachten. Heute sind alle Geschäftszweige miteinander verwoben und wir brauchen Manager, die übersetzen müssen. Wir sind extrem interdisziplinär geworden und haben eine andere Managementkultur aufgebaut, wo auch Hierarchien keine Rolle mehr spielen. Es gibt Gremien, wo ich an Leute berichte, die hierarchisch unter mir sind.

DIE FURCHE: Damit machen Sie das Gegenteil davon, was in der Politik gerade modern ist, nämlich einen "starken Mann" zu suchen, der alles kann. In Österreich wünschen sich 42 Prozent so einen "starken Mann", wie etwa Donald Trump.

Treichl: Man darf nicht nur an Amerika denken. Trudeau in Kanada macht das genaue Gegenteil. Ein total offenes Land, und er punktet genau damit. Das Prinzip ist, er holt das Beste aus den Menschen heraus. Er macht das genaue Gegenteil von Trump. Und er wird sicher wiedergewählt. Der Trump wird sicher nicht wiedergewählt.

DIE FURCHE: Warum nicht?

Treichl: "America first" ist super, aber das kann man ja nicht künstlich erzeugen, sondern man muss ein Umfeld schaffen. Wenn Trump sich aufregt, dass die reichen Amerikaner lieber Mercedes kaufen, dann sollte er sich nicht wundern. Die Kunden finden eben, dass ein Mercedes toller ist als ein Cadillac, deshalb kaufen sie ihn. Also muss er den Cadillac toll machen, damit der den Mercedes aussticht, und nicht Mercedes hinauswerfen. DIE FURCHE: Fragt sich, ob seine Wähler zu solchen Schlüssen kommen, wenn es einen wirtschaftlichen Kriegszustand mit entsprechender politischer Begleitmusik gibt. Treichl: Vergessen Sie nicht, dass Trump nicht einmal von der Hälfte der Amerikaner gewählt worden ist. Dazu war Clinton als Alternative, ähnlich wie die EU, ein Symbol für Ineffizienz und nicht glaubwürdig mit ihrem Versprechen, sich um den Mittelstand zu kümmern. So wie unsere Politiker auch nicht glaubwürdig sind. Man glaubt einem Juncker nicht mehr, dass er sich um die Menschen kümmert, und Martin Schultz glaubt man auch nicht.

DIE FURCHE: Aber glaubt man Christian Kern, wenn er Pizza ausführt, auch wenn jetzt alle darüber reden?

Treichl: Als Gag war das gut und cool gemacht. Ein Spass.

DIE FURCHE: Wie ist denn Ihre Einschätzung: Haben Politiker, die ernsthaft an den Job herangehen, immer ein rasches Ablaufdatum gegen die Populisten?

Treichl: Ich glaube schon, dass die Wähler gescheiter sind, als wir glauben. Aber die Politik ist unfassbar komplex geworden und wir sehen das ja jetzt in Österreich. Wir hätten eigentlich relativ talentierte Leute und trotzdem funktioniert es, aus welchen Gründen auch immer, als Team nicht. Wenn wir uns vorstellen, Herr Kern, Herr Schelling, Herr Kurz und andere gingen her und sagten, jetzt machen wir endlich etwas draus. Wenn die zusammenarbeiten würden, hätten sie eine solide Mehrheit und es würde unfassbar viel passieren.

DIE FURCHE: Da sprechen halt auch sehr viele Interessenverbände dagegen.

Treichl: Natürlich, die eigenen Parteien. Ich glaube, die Schwäche der Politik ist nicht eine des Personals, sondern der Strukturen. Warum soll man sich das heute noch antun?

DIE FURCHE: Haben Sie sich auch deshalb für die Privatwirtschaft entschieden?

Treichl: Nein, ich hatte einen Traum mit der "Ersten" und habe ihn teilweise in die Realität umsetzen können. Mir hat die Struktur so gefallen, sie war traditionell und bürgerlich, aber unabhängig. Und das ist bis heute so geblieben. Ich habe damals eine kleine Wiener Sparkasse übernommen und gerochen, dass man da etwas aufbauen kann. "Die Erste" ist eine der ganz wenigen Institutionen, wo man sich von den reinen monetären Zielen wegbegeben kann hin zu gesellschaftlichen Themen. Wir wollen nicht nur die Frage beantworten, was machen wir und wie, sondern auch, warum wir es tun.

DIE FURCHE: Haben diese Zielvorstellungen etwas mit Moral zu tun?

Treichl: Überhaupt nichts. Da zu moralisieren, halte ich für völlig falsch. Wir müssen uns eher davon wegbewegen. Ich selbst habe lange gebraucht, bis ich das für mich erkannt habe. Jetzt bin ich soweit, dass ich das auch vor meinen Mitarbeitern sage. Letztlich kann jede Firma dieser Welt sagen: Wenn ich etwas mache, das rechtlich passt und meinen Eigentümern nutzt, ist das okay. Wir müssen uns aber bei jeder Dienstleistung fragen: Ist es das Richtige für den Kunden? Unsere Aufgabe ist es sehr oft, nein zu sagen, um unseren Kunden das Richtige zu raten.

DIE FURCHE: Das sind Kundeninteressen und keine moralischen Interessen.

Treichl: Vielleicht kann man in vielen Fällen sagen, das sei moralisch, ich weiß nicht. Es hat jedenfalls Konsequenzen. Wenn nämlich alle unsere Konkurrenten ganz anders handeln. Wenn sie sagen, uns ist egal, ob das richtig oder falsch ist für den Kunden, wir machen es trotzdem und sind dadurch profitabler. In diesem Fall werden wir, die sich diese Frage stellen, pleite gehen.

DIE FURCHE: Ja, was tun dagegen?

Treichl: Die Antwort ist: Dann gehen wir eben pleite. Dann kann man so, wie wir das glauben, Bankgeschäft eben nicht mehr machen. Dann wird es ganz anders werden, total digitalisiert. Was wegfällt, ist der emotionale Teil, der auch ein Teil des menschlichen Lebens ist.

DIE FURCHE: Das Thema beim Forum Christlicher Führungskräfte in Göttweig ist heuer "Future Wealth". Was meinen Sie, wird Reichtum in Zukunft neu definiert werden?

Treichl: Natürlich gibt es Verschiebungen. Immer weniger werden wirklich reich und die werden dafür immer reicher und reicher. Gleichzeitig sind immer weniger, global gesehen, arm. Aber immer weniger haben die Chance, finanziell unabhängig zu werden. Und das ist der wirklich dramatische Qualitätsunterschied im Leben: Muss ich jeden Tag über meine finanzielle Situation nachdenken oder bin ich befreit davon?

DIE FURCHE: Wird aber Wohlstand so sehr mit der Arbeit in Verbindung stehen wie bisher?

Treichl: Nein. Ich halte es für vorstellbar, dass wir in eine Zeit kommen, in der die Anzahl der Menschen, die keine Arbeit haben und vom System abhängig sind, massiv zunimmt. Es kann auch sein, dass sich alles umdreht und die Menschen dafür bezahlen, dass sie Arbeit haben. Wir haben uns vor zehn Jahren auch nicht vorstellen können, dass wir für die Aufnahme eines Kredit etwas bekommen. Stellen Sie sich vor, sie bekommen eine Million und wir zahlen Ihnen tausend Euro pro Monat, weil Sie eine Million aufnehmen. DIE FURCHE: Ich wäre sofort dabei.

Treichl: Wären Sie ein Staat, würde es schon passieren.

Andreas Treichl

Seit 1997 ist Treichl Chef der "Erste Bank". Die Bank setzt neben der normalen Geschäftstätigkeit auf Programme für Soziale Integration, Kultur und Europa. Treichl startete auch die "Zweite Wiener Sparcasse" für Einkommensschwache.

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