Fehlkalkül auf der Krim

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Am Sonntag soll ein Referendum über die Zukunft des annektierten Teils der Ukraine entscheiden. Doch Moskau verrechnet sich.

Viktor Janukowitsch ist ein Mann von gestern. Das zeigte am Dienstag auch sein zweiter öffentlicher Auftritt in Russland nach seiner Entmachtung. Über seinen behaupteten "legitimen Anspruch“, an die Regierung in Kiew zurückzukehren, ist die Geschichte längst hinweggegangen. Unsinn ist es auch, wenn Janukowitsch vom "Terror“ seiner Gegner spricht. Die Revolutionäre auf dem Maidan haben vom Recht auf Widerstand gegen ein zutiefst korruptes, mafiaartiges Regime Gebrauch gemacht.

Allerdings gerät bei der Beurteilung der Lage in der Ukraine nicht nur bei Janukowitsch und seinem Schutzherrn, dem russischen Präsidenten Wladimir Putin, einiges durcheinander. Auch in der europäischen Öffentlichkeit herrschen in manchen Punkten - vorsichtig formuliert - Unklarheit und Unverständnis. Das gilt zuallererst mit Blick auf die neuen Machthaber in Kiew, die zwar keine "Terroristen“ sind, aber auch keine Heiligen, sondern Politiker, Aktivisten und einfache Bürger mit ihren je eigenen Interessen.

Das beste Beispiel dafür sind jene nationalistischen Kräfte, die Putin und Janukowitsch immer wieder Steilvorgaben geben, um die gesamte Oppositionsbewegung als "faschistisch unterwandert“ brandmarken zu können. Der inzwischen bereits berühmt-berüchtigte Rechte Sektor von Dmitri Jarosch, der Kampfverband Samoobrona (Selbstverteidigung) unter Andrej Parubij und die rechtsnationale Partei Swoboda (Freiheit) von Oleg Tjagnibok haben den Euro-Maidan in Wirklichkeit keineswegs im Griff, wie es der Kreml suggeriert, während der Westen das Phänomen bagatellisiert.

Die Wahrheit ist schlicht. Die rechten Kräfte versuchen, wie die früheren Oppositionsparteien von Julia Timoschenko und Vitali Klitschko auch, sich eine gute Startposition für die anstehenden Wahlen zu erarbeiten. Und sie vertreten nicht zuletzt westukrainische Interessen. Das wiederum ist mehr als verständlich, wenn man weiß, dass Janukowitsch ganze Regionen und Metropolen wie Lemberg über Jahre hinweg am ausgestreckten Arm verhungern ließ. Er kürzte oder strich staatliche Zuwendungen, wo er nur konnte. Selbst vor der Fußball-Europameisterschaft 2012, als Lemberg einer von vier ukrainischen Austragungsorten war, floss fast alles Geld nach Kiew und in den Osten des Landes, nach Charkiw und Donezk.

Zwischen West und Ost in der Ukraine geht es also keineswegs nur um nationale Bekenntnisse und Ideologien, sondern zuallererst um materielle Fragen. Das haben in Brüssel und Washington die wenigsten Verantwortlichen begriffen.

Die kurze Sicht des Kreml

Ein großes Unverständnis prägt zudem die westliche Sicht auf das Vorgehen des Kremls. Kurz vor dem Krim-Referendum herrscht zwar zu Recht Empörung darüber, dass Putin im Begriff ist, die Schwarzmeer-Halbinsel in einem eklatant völkerrechtswidrigen Gewaltakt zu annektieren. Nicht wenige Politiker und Beobachter verwechseln das kompromisslose Vorgehen des Kremlchefs mit Stärke. In Wirklichkeit handelt Putin aus Schwäche.

Richtig ist, dass Putin sein Ziel auf der Krim zunächst einmal erreichen wird. Die Bewohner der Halbinsel werden sich am kommenden Sonntag für einen Anschluss an Russland entscheiden. Ohnehin hat das Parlament, das die Macht in Simferopol illegal an sich gerissen hat, bereits Fakten geschaffen. Zur Not werden Putins paramilitärische Einheiten den "richtigen“ Gang der Dinge erzwingen. Die Interimsregierung in Kiew ist zu schwach, um Gegenwehr zu leisten. Und auch der Westen wird aus guten Gründen nicht militärisch eingreifen. Niemand in Berlin, Brüssel und Washington will wegen der Krim einen heißen Krieg riskieren. Doch was hat Putin damit gewonnen? Die Annexion der Krim wird den russischen Präsidenten teuer zu stehen kommen, auch wenn die Europäer mit schmerzhaften Sanktionen zögern. Mittel- und langfristig wird Russland dramatisch verlieren. Es ist gut möglich, dass Historiker eines Tages die Krim-Krise als den Anfang vom Ende der Ära Putin beschreiben werden. Denn das anscheinend so machtvolle Ausgreifen auf die Krim wird Russland mit dem Verlust der übrigen Ukraine bezahlen, die sich eher heute als morgen an den Westen binden wird.

Dabei geht es nicht mehr nur um das Assoziierungsabkommen mit der EU. Geostrategen in Brüssel und Washington holen bereits die alten Pläne für einen Nato-Beitritt der Ukraine wieder aus der Schublade. Diese Überlegungen gab es schon einmal, nach der Revolution in Orange im Herbst 2004. Damals überwog am Ende die Skepsis sowohl im Westen als auch in der Ukraine selbst. Niemand außer US-Präsident George W. Bush wollte Putin ausgrenzen. Das ist heute anders. Der Kremlchef provoziert mit seiner Ukraine-Politik somit genau das, was er seit zehn Jahren verzweifelt verhindern wollte: ein weiteres Vorrücken der westlichen Militärallianz nach Osten.

Putins Pläne mit der Krim

Noch ist offen, ob Putin Pläne hegt, nach der Krim noch weitere Gebiete aus der Ukraine herauszulösen. Wahrscheinlich ist das jedoch nicht. In den ostukrainischen Industrie- und Wissenschaftszentren Donezk und Charkiw geben, anders als auf der Krim, nicht prorussische Kräfte den Ton an. Vielmehr haben dort Oligarchen das Sagen. Sie waren es, die Janukowitsch im Februar fallen ließen und damit den Sieg der Opposition erst möglich machten. Das Ziel von Männern wie dem Stahl- und Kohlebaron Rinat Achmetow ist es keinesfalls, sein Revier an Russland zu übergeben.

Stattdessen wird er künftig lieber mit Leuten wie Timoschenko, Tjagnibok, Jarosch und Parubi das Einvernehmen suchen. Doch damit nicht genug. Immer offensichtlicher geworden ist in den vergangenen Monaten, dass Putin weder den Ukrainern noch seinen eigenen Bürgern ein attraktives Zukunftsmodell anzubieten hat. Russland verbreitet im postsowjetischen Raum Angst statt Hoffnung. Damit ist auf Dauer niemand zu überzeugen. Es gäbe also guten Grund, in den Hauptstädten der westlichen Welt selbstbewusst mit Putin in den politischen Ring zu steigen.

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