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Auch bei den jüngsten Regionalwahlen in Indien wurde mit hindunationalen Parolen Stimmung gegen die muslimische Bevölkerung gemacht.

In Indien fanden am 26. Februar in mehreren Bundesstaaten Wahlen statt. So wurde in Himachal Pradesh, Meghalaya, Nagaland und Tripura das Landtags-Parlament neu gewählt, in sieben weiteren Bundesstaaten fanden Nachholwahlen einzelner Abgeordneter statt. Wieder wurde im Wahlkampf von der regierenden BJP (Bharatiya Janata Party) auf "Hindutva", Hindutum, gesetzt.

Bei den vergangenen Dezember in Gujarat stattgefundenen Wahlen hatte diese Taktik hervorragend funktioniert. Der amtierende Ministerpräsident Narendra Modi hatte mit antimuslimischer und hindunationalistischer Rhetorik, begleitet von Übergriffen auf Muslime, eine überwältigende Mehrheit erreicht. Nicht so groß war der Erfolg bei diesen Wahlen: die BJP verlor in Himachal Pradesh, Meghalaya und Tripura Stimmen, nur im Bundesstaat Nagaland gab es leichte Zugewinne.

Tempel statt Moschee

Obwohl der indische Premierminister Atal Bihari Vajpayee (BJP) vor den Wahlen davor gewarnt hatte, das "Gujarat-Modell" zu wiederholen, benutzte er die einschlägigen Argumente. So verkündete er bei einem Wahlkampfauftritt in Himachal Pradesh, dass auf dem von Hindus und Muslimen beanspruchten Kultplatz in Ayodhya ein Ram-Tempel gebaut werden solle. Der Gott Ram repräsentiert ein über alle Kastengrenzen hinweg geeintes Hindutum, geeint im gemeinsamen Kampf gegen die Bedrohung von außen.

Und es blieb nicht bei Worten. Denn obwohl der Oberste Gerichtshof jede religiöse Aktivität auf dem Gelände, auf dem bis zu ihrer Zerstörung vor einigen Jahren eine Moschee stand, untersagt hat, hielt die hindunationalistische Organisation VHP (Vishwa Hindu Parishad - Welthindurat) inzwischen unter dem Gesang vedischer Hymnen eine Zeremonie ab, die den Baubeginn des Rama-Tempels einleiten sollte. Im Zuge der Streitigkeiten um den Tempel kam es zu den schwersten kommunalen Unruhen seit neun Jahren. Etwa 700 Menschen starben, als am 27. Februar Muslim-Extremisten die Insassen eines Zuges mit Freiwilligen aus Ayodhya lynchten. Eine Welle der Gegengewalt, ausgehend von Anhängern von VHP und BJ, konnte erst drei Tage später durch Sicherheitskräfte beendet werden.

In Gujarat hat inzwischen ein unabhängiges Bürgertribunal die Vorgänge rund um die Gewaltexzesse gegen die muslimische Minderheit im vergangenen Jahr untersucht, berichtet das linke indische Politmagazin Frontline. Als Auslöser für die Ausschreitungen galt bisher ein angeblich von Muslimen ausgeübter Brandanschlag auf einen Zug, bei dem 57 Mitglieder des VHP umgekommen waren. Doch forensische Untersuchungen ergaben, dass das Feuer eindeutig im Inneren des Zuges ausgebrochen war. Der Bericht legt dar, dass der Zugbrand von der regierenden BJP benutzt wurde, um die Hetze gegen die Muslime zu eröffnen. Der Vorwurf gegen Chefminister Narendra Modi und die verantwortlichen Regierungsstellen lautet, dass die Polizei keinen Befehl zum Eingreifen und zur Beendigung der offenbar geplanten Pogrome erhielt. Modi, die BJP und ihr nahe stehende Organisationen wie das "Nationale Freiwilligenkorps" RSS (Rashtriya Swayamsewak Sangh), die VHP und der Jugendverband Bajrang Dal werden direkt für die Gewaltverbrechen verantwortlich gemacht.

Hintergründe der Gewalt

Von Muslimen bewohnte Viertel wurden niedergebrannt, Geschäfte geplündert, Frauen vergewaltigt. Namrata Bali, Generalsekretärin von Sewa, der Gewerkschaft selbständiger Arbeiterinnen in Gujarat, berichtet von den Hilfsmaßnahmen ihrer Organisation: "Muslimische Frauen mussten nach Verlust all ihrer Habe in den Flüchtlingslagern mit dem Notwendigsten wie Essen, Kleidung und Medizin versorgt, traumatisierte verirrte Kinder untergebracht werden."

Julia Eckert, Mitarbeiterin am Max-Planck-Institut für Ethnologie im deutschen Halle, hat in der Zeitschrift Aus Politik und Zeitgeschehen die Hintergründe der Gewalt analysiert: "Die Konstruktion der Feindschaft von Hindus und Muslimen ist Teil eines nationalistischen Projektes, das über die Abgrenzung nach außen auf die Vereinigung nach innen zielt. Es geht darum, ein majoritäres Staatsverständnis entlang einer nach religiöser Zugehörigkeit definierten Einheit durchzusetzen." Hindutva, das zentrale Postulat des Hindunationalismus, fordere die Einheit aller Hindus über die Unterschiede in den Kasten und Sekten hinweg.

Der Hindunationalismus war in den zwanziger und dreißiger Jahren des 20.Jahrhunderts von Veer Damodar Sarvarkar und Keshav Baliram Hedgewar gegründet worden. Mit dem Ruf nach Einheit aller Hindus sollten vor allem Äußerungen von sozialen (Kasten-)Konflikten innerhalb des Hinduismus bekämpft und Gleichheitsforderungen unterbunden werden. So lehrt der RSS die traditionelle hierarchische Ordnung der vier Kasten als Voraussetzung für ein harmonisches Zusammenleben.

Die Wurzeln des Konfliktes zwischen Hindus und Muslimen reichen bis Ende des 19.Jahrhunderts zurück. Von der britischen Kolonialregierung wurde der "Indian National Congress", der Indien mit Hinduismus identifizierte, als Repräsentant der gesamten indischen Bevölkerung betrachtet. Da muslimische Eliten fürchteten, von der politischen Mitsprache ausgeschlossen zu werden, gründeten sie die "Muslim League" als eigenständige politische Organisation. Die Einführung getrennter Wahlkreise für Muslime in den 30er Jahren verstärkten die religiösen Trennlinien. Zwar wurde in der Verfassung Religionsfreiheit und Säkularismus festgeschrieben, doch die Hindunationalen vertreten die Auffassung, dass die Zugehörigkeit zu Indien über die Religion definiert wird. So schrieb Sarvarkar 1923 in seinem Buch "Wer ist ein Hindu", dass Sikhs, Jains und Buddhisten zu den Bürger Indiens dazugehören, nicht aber Christen und Muslime. Letztere werden zu fremden Aggressoren stilisiert. Dabei wird auf die Eroberung und Besetzung Indiens durch islamische Herrscher im zehnten bis 16. Jahrhundert angespielt. Dem aggressiven Muslim wird der tolerante Hindu gegenübergestellt. Doch dieser - so die Doktrin - muss lernen, sich zu behaupten. Hedgewar, der Gründer des paramilitärischen RSS, hat die Anwendung von Gewalt als notwendige Verteidigung gegen muslimische Angriffe begründet. Genau dieses Argument haben BJP-Politiker, RSS-Ideologen und VHP-Aktivisten bei den Wahlen im Jahr 2002 in Gujarat verwendet.

Erneuerung der Nation

Der Wiener Historiker Clemens Six, der über Hindunationalismus forscht, schildert den RSS als ideologisches Netzwerk, das sich über ganz Indien zieht. Zweimal täglich kommen die Mitglieder zu Andachten und Vorträgen zusammen, in denen sie indoktriniert werden. Die Mission laut Eigendefinition: "Der RSS übernimmt die Aufgabe, die Hindus zu vereinen. Die Erneuerung der Hindu-Nation ist im Interesse der gesamten Menschheit". Kampfsportübungen, militärischer Drill, strenge Hierarchie und Gehorsamspflicht gehören dazu. Ebenso die Propaganda: Kinderreiche Muslime werden als Bedrohung für das hinduistische Volk dargestellt. Realiter bilden die Muslime elf Prozent der Bevölkerung. Doch die Angstszenarien greifen selbst bei der Intelligenzija.

In der Politik verschmelzen antimuslimische Attacken mit dem Kampf gegen die ehemals übermächtige Congress-Partei. Die BJP stieg in dem Moment auf, in dem die Congress-Partei durch Quotenpolitik und Zentralisierung die städtische Mittelschicht und lokale Eliten benachteiligte. Auch hier musste die Propagierung des Feindbildes Islam dazu herhalten, innerhinduistische Konflikte zu überdecken. So berichtet die Ethnologin Julia Eckert in der Frankfurter Rundschau über die Gujarat-Pogrome: "Elegante Damen der Mittelklasse informierten per Handy über die ergiebigsten Plünder-Gelegenheiten. In ihren schnittigen Pajeeros transportierte die städtische Mittelklasse sowohl das Benzin für die Brandanschläge als auch das geplünderte Gut."

Gujarats Chefminister Narenda Modi hat im Wahlkampf vorgeschlagen, einen nationalen Sicherheitsdienst einzurichten, um illegale Ausländer zu identifizieren, sowie das Thema "nationale Sicherheit" auf den Schulplan zu setzen und eine Massenerziehungskampagne einzuleiten. Außerdem sollte der Bau eines Zaunes entlang der indisch-pakistanischen Grenze in Gujarat beschleunigt werden. Die BJP hat noch weitere Ideen. So kündigte Premierminister Vajpayee an, eine Gesetzeslücke zu schließen: Das Schlachten von Kühen soll im ganzen Land verboten werden.

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