Ratzinger - © picturedesk.com / Spaziani,Stefano / Action Press

Film "Verteidiger des Glaubens": Mit der Moderne nie fertig geworden

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Wieder hält sich der emeritierte Papst nicht ans versprochene Schweigen: Benedikts XVI. Zölibats-Plädoyer gilt als Affront gegen Franziskus. Doch eigentlich ist die Glaubensverteidigung à la Joseph Ratzinger gescheitert. Das macht auch ein wichtiger Film klar.

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Wieder hält sich der emeritierte Papst nicht ans versprochene Schweigen: Benedikts XVI. Zölibats-Plädoyer gilt als Affront gegen Franziskus. Doch eigentlich ist die Glaubensverteidigung à la Joseph Ratzinger gescheitert. Das macht auch ein wichtiger Film klar.

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Nun hat er sein bei seinem Rücktritt abgegebenes Versprechen endgültig ad acta gelegt: Er werde sich aus der Öffentlichkeit zurückziehen und als schweigend Betender seiner Kirche dienen. Die jüngste Aufregung, in deren Mittelpunkt Benedikt XVI. steht, zeigt aber einmal mehr, dass er sich an die selbst auferlegte Zurückhaltung nicht hält.

Letzte Woche erschien in Frankreich ein Buch zur Verteidigung des priesterlichen Pflichtzölibats. Die Publikation unter dem Titel „De profondeur de nos cœurs – Aus der Tiefe unserer Herzen“ wies auf der Titelseite als Autoren den als besonders konservativ und Franziskus-kritischen Kurienkardinal Robert Sarah sowie Benedikt XVI. (ohne Hinweis, dass er Emeritus ist) aus. Gemeinhin wurde dieses Buch als Affront gegenüber Papst Franziskus verstanden, dessen Dokument zur Amazoniensynode demnächst erwartet wird, wo es auch um eine mögliche Zulassung von „bewährten verheirateten Männern“ zur Priesterweihe gehen soll. Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. würde Franziskus auf diese Weise drängen, an der Zölibatsverpflichtung nicht zu rütteln, so der Tenor der Reaktionen von progressiv (ablehnend) wie konservativ (zustimmend).

Ratzinger ließ daraufhin durch seinen Sekretär, Erzbischof Georg Gänswein, erklären, er sei nicht Co-Autor des Buchs, sondern habe nur einen – wenn auch ausführlichen – Beitrag darin verfasst. Gänswein ersuchte Kardinal Sarah, dass Benedikts Bild und Autorenschaft vom Titelblatt des Buches ebenso entfernt werden wie die Unterschrift des Emeritus unter die Einleitung und den Schluss des Buchs. Sarah seinerseits versuchte, durch Veröffentlichung der Kommunikation mit Benedikt XVI. nachzuweisen, dass alles mit diesem abgesprochen war und er keineswegs den Ex-Papst für seine Agenda hätte missbrauchen wollen.
Die Mutmaßungen zur Genese der Publikation sind das eine. Viel dramatischer ist aber, dass sich das Bild von zwei Päpsten verfestigt – der eine, zurückgetreten zwar, aber für viele „Konservative“ immer noch der „eigentliche“ Papst. Der im Amt befindliche wird von diesen nicht für voll genommen.

Das ist theologischer wie kirchenrechtlicher Unsinn, aber in einer Zeit, in der die Wirkmächtigkeit von Bildern übergroß ist, stiften zwei weißgekleidete Kirchenführer schon Verwirrung. Und bekanntlich gibt es eine Normativität des Faktischen – bestimmte ultrakonservative Gruppierungen versuchen, genau dies zum Tragen kommen zu lassen.
Sowohl der Salzburger Fundamentaltheo­loge Gregor Maria Hoff als auch der Wiener Dogmatiker Jan-Heiner Tück wiesen in prominenten Medien darauf hin, dass es dieses „Zwei-Päpste-Problem“ gibt. Hoff schrieb in der Zeit, Benedikt XVI. verhalte sich wie ein emeritierter deutscher Professor: „Er entscheidet nicht mehr, aber fühlt sich für die Lehre weiter zuständig.“ Und mit dieser seiner Lehre gerate er in Kontrast zur Reformagenda von Franziskus, was konservative Kreise ausnützen würden. Der Emeritus habe Franziskus zwar „kindlichen Gehorsam“ gelobt, nähre aber immer wieder Zweifel daran. Hoff: „Benedikt XVI. warnt vor Kirchenspaltung, aber er forciert sie, wenn er an Franziskus appelliert, in Sachen Zölibat nichts zu ändern.“

Denn wenn er glaubt, so agieren zu müssen, dass er seinen Nachfolger präjudiziert, zeigt dies auch: Sein Vertrauen, dass der Heilige Geist die Kirche führt, ist enden wollend.

Ähnlich kritisierte Jan-Heiner Tück in der Neuen Zürcher Zeitung, dass Benedikt XVI. nach seiner Abdankung in Titel und Kleidung „papale Insignien“ beibehalten habe: „Das Konstrukt eines emeritierten Papstes aber befördert es, dass seinen Wortmeldungen in der Öffentlichkeit außergewöhnliche Diskursmacht zukommt, die die Entscheidungsprozesse des amtierenden Papstes nicht unbeeinflusst lässt.“ Auch Tück sieht den Handlungsspielraum von Franziskus in Sachen Zölibat nun eingeschränkt.
Sogar der italienische Historiker Roberto de Mattei, einer der eifernsten Gegner von Papst Franziskus und Hochhalter der reinen konservativen Lehre, nennt die derzeitige Lage ein „weit ernsteres Durcheinander“ und meint damit die „unnatürliche Kohabitation der beiden Päpste im Vatikan“, insbesondere wenn einer von ihnen, Benedikt XVI., nach dem Verzicht auf das Pontifikat seinen Namen und sein weißes Gewand behalte und den Apostolischen Segen gebe, der nur dem Papst zustehe.

Joseph Ratzinger, der Ex-Papst, gerät so am Ende seines Lebens in einen Strudel des Scheiterns. Denn wenn er glaubt, so agieren zu müssen, dass er seinen Nachfolger präjudiziert, zeigt dies auch: Sein Vertrauen, dass der Heilige Geist die Kirche führt, ist enden wollend.

Aufschlussreicher Ratzinger-Film

Kardinäle - © Flare Film
© Flare Film

Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt auch der ausgezeichnet recherchierte Dokumentarfilm „Verteidiger des Glaubens. Das Scheitern eines Papstes“ von Christoph Röhl. Der in Deutschland heiß diskutierte Film, der nun auch seine Österreichpremiere hat, blickt auf die Ära des Joseph Ratzinger vom Blickwinkel der Missbrauchscausen her und kommt zum Schluss, dass die hermetische Welt- und Menschensicht Ratzingers gar nicht die nötige Offenheit hatte, um die Kirche in der Moderne zu führen. Die Moderne, so viele der Gesprächspartner Röhls im Film, ist nach Ratzingers Überzeugung ja in sich schlecht. Solcher Zugang zeigt auch eine biografische Tragik dieses Papstes und lässt wesentliche Ursachen der Krise der Kirche völlig außer Acht. Wenn dann in der Missbrauchskrise das Hauptaugenmerk Benedikt XVI. vor allem auf der desavouierten Priesterschaft, deren Ruf er zu retten sucht, liegt und nicht auf den Opfern, dann wird klar, dass er die Menetekel der Zeit nicht verstanden hat.

Man kann Röhl nicht vorwerfen, bei der Untermauerung seiner Thesen einseitig vorgegangen zu sein. Er befragt die Erzbischöfe Georg Gänswein, den nächsten Vertrauten des Papa emeritus, und Charles Scicluna, der unter dem Glaubenskongregationspräfekten Ratzinger die Missbrauchs­causen bearbeitet hat. Auch die ehemalige Ordensfrau Doris Wagner kommt zu Wort, Zeugnisse aus Irland, Mexiko und den USA gibt es ebenso wie die der britisch-österreichischen Journalistin Christa Pongratz-Lippitt. Und wenn Wolfgang Beinert, enger Mitarbeiter Ratzingers an der Uni Regensburg und dort sein Nachfolger, schließt: „Was er wollte, hat er eigentlich nicht erreicht“, so trifft er ebenso den Punkt wie der deutsche Jesuit und Missbrauchsaufdecker Klaus Mertes, der nicht nur Ratzingers persönliches Scheitern konstatiert, sondern das Scheitern einer ganzen Ära.

Ratzinger-Film - © Realfilm
© Realfilm
Film

Verteidiger des Glaubens

Das Scheiterm eines Papstes

D 2019. Regie: Christoph Röhl.
Realfiction. 90 Min.

Österreichpremiere: Wien, So 26.1., 17 Uhr,
Filmhaus – Kino am Spittelberg.
Weitere Termine:
Krems, Kino im Kesselhaus, 9. und 12.2.;
Graz, Rechbauerkino, ab 21.2.

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