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Wie die Franzosen unter deutscher Besatzung ihren Wein verteidigten.Ein Räuber-und-Gendarm-Spiel auf Leben und Tod.

Die Rèsistance stellte das biblische Weinwunder auf den Kopf. Mit Fässern voll Wein wurden unter der Aufsicht deutscher Soldaten im besetzten Frankreich die Züge nach Deutschland beladen. Als sie ankamen, war in den Fässern Wasser. Ehrfürchtig der Blick biederer deutscher Offiziere, denen die Kellner im "Tour d'Argent", der Mutter der Pariser Luxusrestaurants, die mit dem Staub der Jahrzehnte bedeckten Flaschen unter die Nase hielten. Drin war Durchschnittswein vom Vorjahr, der Staub war freilich ein wahrer Cocktail vom Staub vieler Jahrzehnte: Er stammte von einer Teppichreinigungsfirma.

Als die Deutschen von den Franzosen eine Riesenmenge Wein in tropenfester Verkorkung verlangten, spielte die Rèsistance den Briten eine Warnung vor der deutschen Landung in Nordafrika zu. In den späteren Kriegsjahren wurden die Kellerlabyrinthe zu Stützpunkten der Rèsistance. Es ging um Tod und Leben, das Ganze hatte aber auch den Charakter eines Räuber- und Gendarm-Spiels. Je länger die deutsche Besetzung Frankreichs dauerte, desto mehr wurde aus dem Räuber- und Gendarm-Spiel des Widerstandes mit den Besatzern ein Spiel auf Leben und Tod.

Warum das Räuber- und Gendarm-Spiel zwischen Widerstand und Nazis im besetzten Frankreich möglich war, im besetzten Österreich aber nicht, wird beim Lesen des Buches "Wein & Krieg" von Don und Petie Kladstrup völlig klar. Da war ein 17-jähriger, der - alle Männer waren zur Zwangsarbeit ausgehoben - die gesamte Arbeit in den Weinbergen seiner Familie verrichtete und einer Rèsistancegruppe Informationen lieferte. Als sie aufflog, war er plötzlich für vier amerikanische Flieger verantwortlich, die er ursprünglich für wenige Stunden versteckt hatte. Einen davon im eigenen Haus, Wand an Wand mit einquartierten Deutschen. Er geht zu verschiedenen Leuten, von denen er gehört hat, sie würden mit dem Widerstand zusammenarbeiten. Ein Arzt wurde wenige Stunden zuvor von den Deutschen erschossen, ein anderer lässt ihn abblitzen, er geht mit den in ihren Verstecken durchdrehenden Fliegern sogar einmal ins Gasthaus, bis er sie nach 42 Tagen "weiterreichen" kann. Aber er wird nicht verraten.

Eine Begebenheit, die so in Österreich undenkbar wäre. In Frankreich war Widerstand unter den Augen großer Teile der Bevölkerung möglich, in Österreich nicht. Trotzdem gehörte das Verstecken abgesprungener alliierter Flieger auch hier zu den Aktivitäten des Widerstandes. Denkt man die Bedingungen, unter denen Nazigegner in Frankreich und hierzulande agierten, mit, wird das Buch noch spannender.

Es ging um Frankreichs Ressourcen. Zum Edelsten unter Frankreichs Ressourcen zählte sein Wein. Auf Wein in großen Mengen hatte es die Deutsche Wehrmacht abgesehen, auf die teuersten Weine der Welt war die deutsche Führung scharf. In großen Teilen Frankreichs stand daher der Wein im Mittelpunkt des immer gefährlicheren Räuber- und Gendarm-Spieles. In die Spezialabfüllungen für die Deutsche Wehrmacht füllten die Winzer grundsätzlich ihren schlechtesten Wein. Oft war er kaum trinkbar. Bei den Zwangslieferungen für Hermann Göring und Hitlers Berghof trauten sie sich nicht zu schwindeln.

Es mag auf den ersten Blick seltsam anmuten, dass dieses Thema bisher so stiefmütterlich behandelt wurde. Die Kladstrups, in Frankreich lebende Weinautoren, nahmen ihr Buch gerade noch rechtzeitig in Angriff. Die Personen, die noch Auskunft geben konnten, starben ihnen zum Teil während der Recherchen weg. Der wichtigste Grund für das lange Schweigen wird schnell erkennbar. "Wein & Krieg" ist ein Buch über die Schicksale französischer Weinbauern, Chateau-Besitzer und Champagnerhersteller im Zweiten Weltkrieg. Es ist ein Buch über die Rèsistance in den Weinbaugebieten. Über Gier, Raub und die ökonomische Seite des Krieges überhaupt. Aber auch über Opportunismus und Anpassung in der ersten Zeit des Vichy-Regimes unter Marschall Pétain.

Ein großer Teil der Franzosen war den Deutschen nicht freundlich gesonnen, aber entschlossen, die Dinge zu nehmen, wie sie waren. Die Winzer produzierten nicht für ihre Keller, sondern für den Markt und waren gern bereit, ihren Wein, den sie sonst niemandem mehr verkaufen konnten, nun eben den Deutschen zu verkaufen. 1940 hatte das Wort Kollaboration in Frankreich noch einen guten Klang. Erst die Brutalität und maßlose Gier der Besatzer, die Frankreich ausquetschten, brachte mehr und mehr Franzosen auf die Seite der Rèsistance.

Bereits eine der ersten Amtshandlungen nach der Besetzung von Paris am 14. Juni 1940 galt dem "Tour d'Argent". Ein hoher Offizier wünschte im Auftrag Hermann Görings den Weinkeller zu sehen "und insbesondere die berühmten Flaschen von 1867". Gerade die 1867er seien leider total ausverkauft, keine einzige Flasche mehr vorhanden, versicherte der innerlich vor Angst schlotternde Geschäftsführer Masson dem ungläubigen Besatzer, er könne ja die Keller durchsuchen. Die wertvollsten Weine des Hauses, 20.000 Flaschen des Jahrganges 1867, waren einen Monat vorher eingemauert worden. Der Geschäftsführer bereute nun, dass er nicht wenigstens einige als Alibi liegen gelassen hatte. Die Deutschen drehten im fünf Stockwerke unter der Erde gelegenen Gewölbe jede Flasche um. Die gut getarnte Mauer entging ihrem Blick. Die zurückgebliebenen 80.000 Flaschen waren neuen Gästen vorbehalten: deutschen Offizieren.

Über den Kunstraub im besetzten Frankreich wurden in den letzten Jahren mehrere Bücher geschrie-ben. "Reichsmarschall" Hermann Göring war der größte Kunsträuber aller Zeiten, aber als Weinräuber war er nicht weniger tüchtig. Dass er durchgehend als "Generalfeldmarschall" tituliert wird, ist einer der wenigen Fehler im Buch. Auch der größte Weinverächter der Welt hielt sich für Gäste und Getreue einen der größten Weinkeller aller Zeiten. Panzer des französischen Generals Leclerc unter US-Kommando düpierten die Amerikaner, erreichten Berchtesgaden vor ihnen, hissten für einige Stunden die Trikolore und öffneten den Weinkeller des "Führers". Sie fanden Hunderttausende Flaschen der besten Weine aller Zeiten, Chateau Lafite, Chateau Mouton, Chateau d'Yquem, Romanée-Conti, von allem die besten Jahrgänge, Portweine und Cognacs des 19. Jahrhunderts, dasselbe auf dem Gebiet des Champagners. Der Schatz wurde unter größter Vorsicht abtransportiert. Die GIs konnten sich mit den 10.000 Flaschen in Görings Keller trösten.

WEIN & KRIEG

Von Don und Petie Kladstrup Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2002 380 Seiten, Fotos, geb., e 24,70

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