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Franz Fuchs, ein Irrgänger des Lebens

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Der Bomben-Bastler von Gralla gibt weiterhin Rätsel auf. Alfred Pritz, Präsident des Weltverbandes der Psychotherapeuten, sucht eine Erklärung in der Biographie des verhafteten Stei-rers.

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Der Bomben-Bastler von Gralla gibt weiterhin Rätsel auf. Alfred Pritz, Präsident des Weltverbandes der Psychotherapeuten, sucht eine Erklärung in der Biographie des verhafteten Stei-rers.

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DIEFURCHE: Ist Franz Fuchs auch für die Psychotherapie ein ungewöhnlicher Fall?

Alfreken PRITZ: Der „Fall Fuchs” ist insofern ungewöhnlich, als er mit dramatischen Gewaltakten in Verbindung gebracht wird, die außerdem in einem öffentlich-politischen Kontext stehen. Ks ging nicht nur darum, jemanden zu verletzen oder zu töten, sondern möglicherweise auch um eine politische Argumentation. Faktum ist, daß der Mann sich selbst verstümmelt hat. Schon allein das deutet darauf hin, daß er eine ganz besondere Persönlichkeitsstruktur hat, wobei wir im Augenblick natürlich immer nur über Sekundärinformationen sprechen können.

DIEFURCHE Innenminister Karl Schlögl verwendete den Ausdruck „Psychopath”. Ist Franz Fuchs einer? PlUTZ: Psychopath ist jemand, der etwas zu einem ganz bestimmten Zweck durchführt. Er macht das allerdings ohne Gewissen und ohne Schuldfähigkeit. Ein Psychopath kann sich nicht in die Lage anderer Menschen hineinfühlen, also zum Beispiel in die Situation eines möglichen Opfers.

Nehmen Sie Hitler her: auch er hatte eine psychopathische Struktur. Es wird ein abstraktes Ziel hergenommen - in diesem Fall zum Beispiel die Befreiung von allem Fremdländischen - und dafür werden Menschen geopfert. Wie die Opfer diese Situation erleben, danach wird nicht gefragt.

DIEFURCHE: Ist das eine psychische Störung?

Pritz: Ja. Wenn ein Mensch überhaupt kein Einfühlungsvermögen hat, dann liegt ein ganz gravierendes Problem vor.

DIEFURCHE: Reichen die bisher bekannten Erklärungen über Franz

Fuchs aus, um ihn zu begreifen? Ein Einzelgänger, hält sich für ein verkanntes Genie, eine Ausländerin brennt vor Jahren mit seinen Ersparnissen durch ...

PRITZ; Nein..Wir alle erleben immer wieder Kränkungen und Enttäuschungen; im Liebesleben in der Regel sogar mehrere im Laufe des Lebens. Da müßte dann jeder ein Psychopath werden, was natürlich nicht der Fall ist. Es bedarf also schon häufiger Ohnmachtserfahrungen. Diese sind außerdem gekoppelt mit einer gewissen kriminellen Energie. Mit ihr werden diese Ohnmachtsgefühle projektiv bewältigt. Das heißt, es werden Schuldige ausgemacht. Die sind dann die Verursacher, daß es mir schlecht geht, daß ich ohnmächtig bin oder in meinem Leben nicht das erreichen konnte, was ich wollte.

In der Regel reagieren Menschen auf Kränkungen mit Rückzug oder stellen sich neuen Aufgaben, knüpfen neue Beziehungen. Oder sie werden depressiv. Im Laufe der Verarbeitung der Kränkung hellt sich die Depression wieder auf. Oder man greift zu selbstschädigenden Mittel wie Drogen, Alkohol, Arbeitssucht, Autorase-rei, oder sucht sich andere „Vergnügungen”. Eine Psychopath tut das nicht. Der beschuldigt - wie möglicherweise im vorliegenden Fall - bestimmte Gruppen der Gesellschaft. Die eigenen Aggressionen werden auf jemanden Außenstehenden als Verursacher des Leides projiziert.

DIEFURCHE: Sie sagten, Psychopathen können sich nicht in die Lage anderer hineinversetzen Wie paßt das zusammen mit Spenden von Fuchs fiir Arme oder seine Hilfsbereitschaft gegenüber Schwächeren'

Pritz: Sie dürfen sich Psychopathen nicht nur als kalte Menschen vorstellen. Solche Menschen zeigen nicht nur schwere Brüche in der Persönlichkeit, sondern haben außerdem ein Problem mit der Bewältigung von aggressiven Impulsen.

Man darf sich auch nicht vorstellen, daß so jemand nie Gefühle hat. Im Gegenteil. Man weiß von Nazimördern, daß sie liebevolle Beziehungen hatten.

Hitler liebte Kinder und hat sie trotzdem massenweise in den Tod geschickt. Das hat wahrscheinlich der Innenminister auch damit gemeint, wenn er im Zusammenhang mit Franz Fuchs von „Schizophrenie” sprach.

Es gibt ja beispielsweise die „Liebe” zu einer Ideologie, die einen dazu bringt, andere zu vernichten. Wir kennen das im kleinen Bereich auch aus Partnerbeziehungen: man verletzt oder vernichtet gerade den, den man liebt.

Diese Vorstellung, es geht einem besser, wenn man jemanden vernichtet, die trifft ja bei vielen Menschen zu. Nur verfügen sie nicht über diese kriminelle Energie.

DIEFURCHE: Interpretieren Psychopathen auch das politischgesellschaftliche Umfeld auf ihre A rt? Meinte Fuchs vielleicht, sehr viele Österreicher fiihlen sich durch Ausländer bedroht? PfUTZ: Ja, und es stecken da auch bestimmte Heldenideen dahinter. Die Vorstellung ist: Wenn man jene Politiker oder Menschen, die sich besonders um Ausländer kümmern, verstümmelt oder tötet, wird Österreich von Fremden „ gesäubert”, und es geht uns allen wieder besser.

DIEFURCHE: Esfei auch immer wieder das Wort „schizophren”. Triff das bei Franz Fuchs auch zw> PRITZ: Nein, er hat - soweit man das jetzt beurteilen kann - keine entsprechenden Symptome. Schizophrenie ist gekennzeichnet durch mehrere Symptomlagen: ein Hauptproblem sind formale Denkstörungen, dazu kommen Halluzinationen, eine schwere Labilisierung des psychischen Bereiches, oft begleitet von somatischen Störungen wie zum Beispiel schweren Schlafproblemen, Aufgeregtheit und so weiter. Jemand, der an einer schizophrenen Psychose erkrankt, ist nicht so zielorientiert handlungsfähig.

DIEFURCHE: Wann kommt der Moment, wo sich vieles im Innenleben so verdichtet, daß das Unglück seinen Lauf nimmt

Ein Mensch verwandelt sich in ein tödliches Geschoß...

Pritz: Ab einem gewissen Zeitpunkt stellt sich eine Verengung des Bewußtseins ein. Das ist übrigens nicht nur bei psychopathischen Persönlichkeiten der Fall: Wenn jemand starke Angst oder starke Depressionen hat, engt sich auch das Bewußtsein ein. Es gibt dann oft Auslöser nach dem Motto: jetzt reicht's! Aber das ist die Folge einer Ereigniskette, f n der Regel handelt es sich nicht um ein einziges Ereignis, sondern um die vorhin erwähnte Mischung aus der „Liebe zu einer Ideologie” gekoppelt mit Charakterstörungen und Öhn-machtserfahrungen.

Es gibt auch Psychopathen, die eine religiöse f dee wählen und so etwas machen. Diese Persönlichkeitsstruktur muß nicht mit der fdee „Ausländer raus!” verbunden sein. Es gibt auch andere Möglichkeiten. dieFurche: Das alles ist schwer nachvollziehbar. ..

Pritz: In seinem System denkt ein Psychopath logisch, vernünftig und präzise. Er schlägt die Zeitung auf und wird ständig bestätigt.

DIEFURCHE: Gibt es viele potentielle Psychopathen in Österreich? PlUTZ: Nein, die sind zum Glück selten. 1 Die Struktur dazu ist natürlich in jedem Menschen ein bißchen vorhanden. Es kennt ja auch jeder das Gefühl der Depression und trotzdem ist nicht gleich jeder depressiv.

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