Franz Jägerstätter - © Diözese Linz

Franz Jägerstätter: Eine Strahlkraft besonderer Art

19451960198020002020

Pazifisten in den Vereinigten Staaten, ehemalige Angehörige der deutschen Wehrmacht: Ganz unterschiedliche Menschen bewegt das Zeugnis des Kriegsdienstverweigerers Franz Jägerstätter, der vor 60 Jahren hingerichtet wurde.

19451960198020002020

Pazifisten in den Vereinigten Staaten, ehemalige Angehörige der deutschen Wehrmacht: Ganz unterschiedliche Menschen bewegt das Zeugnis des Kriegsdienstverweigerers Franz Jägerstätter, der vor 60 Jahren hingerichtet wurde.

Werbung
Werbung
Werbung

Seit 20 Jahren kommen sie am 9. August in der Pfarrkirche von Ostermiething/OÖ zusammen. Um 16 Uhr, der Todesstunde Franz Jägerstätters, läutet die große Glocke - drei Minuten lang Schweigen. Nach der Gebetsstunde machen sich die Pilger auf den Weg ins zwölf Kilometer entfernte St. Radegund. In der Kirche, wo Franz Jägerstätter Mesner war und an deren Mauer der Blutzeuge begraben liegt, wird weiter gebetet - und gefeiert. Heuer, zum 60. Jahrestag der Hinrichtung Jägerstätters, erwartet Erna Putz, Jägerstätter-Biografin und Initiatorin des jährlichen Gedenkens, besonders viele Teilnehmer, die Kirche von St. Radegund wird wohl zu klein sein...

Navigator

Liebe Leserin, lieber Leser,

diesen Text stellen wir Ihnen kostenlos zur Verfügung. Im FURCHE‐Navigator finden Sie tausende Artikel zu mehreren Jahrzehnten Zeitgeschichte. Neugierig? Am schnellsten kommen Sie hier zu Ihrem Abo – gratis oder gerne auch bezahlt.
Herzlichen Dank, Ihre Doris Helmberger‐Fleckl (Chefredakteurin)

diesen Text stellen wir Ihnen kostenlos zur Verfügung. Im FURCHE‐Navigator finden Sie tausende Artikel zu mehreren Jahrzehnten Zeitgeschichte. Neugierig? Am schnellsten kommen Sie hier zu Ihrem Abo – gratis oder gerne auch bezahlt.
Herzlichen Dank, Ihre Doris Helmberger‐Fleckl (Chefredakteurin)

Aus Oberösterreich kommen sie, aus dem restlichen Österreich, aus Deutschland, Italien, der Schweiz, den Niederlanden, Großbritannien, den Vereinigten Staaten - und von anderswo - zum Gedenken, zu einem Symposium, zum Erfahrungsaustausch in Jägerstätters Hof, der heute als Begegnungs- und Gedenkstätte dient. Was führt diese Menschen mit unterschiedlichstem Hintergrund zusammen? Der Bauer Franz Jägerstätter, der - von der Kirchenleitung keineswegs unterstützt - aufgrund seiner tiefen Glaubensüberzeugung partout nicht für Adolf Hitler in den Krieg ziehen wollte und deswegen am 9. August 1943 in Brandenburg hingerichtet wurde, hat eine Strahlkraft besonderer Art entwickelt.

Das ist auch der Beharrlichkeit seiner Witwe Franziska zu danken, die lange Jahre um Anerkennung und gegen die Verachtung ihres Mannes kämpfen musste. Zum 90. Geburtstag, den Franziska Jägerstätter im Frühling begangen hat, ist ein Band mit Briefen an sie erschienen (vgl. Buchtipp): Die 59 Briefschreiber kommen aus oben genannten Ländern; ein Blick in diese Briefe zeigt den bunten Strauß an Lebenswelten und Motivationen, der diese Menschen aus aller Welt rund ums Zeugnis des Franz Jägerstätter zusammenführt.

"Wir haben einander gestärkt" - © Ediition Kirchen Zeitung
© Ediition Kirchen Zeitung
Buch

Wir haben einander gestärkt

Briefe an Franziska Jägerstätter zum 90. Geburtstag
Hg. von Erna Putz und Manfred Scheuer
Edition Kirchenzeitung, Linz 2003, 224 S., EUR 13,-

Amerikanische Pazifisten

Da sind die "Amerikaner", die Jägerstätter früh entdeckten: Die Jägerstätter-Biografie des amerikanischen Pazifisten Gordon Zahn aus dem Jahr1967 löste eine erste "Jägerstätter-Welle" aus. (Als 1965, beim II. Vatikanischen Konzil, der liberale Erzbischof Thomas Roberts - unterstützt von den Wiener Friedenskämpfern Jean und Hildegard Goss - mit dem Hinweis auf Franz Jägerstätter einen Passus über Wehrdienstverweigerung in die Pastoralkonstitution "Gaudium et Spes" hineinreklamierte, war Jägerstätter in Österreich unbekannt.) Galionsfiguren wie die Brüder Daniel und Philip Berrigan, die in den USA der 60er und 70er Jahren als katholische Ordensleute den Vietnamkriegs-Protest anführten, beriefen sich auf Jägerstätters Vorbild.

Diese "amerikanische" Strahlkraft des Innviertler Bauern hat sich bis heute bewahrt: Der Detroiter Weihbischof Thomas Gumbleton, häufiger Gast bei den Gedenk-Events in St. Radegund, weiß sich ebenfalls in der Nachfolge Jägerstätters einem radikalen Friedensengagement verpflichtet.

Ende März 2003 geriet Bischof Gumbleton in die Schlagzeilen, als er als Antikriegs-Demonstrant vor dem Weißen Haus verhaftet wurde. "Zwei große Gnaden aus einem kleinen Dorf!" schreibt Gumbleton im Buch an Franziska Jägerstätter - und meint damit die Gnaden des Zeugnisses von Franz und Franziska, denen er sich zuteil weiß.

Hierzulande brachte 1971 Axel Cortis Film "Der Fall Jägerstätter" den Umschwung in der öffentlichen Wahrnehmung. Dass sich seither - neben Friedensbewegten - auch einige Weltkriegsteilnehmer Leben und Zeugnis des Franz Jägerstätter zum Anlass nahmen, um die eigene "Kriegsgeschichte" neu zu bewerten, ist wahrscheinlich die spannendste Entwicklung, die durch Jägerstätters Beispiel ins Rollen gebracht wird.

Rechtzeitig zum 60. Todestag Jägerstätters hat etwa der pensionierte Münchner Gymnasialdirektor Josef Kurz ein Buch herausgebracht, das auf seinen wiedergefundenen Briefen aus dem Krieg 1942 bis 1945 fußt (vgl. Buchtipp). Der 79-jährige Kurz beschäftigt sich seit 15 Jahren mit Jägerstätter, auch er gehört heute zu den "Pilgern", die alljährlich am 9. August nach St. Radegund kommen.

"Aber du warst doch Soldat" - © Wagner Verlag
© Wagner Verlag
Buch

"Aber du warst doch Soldat!" War ich nicht auch Christ?

Briefe, Tagebuchaufzeichnungen und Reflexionen des Soldaten Sepp K.
Von Josef Kurz
Edition Kirchen-Zeit-Geschichte
Linz 2003, 152 S., EUR 11,90.-

Vergangenheit neu lesen

Solcherart angestoßenes Nachdenken, die "Relecture" der eigenen Lebensgeschichte, führt zur Schärfung des Gewissens - auch für Nachgeborene - und hilft, die Unterscheidung der Geister zu erlernen. Natürlich, war nicht alles, was der Soldat Josef Kurz getan und erlebt hat, schlecht. Es war aber auch nicht nur unausweichliches Schicksal; Kurz muss sich heute über manche seiner Gedanken von damals wundern: "Laß mich stehen, mein Gott, / wo die Stürme wehen, / und schone mich nicht! / Das Kind wird vergehen, / der Mann / wird bestehen. / Behüte mich nicht!" Solches Gedicht fand Josef Kurz in seinen Aufzeichnungen des Jahres 1942 - und er lässt bei sich selbst und seinen Leser keinen Zweifel aufkommen, dass er weiß, wie sehr er - aus heutigem Blickwinkel - in den damaligen Zeitgeist verstrickt war.

Ähnliches ist dem heute 76-jährigen Franz Garnweidner - er wurde 1944 als 17-Jähriger eingezogen - widerfahren, als ihm vor mehr als 30 Jahren eine Jägerstätter-Biografie in die Hände gefallen ist. Garnweidner beschreibt in der ORF-Sendung FeierAbend, dass ihn darin manche Sätze nicht mehr losgelassen haben, etwa wenn "Jägerstätter schreibt: Gibt es etwas Niederträchtigeres als auf Menschen zu schießen, die ihre Heimat verteidigen?!' Da ist mir zum ersten Mal aufgefallen, dass ja auch die Polen Frauen und Kinder haben - das ist uns ja nie gesagt worden."

Eigenes Denken einschalten

Garnweidner hat da vor allem darüber nachzudenken begonnen, dass man - entgegen dem, was einem beigebracht wurde - nicht blind auf Obrigkeiten vertrauen darf, sondern dass man das eigene Denken und das eigene Gewissen einschalten muss. Er lernte auf diese Weise, keine Institution mehr absolut zu setzen: "Jägerstätter hat den Zeiger der Uhr wieder auf 12 gestellt - speziell für mein Katholisch- und Christ-Sein. Denn dass es nicht das allein sein kann, den Obrigkeiten zu gehorchen, und dass jedes Bischofswort Gotteswort ist - wir haben ja erlebt, wohin das geht, wenn man dem absolut gehorcht, dass das nicht Jesu Verkündigung sein kann: Das ist mir durch den Jägerstätter aufgegangen."

Es ist eine - im positiven Wortsinn - Fan-Gemeinde, die sich dem Andenken und dem Anliegen Franz Jägerstätters da verschrieben hat. Erna Putz, Spiritus Rector der Initiative, weiß noch mehr zu erzählen: etwa von der Gruppe aus Italien, die nach St. Radegund kommt - Intellektuelle, Studenten -, und die sich für ihre Spiritualität und für ihr politisches Engagement am christlichen Widerstand im Dritten Reich orientiert: am evangelischen Theologen Dietrich Bonhoeffer, an dem ebenfalls von den Nazis ermordeten Jesuiten Alfred Delp - und eben an Franz Jägerstätter.

Mühen der Seligsprechung

Ins vielfarbige Bild, welches das Zeugnis des Franz Jägerstätter heute bietet, gehört auch der Seligsprechungsprozess, den die Diözese Linz betreibt. Der diözesane Prozess ist mittlerweile längst abgeschlossen, die Akten liegen in Rom. Es habe dort aber Probleme bei der Übersetzung der Dokumente gegeben, weiß Manfred Scheuer, der Postulator des diözesanen Seligsprechungsprozesses: Er habe erst vor kurzem mit dem Generalrelator bei der Heiligsprechungskongregation gesprochen: Dort sei der Akt aber noch nicht angekommen.

Roms Mühlen mahlen - im Fall Jägerstätter - langsam. Vor einigen Jahren war der Autor dieser Zeilen im Vatikan Teilnehmer eines Gesprächs mit einem langjährigen hohen Funktionär für Heiligsprechungen. Die Frage nach Jägerstätter wurde damals nur zögerlich beantwortet: Man müsse da sehr genau prüfen, ob da nicht ein "umstürzlerisches" Verhalten vorliege...

Selbst wenn derartige Einschätzungen sich geändert haben: Dass die baldige Seligsprechung eines - auch kirchenpolitisch wenig opportunen - Wehrdienstverweigerers bevorsteht, wäre eine Überraschung - wenn auch Postulator Scheuer zu Recht darauf verweist, dass Papst Johannes Paul II. selbst den Blutzeugen des Dritten Reiches hohe Aufmerksamkeit schenkt. Franz Jägerstätter hat aber auch einen einflussreichen Fürsprecher: Kardinal Christoph Schönborn gehört seit Jahren zu den Kennern und den Verehrern des Gewissenszeugen. Zum 60. Todestag Jägerstätters wird daher auch der Wiener Erzbischof in St. Radegund sein.

"Ge-Denken. Mauthausen/Gusen - Hartheim - St. Radegund" - © Wagner Verlag
© Wagner Verlag
Buch

Ge-Denken. Mauthausen/Gusen - Hartheim - St. Radegund.

Hg. von Manfred Scheuer
Edition Kirchen-Zeit-Geschichte, Linz 2002, 212 S., EUR 19,60

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung