Franz Schubert in der Synagoge
"Franz Schubert, der Pessachgast": Das Kantoralensemble Wien macht die Verwandschaft Franz Schuberts zu den Kompositionen des Oberkantors Salomon Sulzer hörbar.
"Franz Schubert, der Pessachgast": Das Kantoralensemble Wien macht die Verwandschaft Franz Schuberts zu den Kompositionen des Oberkantors Salomon Sulzer hörbar.
Musik spielt eine höchste Rolle in der jüdischen Liturgie. Sie hat die Eigenschaft, die Seele zu ergreifen und emporzuheben", sagt Rami Langer, der Leiter des "Kantoralensembles Wien". Die Tradition dazu ist alt: Von König David steht in den Psalmen geschrieben, dass er Harfenist war, die Texte seiner Lieder sind dort nachzulesen. Im Tempel Salomos wurde Gott noch mit Instrumenten verehrt, Geigen und Harfen spielten zu seinem Lobpreis.
Seit der Zerstörung des zweiten Tempels (70 n. Chr.) sind Instrumente in - orthodoxen - jüdischen Synagogen untersagt. Auf Musik verzichtet man deswegen nicht, nach wir vor hat sie eine tragende Rolle: der Chorgesang wurde zur höchsten Vollendung weiterentwickelt. "Es ist wirklich eine Knochenarbeit, die Akkorde durch Stimmen zu ersetzen", meint Rami Langer, der das Kantoralensemble leitet. Der Chasan, der Vorsänger, wählt aus einem Riesenfundus an Melodien, denen die Gemeinde je nach gebotenem Feiertag folgt.
Lokale Musiktraditionen Die wichtigsten davon sind in der Chasanut zusammengefasst. Darin findet sich beispielsweise ein Lied, in dem der Einzug des Schabbat jeden Freitagabend wie der einer Braut begrüßt wird. Fällt der Schabbat allerdings auf den Fastentag am neunten Tag des Monats Aw, an dem die Gemeinde der Zerstörung des Tempels gedenkt, erhält das Lied mit dem freudigen Text "Komm, mein Freund, der Braut entgegen!" eine dem Anlass angemessene Tonfärbung.
Auch die Diaspora wirkte sich auf die Melodien aus: zu verschiedenen Epochen bildete sich je nach örtlicher Tradition eigenes Liedgut. Wurde der jüdische Gesang aus Osteuropa als chassidischer Stil bekannt, so entwickelte sich in Rumänien oder in der Ukraine eine Tradition, die stark von Zigeunermusik und Bauernmärschen beeinflusst war. Im Orient wiederum pflegte man den Massengesang. Im deutschen Reformjudentum sah man hingegen das Instrumentenverbot nicht so eng und ließ in der Synagoge Orgeln als Begleitung zum Chor zu.
In der Musikstadt Wien war freilich alles anders: Unter Salomon Sulzer (1804-90) wurde der Chasan zum Kantor, der Cantus firmus erlebte eine noch nie dagewesene Hochblüte. Auch in Wiens Synagogen gab es keine Orgeln, außerdem waren Frauen nicht zum Gesang zugelassen: Statt ihrer setzte Sulzer Knabenstimmen im Chor ein. Mit seinem Standardwerk Schir Zion schuf er neue Maßstäbe des Synagogengesangs im "Wiener Stil". Sein Reformwerk, das für jeden Anlass das entsprechende Lied enthält, war stark von Franz Schubert inspiriert.
Der einzigartige Komponist, der auch viele Männergesangswerke komponiert hat, stand mit Salomon Sulzer in regem Kontakt. Als jüdischer Vorbeter und Oberkantor war Sulzer musikalisch gebildet, er hatte eine gut geschulte Stimme, auch Schubert schätzte ihn als Interpreten seiner Lieder sehr. "Zu seiner Zeit war Sulzer ein Star-Bariton in Europa!" weiß Rami Langer. Selbst Franz Liszt hatte Sulzer in seinen Memoiren als bemerkenswerten Sänger erwähnt.
Sulzer unterrichtete Gesangslehre, eine seiner Töchter wurde Sängerin an der Wiener Staatsoper. Schubert und Sulzer dürfte weit mehr verbunden haben als gemeinsame Auftritte. Der tiefreligiöse Schubert kannte die Psalmen und das Alte Testament gut, noch kurz vor seinem Tod vertonte er für seinen Freund Sulzer den Psalm 92 (Tow Lehodos) in hebräischer Sprache. Sulzer hat diese Schubert-Komposition in seine Schir Zion I- Sammlung aufgenommen.
Hört man eines von Sulzers Werken, etwa das Ma Towu (Psalm 133), und danach Schuberts "23. Psalm", ist kaum ein Unterschied zu bemerken. In Klang, Tonart und Ausdruck ähneln beide einander stark. Die Konfession, für die Schubert komponierte, ändert daran nichts: seine Hymne "Zwischen Himmel und Erde" oder der Chor der Engel "Christ ist erstanden" sind von derselben Freude erfüllt wie Sulzers Wenisslach, Gesang nach dem Kol Nidre: Es wird beim Abendgottesdienst zum Versöhnungstag gesungen, am zweiten einer für den Vorbeter sehr anstrengenden Folge von Gottesdiensten. Mit der Andacht am Vorabend, dem abendlichen Kol-Nidre, dem Mussaf am folgenden Morgen, dem Mittags-und Schlussdienst kommt er auf fünf Gottesdienste, deren feierlichste an die vier Stunden dauern. Kondition ist nicht das einzige, das der Chasan da braucht. "Er muss Harmonielehre, Kontrapunkt, Tonsatz, Hebräisch, den Cantus firmus beherrschen und eine gute Stimm-und Gehörbildung haben. Eigentlich braucht er eine Ausbildung wie ein Opernsänger. Außerdem muss er religiös sein, schließlich betet er!", beschreibt Rami Langer den jüdischen Kantorenberuf. Der Chasan bildet den Mittelpunkt der Andachtsübungen, die Gemeinde folgt seiner Stimme. Er muss die Melodien und Hymnen, die zu bestimmten Tagen gebetet werden, kennen, die Seele ergreifen und eine schöne Stimme haben. Salomon Sulzer erhöhte die Anforderungen um eine fundierte musikalische Schulung.
Kein Konzertsaal Sein Können darf der Kantor aber nie so gestalten, als ob er im Konzertsaal sänge: Die Synagoge muss ihren Charakter als Ort des Gottesdienstes und Gebets behalten, tiefe Religiosität ist Voraussetzung. Wie stark sich die Chasans daran hielten, zeigt die Geschichte: So hatten etwa die "Carusos" darunter, Mordechai Herschmann und Josele Rosenblatt, Angebote, an der Oper zu singen. Für letzteren zeigte sogar die Met Interesse, er reagierte darauf mit dem Vorschlag, eine seiner Schellacks auf der Bühne abzuspielen. Kollege Moshe Stern wurde von den besten Häusern angefragt. Sein Berufsethos verbot ihm, dort aufzutreten. Er lehnte ab.
Der Wiener Synagoge hat Salomon Sulzer ein einmaliges Repertoire hinterlassen, das die jüdische Tradition mit der Musiksprache der Wiener Romantik verbindet. Sulzer klingt wie Schubert. Und der Kreis zwischen Judentum und Christentum kann sich besser nicht schließen, wenn Schuberts Psalm 92 Tow Lehodos auf hebräisch im jüdischen Gottesdienst erklingt.
Konzert-Tipp Franz Schubert, der Pessachgast Das Kantoralensemble Wien musiziert Pessach-Kompositionen von Salomon Sulzer und die Messe in G-Dur von Franz Schubert.
Leitung: Rami Langer.
Zeit: Sonntag, 25. März, 19 Uhr Ort: Jüdisches Museum der Stadt Wien, 1010 Wien, Dorotheergasse 11