Franziskus auf der Seite der Indigenen

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"Der Großteil aller Priester feiert bis zu zehn Messen am Tag. Sie behandeln Menschen mit Gleichgültigkeit. Viele benehmen sich autoritär und treiben mit dem 'Heiligen' einen Handel."

Als Vertreter der Theologie der Befreiung verbindet Luis Zambrano Glauben mit Einsatz für Menschenrechte. Er ist Projektpartner von "Sei so frei", der entwicklungspolitischen Aktion der Katholischen Männerbewegung und kennt die lateinamerikanische sowie die europäische Kirche. Der FURCHE erzählte er über den Papstbesuch und die sozialen Herausforderungen und die Sehnsüchte der Menschen in Peru.

Die Furche: Ganz Peru feierte ein großes Fest. Papst Franziskus bereiste auf seiner vierten Lateinamerika-Reise Ihr Heimatland. Welche Bedeutung hatte der Besuch des Papstes?

Luis Zambrano: Der Papst hat uns eine große Freude gebracht, die wir brauchen. Seine schlichten Gesten und seine Nähe zum Volk haben eine große Begeisterung entfacht. Er hat brennende Themen zur Diskussion gestellt: etwa die Bewahrung der Mutter Erde sowie die Achtung vor dem Leben und der Kultur der indigenen Bevölkerung. Er verurteilte zudem die Korruption, den illegalen Bergbau, den Menschenhandel und die vielen Morde an Frauen und Unschuldigen. Er befürwortete die interkulturelle zweisprachige Bildung und eine Kirche mit dem Gesicht Amazoniens.

Die Furche: Im Vorfeld und während des Besuches gab es auch Proteste.

Zambrano: Die Proteste gab es vor allem in Chile wegen des sexuellen Missbrauchs rund um den Priester Fernando Karadima. Kritiker in Peru verurteilten, dass der Vatikan vieles über die sektenähnliche Organisation "Sodalicio" verheimlicht. Der Gründer Luis Figari wurde samt Mitarbeiterstab wegen psychologischen und sexuellen Missbrauchs an Jugendlichen angeklagt. Während seiner Reise griff der Papst dieses Thema öffentlich nicht auf, sehr wohl aber auf seinem Rückflug nach Rom. In Peru kritisierten die Medien zudem die Kosten der Papstreise. Rund 2,8 Millionen Euro hat die Regierung dafür investiert. Kritiker haben gefordert, dass der Papst deswegen nicht kommen sollte. Ich aber sage: Durch seinen Besuch hat Peru mehr gewonnen.

Die Furche: Papst Franziskus kam inmitten einer schweren politischen Krise. Wie in vielen lateinamerikanischen Ländern ist die Politik in Peru von Korruption infiziert. Hat der Papst zu den aktuellen Korruptionsvorwürfen gegen den peruanischen Staatschef Pedro Pablo Kuczynski, den er ja selbst getroffen hat, Stellung bezogen?

Zambrano: Franziskus hat auch den Fall Kuczynski nicht direkt angesprochen. Aber er hat bei vielen Diskursen und auch gegenüber dem Präsidenten selbst heftig die Korruption gegeißelt als einen Virus, der Gesellschaft und Politik in Lateinamerika krank macht. In Puerto Maldonado sagte er: "Die Götzen der Macht und des Geldes verderben alles." Außerdem hat er in der Sitzung mit den Bischöfen gefragt: "Was geht in Peru vor, dass seine Präsidenten im Gefängnis enden?"

Die Furche: Besonders die indigenen Vertreter Amazoniens erwarteten sich viel vom Zusammentreffen mit dem Papst.

Zambrano: Der Bischof der Diözese Puerto Maldonado, David Martinez, sagte zum Papst: "Sie sind gekommen, um den Schrei der Erde und der Menschen zu hören." Ein Vertreter der Indigenen fügte hinzu: "Wir sind am Leben, wir werden weiterhin Widerstand leisten. Wenn die Fremden es schaffen, uns unser Land wegzunehmen, sind wir gezwungen zu verschwinden. Noch ist es nicht an der Zeit." Beide benannten die Situation Amazoniens als große Gefahr unserer Erde. Die Rodung des Regenwaldes und die Umweltzerstörung durch den illegalen Bergbau gefährden die Lebensgrundlage der indigenen Bevölkerung. Sie haben Franziskus gebeten, dass er sich an ihre Seite stellt. Er möge dafür sorgen, dass die Stimme der Völker des Urwalds gehört wird, denn niemand sonst kümmere sich um die Indigenen.

Die Furche: Für 2019 hat Papst Franziskus eine Bischofssynode für das Amazonas-Gebiet einberufen. Neben einer Lösung für die ökologischen und sozialen Probleme, was erhofft man sich noch von dieser Synode?

Zambrano: Franziskus achtet immer aufmerksam auf die "Zeichen der Zeit". Deshalb hat er für Oktober 2019 diese Synode ausgerufen, welche neun Länder Lateinamerikas betrifft. Das Ziel liegt vor allem darin, neue Möglichkeiten für die Evangelisierung zu finden. Ich habe den Eindruck, als gehe es nicht darum, eine große Zahl fremder Missionare hierher zu bringen, sondern mit Energie und guter Organisation die dauernde Ausbildung von männlichen und auch weiblichen Laien vorzubereiten. Und darüber hinaus, nach dem Prinzip "viri probati", verheiratete Männer aus den entsprechenden Völkern zu weihen. Die Zeit ist gekommen!

Die Furche: In Lateinamerika lebt zwar weltweit die größte Anzahl von katholischen Christen, ihr Prozentsatz sank jedoch in den vergangenen Jahren deutlich. Wie steht es um den Glauben der Menschen in Peru?

Zambrano: Es gibt bei uns ein großes Problem. Viele Priester haben keine Zeit, die Menschen zu empfangen, wenn sie sich mit ihren Problemen und Ängsten an sie wenden.

Die Furche: Warum?

Zambrano: Der Großteil aller Priester feiert bis zu zehn Messen am Tag. Sie behandeln Menschen mit Gleichgültigkeit, wenn sie in die Pfarren kommen. Viele benehmen sich autoritär und treiben mit dem "Heiligen" einen Handel. Und obwohl Franziskus den Klerikalismus bei seinem Besuch in Peru ablehnte, kritisierte er nicht - wie er es mehrere Male von Rom aus sehr wohl getan hatte - das Geschäft mit den Messen, Sakramenten und Segnungen. Ich gehe davon aus, dass etwa 99 Prozent der Bischöfe und Priester in Peru diese Geschäfte betreiben. Für viele Menschen ist das ein Skandal und das trennt sie von der Kirche.

Die Furche: Peru gilt als Geburtsstätte der Theologie der Befreiung. Sie sind ein Vertreter dieser Theologie. Papst Franziskus spricht es zwar nie aus, fühlt sich ihr aber eng verbunden. Woran erkennen Sie beim Papst die Nähe zur Befreiungstheologie?

Zambrano: Vor allem an seinen bescheidenen Gesten und seiner Nähe zu den Armen und Verachteten. In der Befreiungstheologie ist der erste Schritt das Zeugnis. Wie der Gründer dieser Theologie, Gustavo Gutiérrez, sagt, kommt an zweiter Stelle die theologische Reflexion. Ebenso hat die "Option für die Armen", die Franziskus vertritt, eine entscheidende Stellung. Diese "Option" ist keine Erfindung, sondern kommt von Gott selbst. Das ist in der Bibel durchgehend zu erkennen. Franziskus braucht nicht zu sagen, dass er Befreiungstheologe sei. Er ist es einfach.

Die Furche: Als Befreiungstheologe suchen Sie, Glauben und Handeln zu verbinden. Mit Ihrem Verein FEDERH setzen Sie sich für die Rechte mittelloser Indios ein. Was sind die größten sozialen Herausforderungen?

Zambrano: Das Klagen der indigenen Völker des Urwalds sichtbar zu machen, welche seit langer Zeit von Machtversessenen überfallen, vernichtet und verachtet werden, wie ein Indigener in Puerto Maldonado dem Papst sagte. Und auch die indigenen Völker des Hochlandes sichtbar zu machen, die ebenso misshandelt und der Krankheit sowie dem Tod ausgesetzt werden, da man sie ja beim Eindringen des Bergbaus in ihr Territorium ignorierte. Nicht einmal hinsichtlich der Ausbeutung und Umweltverschmutzung durch den illegalen Bergbau werden sie von der Regierung verteidigt. Zudem ist es dringend notwendig, eine totale Änderung des Gesundheitssystems zu planen. Tausende Peruaner sterben viel zu früh, nicht nur wegen ihrer Armut, sondern auch, weil sie in den Spitälern, wo die Korruption ihren Platz hat, nicht gut versorgt werden.

Die Furche: Welche Hoffnungen und Sehnsüchte haben die Menschen in Peru?

Zambrano: Wir Peruaner und Peruanerinnen wollen einfach ein sicheres Leben, denn hier ist das Leben sehr bedroht, von der Schwangerschaft an. Wir wollen leben ohne Ungerechtigkeit und Korruption, angefangen bei den eigenen Familien. Wir wollen leben ohne die Verseuchungen durch die Bergwerke und ohne Krankheiten, welche sich vermeiden lassen. Wir wollen leben ohne die Gefahr auf den Straßen, auf denen im Jahr 2016 rund 3600 Menschen getötet wurden. Wir wollen leben ohne Morde an Frauen und aufgrund von Drogenkriegen. Wir lieben das Leben und verlieren nicht die Hoffnung.

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