Kurienreform - © APA / AFP / Pool/ Andrew Medichini

Franziskus refomiert die Kurie: Missionarische Bekehrung

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2013 wurde Franziskus auch zum Papst gewählt, weil viele der Kardinäle auf eine Kurienreform drängten. Neun Jahre dauerte es, bis diese da war: "Praedicate Evangelium" ist ein großer Wurf.

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2013 wurde Franziskus auch zum Papst gewählt, weil viele der Kardinäle auf eine Kurienreform drängten. Neun Jahre dauerte es, bis diese da war: "Praedicate Evangelium" ist ein großer Wurf.

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Also doch (noch)! Das Datum ist eine Punktlandung mit Signalcharakter. Viele konnten oder wollten nicht mehr daran glauben, dass es noch zur Kurienreform kommt: Am 19. März 2013 wurde der am 13. März neugewählte Bischof von Rom, der argentinische Jesuit Jorge Mario Bergoglio, in sein Amt eingeführt. Die neue, am Pfingstsonntag 2022 in Kraft tretende Apostolische Konstitution Praedicate Evangelium (Verkündet das Evangelium) trägt das Datum 19. März 2022 – (k)ein Zufall!

Praedicate Evangelium ersetzt Pastor bonus von 1988, die unter Johannes Paul II. in Kraft getretene Kurienordnung. Sie war in die Jahre gekommen. Das Erscheinen der neuen Konstitution verzögerte sich. Sie stand kurz vor der Veröffentlichung, offenbar gab es aber so viele Rückmeldungen von Bischofskonferenzen und Ordensoberen, denen der Text vertraulich zur Stellungnahme zugegangen war, dass er überarbeitet wurde. Anregungen fanden Aufnahme, Kritik wurde berücksichtigt.

Das heißt: Die von Franziskus propagierte „Dezentralisierung“ wie auch „Kollegialität“, die mit dem neuen Grundgesetz weiter gestärkt werden, sind keine leeren Floskeln. Auch wenn es den Anschein hat, dass sich Franziskus für Strukturen wenig interessiert: Es ist ihm ein Anliegen, dass die Kurie ein moderner Dienstleistungsbetrieb wird und nicht der „Selbstbezogenheit“ verfällt.

Dass sich der Papst bei seinen Reformschritten auf die Debatten im Vorkonklave beruft, während dessen es massive Kritik an der Kurie gab und ihre Effizienz (und Kompetenz) in Frage gestellt wurde, ist eine „Erinnerung“ an innerkirchliche Kritiker. Bald nach seiner Wahl hatte Franziskus einen Kardinalsrat mit Mitgliedern aus allen Kontinenten installiert, darunter der Münchener Erzbischof, Kardinal Reinhard Marx. Er sollte einen Blick von außen auf eine Institution werfen, die in ihrem höfischen Gehabe und eingespielten Abläufen in Gefahr war, betriebsblind zu agieren, und dann die Reform auf den Weg bringen.

Praedicate Evangelium ist eine Programmansage: Der Verkündigung des Evangeliums hat auch die Kurie mit allen ihren Einrichtungen zu dienen. Sie soll nicht zwischen dem Papst und den Bischöfen stehen, sondern beiden Seiten zuarbeiten: missionarisch orientiert, professionell ausgerichtet, dienstleistungsbezogen arbeitend.

Das setzt eine „missionarische Bekehrung“ (conversione missionaria) der Kurie voraus, heißt es in der Präambel. Ihre Einrichtungen sind für die Menschen da, nicht umgekehrt. Die Frohe Botschaft bekannt zu machen, zu erinnern, zu bewerben: Dafür wurde der Apparat verschlankt, frühere Kongregationen und Päpstliche Räte zu 16 Dikasterien zusammengelegt. Ihnen vorgeordnet, bleibt das Staatssekretariat. Außerdem gehören (unverändert) drei Gerichtshöfe dazu, verschiedene Wirtschaftsorganismen sowie drei „Büros“. Nicht betroffen ist der Staat der Vatikanstadt, der eine separate Verwaltung hat.

Bemerkenswert ist die Reihenfolge der Dikasterien, die eine Gewichtung (und Wertung) signalisiert: Das neu geschaffene „Dikasterium für Evangelisierung“ (aus dem Rat für Neuevangelisierung und der Kongregation für die Evangelisierung der Völker) ist die neue Nummer Eins. Franziskus hat sich selbst zum Behördenchef gemacht und lässt sich dabei von zwei Pro-Präfekten unterstützen. Das „Dikasterium für die Glaubenslehre“ (früher: Glaubenskongregation) rückt damit an die zweite Stelle, dort ist auch die Päpstliche Kinderschutzkommission angesiedelt. Neu ist das „Dikasterium der Nächstenliebe“ – eine massive Aufwertung des bisherigen „Päpstlichen Almosenamtes“.

Alle Getauften für Leitungsposten

Für Schlagzeilen sorgte in ersten Kommentaren der Umstand, dass künftig jedes Dikasterium auch von Laien – Männer wie Frauen – geleitet werden kann, mit Ausnahme der Dikasterien für Bischöfe und Klerus. Bisher war das nur bei dem vor einigen Jahren neu geschaffenen Dikasterium für Kommunikation (mit Paolo Ruffini) der Fall, das die Medienarbeit des Heiligen Stuhls bündelt. Auch Frauen (bisheriger Anteil im Vatikan: 24 Prozent) sollen verstärkt in Führungspositionen kommen. Dass alle Getauften „missionarische Jünger“ sind, nicht nur Geweihte, kannte man. Theoretisch könnte jetzt sogar das Staatssekretariat von einem Mann ohne Priesterweihe oder einer Frau geleitet werden, denn das neue Grundgesetz vermeidet die Bezeichnung „Kardinalstaatssekretär“ zugunsten von „Staatssekretär“. Regelmäßige „Kabinettsitzungen“ sind vorgesehen. Dass künftig auch Laien bei Bischofsbestellungen mitreden sollen dürfen, ist gegenüber 1988 neu. Auch Experten sollen mehr Gewicht bekommen.

Teamfähigkeit und -bereitschaft, Liebe zu den Armen, nüchterner Lebensstil, pastorale Kompetenz und Effizienz, ständige Weiterbildung: Das sind Kriterien für den Einsatz von Priestern und Ordensleuten, die fünf, maximal zehn Jahre ihren Dienst tun können, dann aber in ihre Heimatdiözesen zurück müssen – anders als Laien. Die „Katholizität“ der Kirche soll sich im Vatikan widerspiegeln: mehr Vielfalt, mehr Kultur, mehr Sprachen, mehr Erfahrungen. Weltkirche en miniature! Spiritualität, Seelsorgeerfahrungen und Liebe zu den Armen werden zu Auswahlkriterien.

Abzuwarten bleibt, wie der Papst in den kommenden Wochen die Dikasterien (neu) besetzt. Einige bisherige Präfekten sind nahe an der Altersgrenze (wie die Kardinäle Gianfranco Ravasi oder Giuseppe Versaldi), andere, wie der Almosenmeister Konrad Krajewski (58) oder Luis A. Tagle (64), können mit ihrer Wiederbestellung rechnen.

De facto finden sich in Praedicate Evangelium viele Reformschritte, die Franziskus in Predigten, Reden und Interviews angeregt oder in amtlichen Dokumenten schon umgesetzt hat. Sie erhalten jetzt nur eine rechtliche Grundlage. Man muss die Konstitution in Kontinuität zu Evangelii gaudium vom November 2013 lesen: der „Roadmap“ des Pontifikats, die Franziskus seither Stück für Stück – in der ihm eigenen, immer wieder irritierenden Weise – abgearbeitet hat.

Fünf Kurienreformen gab es seit 1588. Praedicate Evangelium ist ein großer Wurf. Er stellt die Kurie in den Dienst der Ortskirchen. Aber schon Kant hat gewusst, dass Mentalitäten schwerer zu knacken sind als Dogmen. Änderungen brauchen Zeit. Franziskus drückt aufs Gas. Oberste Priorität ist die Evangelisierung. Das ist eine Ansage!

Der Autor ist Theologe, Publizist und Seelsorger in München.

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