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Digital In Arbeit

Freie Manner und Bruder

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Die Kirche hat in ihren sozialen Doktrinen niemals Wert und Funktion der Privatinitiative im ökonomischen Gefüge geleugnet und auch nicht, daß jener, der am Unternehmen schafft und es leitet, gleich dem Künstler auf seinem Gebiete in der Lage sein müsse, seine Ideen und seine Fähigkeiten zur Geltung zu bringen, sofern es nicht zum Schaden derjenigen geschieht, die am Produktionsprozeß mitarbeiten, zum Schaden ihrer menschlichen Würde und auf Kosten ihrer legitimen Ansprüche.

Denn nicht Sklaven sind sie, sie sind freie Männer und Brüder.

Die Kirche hat verstanden und sie hat gesprochen: hunderte Male. Prinzipien wurden aufgestellt, die unverrückbar sind. Irrtümer wurden aufgedeckt, die Wissenschaft und Erfahrung als solche bestätigten. Bewegungen wurden angeregt, die sich immer mehr behaupten in der Reinheit und dem Enthusiasmus der Idee und auch in ihrer praktisch schwierigen Verwirklichung. Es kam zu Zwiegesprächen mit den Leuten aus dem Arbeiterstand; diese Gespräche brachten Trost, sie wurden in Güte und voll Freundschaft geführt.

Viel, allzuviel wäre darüber zu sagen. Aber eines weiß man bereits: Mögen die politischen und sozialen Verhältnisse noch so sehr schwanken und auch die Tendenzen und Ausdrucksformen im katholischen Lager begreiflicherweise verschieden sein, die Kirche wird zu ihren Worten stehen, zu den Worten ihrer Päpste, ihrer Bischöfe, ihrer Lehrer. Sie wird dem arbeitenden Volk die Treue halten und an seiner Seite ausharren, es stärken in seinen Hoffnungen und in seinem Schmerz, seine Rechte und legitimen Ansprüche verteidigen, seine Schritte leiten auf den Wegen der Rechtlichkeit, der Gerechtigkeit, der Eintracht und des Friedens.

Die Kirche wird sicherlich nicht in rein weltlichen Kontroversen mitsprechen. Sie wird aus ihren Prinzipien nicht praktische Folgerungen ableiten, die in der ökonomischen und sozialen Ordnung ja vielfältig und vielfarbig sein können. Sie wird daher deren Behandlung und Diskussion den für die spezifisch zivile und politische Sphäre Kompetenten frei überlassen. Aber sie wird in der öffentlichen und politischen Sphäre die Wege all derer, die guten Willens sind, erhellen. Denn die katholische Soziallehre — vergessen wir das nicht — beruht auf dem Prinzip der Vervollkommnungsfähigkeit des Menschen und somit auf der Idee des Fortschritts.

Erkennen wir das, dann haben wir die gröbsten Hindernisse für ein lebendiges Einströmen der Religion in die Welt der Arbeit weggeschafft, der Religion, auf deren Kraftquell der arbeitende Mensch angewiesen ist und auf die er ein Recht hat.

Das ist der erste Schritt, den wir tun müssen.

Es ist aber noch ein zweiter Schritt zu tun, und zwar dieser: Wir müssen die eigentliche Natur der Arbeit besser verstehen lernen. Die Arbeit, das weiß man, führt zu praktischen, zu äußeren Realitäten, sie führt zu ökonomischen Ergebnissen. Aber wie, auf welche Weise geschieht das, und zu welchem Ziel will sie gelangen?

Ich fasse kurz zusammen: Die Arbeit ist gewiß ein weltliches Unterfangen, aber sie ist Menschenwerk. Das Tun des Menschen wird von einer geistigen Fähigkeit, dem Denkvermögen, gelenkt. Die Gedanken sind es, die dem Werk das menschliche Gepräge geben. Im Werk spiegelt sich der Gedanke wider. Im Werk stellt der Gedanke sich selbst dar. Nun leitet sich aber das Denken, und besonders das wissenschaftliche Denken, von Prinzipien her, die das Absolute fordern und auf Notwendigkeit beruhen.

Ehe wir dessen gewahr wurden, stehen wir im religiösen Bereich, stehen wir in der Gegenwart Gottes.

Schon Galilei sprach von der „Notwendigkeit“ im Zusammenhang mit dem Zurückfinden des Gedankens zu Gott als seinem Ursprung. „In der Mathematik“, sagt er (und wo fände sich heute ein Gebiet, das nicht mit Mathematik zu tun hat?), „gleicht unsere Erkenntnis an objektiver Sicherheit der göttlichen, denn sie gelangt zum Begreifen der Notwendigkeit“, und so werde sie „des Göttlichen teilhaftig“ auf Grund der bloßen Tatsache, daß der menschliche Verstand die Natur der Zahlen , zu erfassen vermag.

Ähnliches ließe sich über die Arbeit sagen, wenn sie ihre beste Ausdrucksform zu erreichen trachtet, wenn sie nach Vollkommenheit strebt.

Das Vollkommene ist ja dem Transzendenten wesenhaft zugeordnet; dem Geheimnis nahe, von ihm berührt, wird es zum Widerschein verborgener Schönheit, einer metaphysischen Harmonie, die dem, der sie fassen mag, göttliche Botschaft kündet.

Einstein spricht von einer Religion des Universums. Ist diese nicht vielleicht meine Religion von heute, die mich mit einem Übermaß freudigen Staunens erfüllt, die mir die Allmacht und unendliche Weisheit Gottes verkündet, des Gottes, den ich anbete, den ich liebe, des lebendigen, wahren Gottes?

Warum der Arbeit diesen grenzenlosen Horizont, diese jubelnde Freude verwehren, ihr, der kühnsten, nimmermüden Erforscherin der Natur, die Gottes Werk ist?

Ist die Arbeit denn nicht schon auf dem direkten Weg hin zur Religion? Warum ihn ihr versperren?

Zu einem analogen Ergebnis könnten wir gelangen, wenn wir das Wesen der Arbeit noch von einer anderen Seite her beleuchten. Erinnern wir uns, daß die Arbeit, selbst in ihrer wie immer gearteten weltlichen und materiellen Form, von einer weiteren spirituellen Fähigkeit des Menschen gestützt und geleitet wird: von seinem Willen, der seinerseits der auf ein auszuführendes Werk gerichteten Aktivität eine besondere Eigenheit, die Eigenschaft der Moral, verleiht. Und auch sie — mag man es nun zugeben oder nicht — bezieht ihren ursprünglichen Wert von der Pflicht, die voraussetzt, daß der Mensch auf seine eigentliche Bestimmung, auf Gott, gerichtet ist.

Dieser Punkt weist darauf hin, daß der vermeintliche Gegensatz von Religion und Arbeit im wesentlichen nur auf die eingeengte Auffassung vom Wesen der Religion zurückzuführen ist.

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