Freiheit gegen Sicherheit

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Wer sich heute in den Medien, den herkömmlichen und den sogenannten neuen, über die römisch-katholische Kirche informiert, stößt auf völlig unterschiedliche Aussagen. Das gilt besonders für Beurteilungen des gegenwärtigen Papstes. Im Internet erwecken etliche Plattformen mit mehr Öffentlichkeitswirkung, als es ihrer Bedeutung entspricht, den Eindruck, Franziskus steuere das Schiff Petri mit einer chaotischen Kirchenpolitik und vom wahren Glauben abfallenden Lehren in den Abgrund. Drei neue Bücher zeigen indes großes Verständnis und viel Sympathie für den Pontifex aus Argentinien und seine Worte und Taten.

Einer, der mit dem Papst im Kreuzfeuer der Kritik steht, ist Kardinal Óscar Andrés Rodríguez Maradiaga aus Honduras. Auch wenn etwas dran sein sollte - aus Mitteleuropa lässt sich das schwer beurteilen -an den Vorwürfen, die man ihm macht (einseitige Einmischung in die honduranische Politik, finanzielle Machenschaften, Halten seines Weihbischofs, den man des sexuellen Missbrauchs bezichtigt), Maradiaga diente wohl kaum als solche Zielscheibe der Papstkritiker, wäre er nicht auch Vorsitzender jenes Kardinalsrates, der die Reform der römischen Kurie vorantreiben soll.

Im neuen Interview-Buch "Papst Franziskus und die Kirche von morgen" (der Interviewer, Antonio Carriero, wird im Buch leider nicht vorgestellt) nimmt Maradiaga nicht zu den Vorwürfen gegen ihn selbst, aber zu kirchlichen Entwicklungen der letzten Jahre ausführlich Stellung. Kritik am Papst weist er entschieden zurück: "Diese Seilschaften der katholischen Rechten bestehen aus Menschen, die nach Macht streben, nicht nach Wahrheit."

"Verbitterter" Papst-Gegner

Vom Vorwurf, die Enzyklika Amoris Laetitia entspreche nicht den Lehren der Kirche, hält Maradiaga gar nichts: "Der Kardinal, der dies behauptet, ist ein verbitterter Mensch. Er wollte die Macht und hat sie verloren. Er glaubte, er sei die höchste Autorität in den Vereinigten Staaten. [] Dieser Mann hat nicht das Lehramt der Kirche inne. Der Heilige Vater tut dies. Er ist es, der die ganze Kirche lehrt. Der betreffende Kardinal sagt nur einfach, was er denkt, und das verdient keine weitere Beachtung. Es handelt sich um die Worte eines armen Menschen."

Für Maradiaga ist Amoris Laetitia "ein Dokument von unschätzbarem Wert", es lehre die Doktrin der Kirche, "aber mit Worten, die ans Herz rühren". Franziskus habe darin viele Elemente des Synodalberichts aufgenommen, aber auch viel Eigenes einfließen lassen, und zwar im Stile des Seelsorgers, nicht des Theologen: "Bei Laiengläubigen stößt Amoris Laetitia auf einhellige Begeisterung, weil das Buch so gut verständlich ist: 'Wenn dieser Papst redet, wissen wir, was gemeint ist', heißt es immer wieder."

Benedikt XVI. habe mit seinem Rücktritt die Pforten in eine "für Päpste menschlichere Zukunft weit aufgestoßen", meint Maradiaga. Das Zeichen, das er damit gab, sei "von Demut, ja von Heiligkeit" motiviert gewesen. Jorge Mario Bergoglio, mit dem der honduranische Kardinal schon lange befreundet ist, habe sich als Papst sehr verändert: "Früher war er eher nüchtern und zurückhaltend, heute aber ist er wie ein Vater. Das ist wunderbar."

Spekulationen über einen möglichen Rücktritt von Franziskus teilt Kardinal Maradiaga nicht: "Er ist voller Vitalität, Kraft und verfügt über eine enorme geistige Klarheit. Ich sage immer wieder, dass der Bischof von Rom uns noch lange erhalten bleiben wird."

Worin besteht für Maradiaga die im Untertitel des Buches angesprochene "Revolution im Zeichen des Evangeliums"?"Ich glaube, seine Revolution ist eine absolute Christozentrik, die sich als leidenschaftlicher Einsatz für das Leiden der Menschheit zeigt, eine verwundete Menschheit, die viel Liebe braucht." Sorgen mache sich der Papst vor allem "um zwei Dinge: zum einen, dass mehr Zeugnis abgelegt wird für das Evangelium, und zum anderen um die Gier nach Macht, die selbst manche Kirchenmänner zu zerfressen scheint".

Die "identity card" der Christen

Ein Gremium wie der Kardinalsrat K8, dem Kardinäle aus allen Kontinenten angehören, sei schon vom Zweiten Vatikanischen Konzil vorgesehen gewesen, aber nie verwirklicht worden, erklärt Maradiaga. Der Name habe sich gehalten, obwohl K9 zutreffender wäre, denn mittlerweile nimmt auch Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin regelmäßig an den Sitzungen teil.

Wie Maradiaga betont, ist für Papst Franziskus die Heiterkeit des Evangeliums von enormer Bedeutung. Evangelii Gaudium sei eine Art Regierungserklärung dieses Papstes, die uns mahne, "uns die Freude nicht nehmen zu lassen, die Begeisterung der Verkündigung und vor allem das Augenmerk für die Armen".

Ganz in diesem Sinn und mit Hinweis auf die Schriften Evangelii Gaudium und Amoris Laetitia untermauert "Die Freude des Christen", ein neues Buch des deutschen Kardinals Walter Kasper, mit einem Streifzug durch die Bibel und die Kirchengeschichte die Linie des gegenwärtigen Pontifikates: "Die Theologie der Freude kommt zu ihrem Höhepunkt, wenn man wahrnimmt, dass Gott selbst Freude ist."

Dabei verhehlt Kasper nicht, dass "die Freude des Christseins angekratzt und geradezu verkratzt durch unliebsame Erfahrungen in der Kirche und mit der Kirche" sein kann: "Doch wir glauben nicht wegen der Kirche, nicht wegen eines bestimmten Pfarrers, Bischofs oder Papstes. Wir glauben an Gott, weil er so, wie er sich uns in Jesus Christus erschlossen hat, uns überzeugt. Man kann sich über vieles in der Kirche ärgern, die Freude des Christseins hängt davon letztlich nicht ab."

Das Zweite Vatikanische Konzil habe den Ton der Freude neu zum Klingen gebracht: "Die Pastoralkonstitution Gaudium et spes, 'Freude und Hoffnung', hat das Thema der Freude aufgegriffen, es weit über die Konfessionsgrenzen hinausgetragen und die mit der Hoffnung verschwisterte Freude zu einem ökumenischen Thema gemacht. Diese Freude sollen wir in eine verängstigte, krisengeschüttelte Welt ausstrahlen. Nach Papst Franziskus ist die Freude die Kennkarte, die identity card des Christen."

Die Rezeption des Konzils ist aus Kaspers Sicht alles andere als abgeschlossen, es bleibe noch viel zu tun: "Zu klagen, dass das Konzil bisher unvollendet geblieben ist und darüber in Unmut und Schwermut zu verfallen, hilft nicht weiter. Es gilt der Leuchtspur der Hoffnung und der Freude zu folgen."

Papst-Impulse allein reichen nicht

"Perspektiven für die Zukunft" im Sinne des Konzils will der Sammelband "Aggiornamento -damals und heute" liefern, den die scheidende deutsche Botschafterin beim Heiligen Stuhl, Annette Schavan, und der Jesuit Hans Zollner herausgegeben haben. Namhafte Autoren, darunter Peter Hünermann, Margit Eckholt, Carlos Maria Galli und Rainer Bucher, kommen darin zu Wort und denken die Leitlinien des Konzils in einer veränderten Welt -unter anderem durch Internet, Migration und Klimawandel -weiter.

In einem der lesenswerten Texte schreibt Eugen Kleindienst, Theologe und von 2003 bis 2015 deutscher Botschaftsrat in Rom: "Papst Franziskus greift für seine Ideen auf das Konzil als Orientierung zurück. Es genügt aber nicht, wenn der Papst Impulse in diese Richtung gibt. Die Ortskirchen, ihre Bischöfe und die regionalen Bischofskonferenzen, die der Papst 'mehr zur Geltung bringen' will, müssen den Ball aufgreifen, um daraus ein gelingendes Spiel zu machen."

Auf einen weiteren wichtigen Punkt verweist der tschechische Soziologe und Priester Tomáˇs Halík: "In seiner Legende vom Großinquisitor hat Dostojewski die größte Versuchung des institutionalisierten Christentums genial dargestellt: nämlich, dass man den Menschen Sicherheiten gewährt als Tausch für die Freiheit, die Christus ihnen geboten hat. Papst Franziskus versucht nun das zu vollenden, was das reformatorische Zweite Vatikanische Konzil anstrebte: die Kirche aus dem Schatten des Großinquisitors herauszuführen. Der Streit zwischen der Herausforderung Christi und dem Angebot des Großinquisitors zieht sich durch die ganze Geschichte des Christentums und findet seinen Ausdruck im jeweiligen Verhältnis zu dem letzten Konzil sowie zum Reformpapst."

Die Freude des Christen Von Walter Kardinal Kasper Patmos Verlag 2018 240 Seiten, geb., € 20,60

Papst Franziskus und die Kirche von morgen Revolution im Zeichen des Evangeliums Von Kardinal Óscar Andrés Rodríguez Maradiaga Ein Gespräch mit Antonio Carriero Gütersloher Verlagshaus 2018 144 Seiten, geb., € 16,50

Aggiornamento -damals und heute Perspektiven für die Zukunft Von Annette Schavan, Hans Zollner SJ (Hg.) Herder Verlag 2017 232 Seiten, geb., € 29,90

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