Freiwilliger Einsatz ohne Grenzen

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Der Verein "Grenzenlos" bietet engagierten Menschen die Möglichkeit, sich weltweit als Freiwillige einzusetzen. Durch ein Pilotprojekt können nun auch Menschen mit Beeinträchtigungen als Ehrenamtliche ins Ausland gehen. Drei Erfahrungsberichte.

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Der Verein "Grenzenlos" bietet engagierten Menschen die Möglichkeit, sich weltweit als Freiwillige einzusetzen. Durch ein Pilotprojekt können nun auch Menschen mit Beeinträchtigungen als Ehrenamtliche ins Ausland gehen. Drei Erfahrungsberichte.

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Gerade eben ist Kerstin Lintner aus Kolumbien zurückgekehrt. Ein ganzes Jahr lang hat die 19-Jährige dort in einer Einrichtung verbracht, in der Kinder versorgt werden, deren Eltern sich nicht ausreichend um sie kümmern können. Dass Lintner Typ-1-Diabetes hat und Insulin benötigt, war dabei kein Problem.

Auch nicht für den Verein "Grenzenlos", der diesen freiwilligen Auslands-Einsatz organisiert hat. "Wir haben schon mehrere Leute mit Diabetes auf Einsatz geschickt", hatte ihr die Beraterin vorab zugesichert. Andere Freiwilligen-Organisationen hatten sofort abgewunken, als die junge Frau ihre Krankheit erwähnte. Doch nun war plötzlich alles möglich: In den Monaten bis zum Abflug machte sie noch die Matura. Relativ rasch war auch klar, wohin die Reise gehen sollte: nach Kolumbien -"weil die angeblich das schönste Spanisch sprechen", begründete Lintner ihre Wahl. Ob das tatsächlich so ist, weiß sie bis heute nicht. Aber gelernt hat sie auf ihrem Einsatz ein ganze Menge: nicht nur die Sprache, sondern auch, dass sie eine besondere Begabung im Umgang mit Kindern hat.

"Ist das etwas für mich?"

"Wir leisten keine Entwicklungshilfe", sagt Barbara Eglitis zur Philosophie des Vereins "Grenzenlos"."Wir wollen, dass sich die Leute ausprobieren: Ist das etwas für mich?" Als Projektkoordinatorin betreut sie nicht nur freiwillige Auslandseinsätze von jungen Erwachsenen mit einer gesundheitlichen Beeinträchtigung oder Behinderung, sondern auch solche von älteren Menschen, die ihre Lebens- und Berufserfahrung einbringen möchten. Von wenigen Wochen bis zu einem Jahr können solche Einsätze dauern.

Im Fall von Kerstin Lintner war nur die längste Option möglich - denn die Arbeit mit Kindern ist sensibel und erfordert Zeit. "Es dauert, bis man als Freiwillige die eigene Rolle findet", erzählt Lintner. Und auch die Organisation vor Ort durchläuft einen Lernprozess. Lintner war die erste Freiwillige, die in der "Fundación" (Stiftung) in Cali, der drittgrößten Stadt des Landes, mitgeholfen hat. Weil sie anfangs noch kein Wort Spanisch konnte, musste man sich mit Händen, Füßen und notfalls einem Lächeln verständigen. Das hat aber selbst mit den Kleinsten funktioniert. Um vier Uhr früh aufstehen, Kinder wecken, baden, anziehen und in den Kindergarten bringen, lautete das Morgenprogramm. Die positive Lebenseinstellung der Menschen hat Kerstin mit nach Hause genommen.

Weltweite Freiwilligeneinsätze gibt es schon lange, ICYE (International Cultural Youth Exchange), das Programm an dem Lintner teilgenommen hat, existiert etwa bereits seit 1949. Neu ist, dass im Rahmen des Pilotprojekts Inklusion des Netzwerks "WeltWegWeiser" auch Menschen mit Behinderungen oder gesundheitlichen Beeinträchtigungen bis zu zwölf Monate als Ehrenamtliche im Ausland verbringen können. Noch bis Ende 2019 läuft das Projekt.

Die beteiligten Organisationen bemühen sich seit Langem darum, mehr und bessere Förderungen für die Freiwilligen-Einsätze zu erhalten. Denn bislang müssen die Freiwilligen selbst tief in die Tasche greifen, um sich ihre Zeit im Ausland zu finanzieren: Flüge, Visa und die Kosten für das jeweilige Programm müssen weitgehend selbst bezahlt werden.

Ringen um Förderungen

Martin Rieger war nicht so lange und so weit weg wie Lintner, auch hat es bei ihm deutlich länger gedauert, bis eine Einsatzmöglichkeit gefunden wurde. Fünf Jahre lang hat Barbara Eglitis gesucht, bis sie durch Zufall auf die Jugendakademie in Köln gestoßen ist, die Martin schließlich eingeladen hat. "Mit einer Behinderung ist das leider nicht so einfach", sagt Martin. Für das Zurücklegen längerer Strecken ist er auf seinen E-Rolli angewiesen, zudem benötigt er Assistenz. In seinem Fall wurden die Assistenzkosten und die Einsatzkosten von "Erasmus+" getragen. Innerhalb Europas sei das zwar möglich, außerhalb seien Förderungen jedoch schwierig, erklärt Barbara Eglitis. Durch das Pilotprojekt Inklusion von "WeltWeg-Weiser" könne man die Mehrbedarfe der Freiwilligen jedoch nun finanzieren.

Einen Monat lang war Martin Rieger in Köln und hat die Leute von der Jugendakademie mit seinen Multimedia-Kenntnissen in Staunen versetzt. Der 29-Jährige ist ein Technik-Freak und betreibt seinen eigenen YouTube-Kanal. Auf seinem PC macht ihm keiner etwas vor. Die gesamte Computer-Ausstattung hat er selbst zusammengestellt, die einzelnen Teile im Internet bestellt. Nur beim Zusammenschrauben musste ihm ein Freund helfen. Videos aufnehmen, bearbeiten, schneiden: Das alles hat sich Martin selbst beigebracht. Bis zum nächsten Einsatz, am liebsten in Skandinavien, soll es nun nicht mehr so lange dauern wie beim ersten: "Mit dem Pilotprojekt wollen wir auch erreichen, dass unsere Freiwilligen schneller passende Projekte finden", sagt Barbara Eglitis.

Gut funktioniert hat bisher alles bei Katharina Jäger. Die 27-jährige ausgebildete Kindergartenhelferin, die wegen einer halbseitigen Parese ihre linke Körperhälfte nicht gut bewegen kann, war schon zwei Mal in Frankreich im Einsatz und hat dort jeweils ein paar Wochen bei einem Camp mitgeholfen. Das Programm, an dem sie teilgenommen hat, heißt "Melange" und ist ein EU-gefördertes Freiwilligenprojekt, die Kosten für die jungen Menschen sind dadurch gering.

Eigentlich wollte Jäger in ein englischsprachiges Land, in Frankreich, wo es schließlich klappte, konnte sie sich mit vielen der anderen Freiwilligen nur auf Englisch verständigen. Dennoch sind zahlreiche Freundschaften entstanden. Viele ihrer Freunde in Österreich, die auch eine Behinderung haben, würden sich einen solchen Einsatz aber nicht zutrauen, erzählt sie. "Schade, denn dadurch lernt man andere Menschen und Kulturen kennen."

Über sich selbst lernen

Auch Kerstin Lintner hat eine Freundin, die eigentlich ins Ausland wollte. Wegen ihrer Zuckerkrankheit meinte sie aber: lieber nicht. "Diabetes sollte aber niemanden davon abhalten, so etwas zu machen", sagt sie kämpferisch. "Wenn man sich davon bestimmen lässt, kann man gar nichts tun." Sie selbst hatte in Kolumbien den gesamten Jahresbedarf an Insulin dabei und auch alles andere, was Menschen mit Diabetes benötigen. Am Ende ging es ihr gesundheitlich viel besser als gedacht - sogar besser als zu Hause, erzählt sie:"Die Blutwerte waren total gut, denn was haben wir dort gegessen? Reis mit Erbsen oder Reis mit Bohnen -das ist sehr gut für Diabetiker." Nicht nur wegen des gesunden Essens würde Kerstin sofort wieder einen Einsatz wagen. "Man lernt auch so viel über sich selbst", sagt sie. "Ich bin viel positiver und zufriedener mit mir selbst zurückgekommen. Ich habe meinen Frieden gefunden."

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