Fremder und Wanderer

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1986 hat Norman Manea Rumänien verlassen, erst mehr als 20 Jahre später kam der jüdische Schriftsteller wieder in sein Heimatland. Und doch ist ihm das Exil bis heute Heimat geblieben.

Er gilt als erfolgreichster lebender Schriftsteller Rumäniens, er überlebte Faschismus und Kommunismus: Bei seinem Wienbesuch Anfang Februar sprach Norman Manea mit der FURCHE über Heimat, Fremde und das Rumänien von heute.

DIE FURCHE: Sie wurden 1936 in der Bukowina geboren. Ihr literarisches Werk kreist hauptsächlich um die ergreifende Geschichte Ihres Lebens unter zwei Diktaturen: Sie waren erst fünf Jahre alt, als man Sie mit ihrer Familie 1941 nach Transnistrien deportierte. Bei der Befreiung aus dieser Hölle waren Sie neun. Sie studierten und arbeiteten als Wasserbauingenieur in Bukarest in der kommunistischen Epoche. Sie begannen zu schreiben und litten unter der rigiden Zensur. Erst 1986 verließen Sie Rumänien. Kann man diese beiden Traumata je wirklich loswerden?

Norman Manea: Es ist jedenfalls nicht leicht, besonders wenn diese so kurz aufeinander folgen. Ich erinnere mich an ein Gespräch mit Imre Kertész, der gemeint hat, er wäre nicht unglücklich gewesen, durch den Kommunismus eine andere Art von Auschwitz erfahren zu haben, weil einige seiner Schriftstellerkollegen, die so wie er ebenfalls in Auschwitz gewesen waren, in der kapitalistischen, freien Welt Selbstmord begangen haben. Kertész erlebte es als eine gewisse Kontinuität in Form einer sehr geschlossenen, totalitären Gesellschaft, wo Terror und Leid vorherrschend waren. Auch wenn man natürlich die beiden Systeme nicht vergleichen darf, denn es war nicht dasselbe. - Aber es ist nicht leicht, das alles zu vergessen und vielleicht soll man es auch nicht vergessen. Man meint, dass man es deshalb nicht vergessen darf, damit sich die Ereignisse nicht wiederholen. Aber die Sachen wiederholen sich sowieso, ob man sie vergisst oder nicht.

DIE FURCHE: In welcher Form wiederholen sie sich?

Manea: Die Geschichte ist zuerst eine Tragödie und dann kehrt sie wieder als eine Farce, sagte Karl Marx. Es ist nie exakt dasselbe, aber es ähnelt einander. Meine frühen dramatischen Erfahrungen waren eine Schule fürs Leben, das ja nicht nur aus Lust und Freude besteht. Ich habe trotz meiner Erfahrungen, hart daran gearbeitet, die gängigen Klischees in meinem Werk zu vermeiden. Denn die Tragödie des Individuums wird im Totalitarismus negiert, verschwiegen. Und sobald man bei Gedenkveranstaltungen von einer kollektiven Tragödie spricht, geht das Individuum erneut verloren.

DIE FURCHE: Wer ist "man“?

Manea: Ich meine diese seelenlose Routine des offiziellen Gedenkens, wobei immer wieder klischeehaft die gleichen Formulierungen heruntergebetet werden. Ich habe in meinen Erzählungen versucht, das Innere der menschlichen Charaktere wiederzubeleben. Bei einer Lesung in Berlin, hat mich ein Besucher voll des Lobes für meine Texte angesprochen. Gleichzeitig hat er mir vorgeworfen, nicht genaue Angaben zu den Figuren zu machen. "Sie sagen uns nicht, wer die Leute sind, ob die Kriminellen Deutsche oder Rumänen sind, oder den genauen Ort des Geschehens.“ Ich habe diesem Herrn erklärt, dass er solche Bücher überall finden könne, davon gebe es genug. Ich versuche etwas Allgemeingültigeres auszudrücken: Sagt man mir nach der Lektüre, genau das sei auch einem Kind in Vietnam widerfahren, in einem dortigen Lager, dann bin ich zufrieden, denn es ist auch dort geschehen. Auch ein jüdisches Kind in Transnistrien hat das Gleiche erlebt. Mir geht es darum die menschliche Tragödie zu beschreiben. Weil ich Jude bin, wollte ich natürlich auch über Juden schreiben, aber nicht nur über Juden.

DIE FURCHE: Sie haben 1986 Bukarest Richtung Berlin verlassen; seit 1988 leben Sie in den USA. Sind Sie als rumänisch-jüdischer Schriftsteller schon in den USA angekommen?

Manea: 1986 war ein wahrer Albtraum, es herrschten Terror und Elend in Rumänien. Als Jude hätte ich aus Rumänien wegfahren können, denn Israel hat die Juden gekauft, 8000 US-Dollar haben sie pro Kopf bezahlt. Auch Deutschland hat seine Bürger herausgekauft, und so hatte Rumänien einen Weg gefunden, sich als offener Staat darzustellen und gleichzeitig auch Geld dafür zu bekommen. Doch ich wollte von meiner Sprache nicht weg, ich habe mich immer als rumänischer Schriftsteller gefühlt, obwohl ich nicht sehr glücklich war. Wohin sollte ich gehen? Ich war immer sehr skeptisch, was Glück und Freude für einen Schriftsteller bedeuten. Denn dieser ist nie sehr glücklich, er kämpft mit sich und der Gesellschaft. Ich suchte mich selbst und wollte nur schreiben, auch unter diesen sehr schwierigen Umständen. Aber 1986 fühlte ich, dass wir an einem toten Punkt angelangt waren und ich wittere auch physische Gefahr. Und wenn das Haus brennt, flüchtet man hinaus, auch wenn man nicht weiß, wo man die nächste Nacht schlafen wird. Diese Situation war damals gegeben.

DIE FURCHE: Sind die USA für Sie nur ein Exil? Sie schreiben immer noch Rumänisch, unterrichten aber auf Englisch.

Manea: Es ist ein Domizil, es ist ein Zuhause und man ist doch nicht zu Hause. Ich habe die Staatsbürgerschaft, ich bin Amerikaner. Weiß man, was das heißt? Als Deutscher weiß man es vielleicht, aber Amerika ist da anders, alle waren oder sind Exilanten, die Situation ist normaler für einen Emigranten. 2008 besuchte ich Rumänien und aus diesem Anlass hat ein rumänischer Kulturkritiker Folgendes über mich geschrieben: "Er ist als rumänischer Schriftsteller weggegangen - und jetzt ist er als jüdischer Schriftsteller zurückgekommen.“ Ich habe lange überlegt, ob er Recht hat, und in gewisser Weise hat er Recht.

DIE FURCHE: Aber diese Bemerkung enthält einen gewissen Unterton?

Manea: Ja, genau und deshalb dachte ich mir, du altes Pferd, hast 75 Jahre gebraucht, um Jude zu werden? Denn mein Status war immer gleich: Ich war in Rumänien ein Fremder, auch wenn ich das damals nicht wahrhaben wollte. Und als Exilant in Amerika ist da eine Kontinuität entstanden. Sie wurde expressiver: Hier sagt man, ich bin Jude, Pakistani, ich bin Araber oder Mexikaner. Aber ich bin, was ich bin: Und das bestärkte meinen Status als Jude, als Wanderer und als Fremden. Ich glaube trotzdem, dass meine Identität und auch die anderer Schriftsteller in der Sprache wurzeln.

DIE FURCHE: Sie haben bedeutende europäische Literaturpreise, wie den Premio Nonino und den Prix Medicis erhalten. Fehlt Ihnen Europa heute noch?

Manea: Ja, in jeder Form, mir fehlen die Städte, die Menschen, das Essen, hier fühle ich mich überall zu Hause, alles ist mir irgendwie näher.

DIE FURCHE: Sie kehren zum ersten Mal auf den Rat Ihrer Schriftsteller-Freunde 1997 nach Rumänien zurück. Hier gehen Sie mutig nochmals alle Ihre Lebensstationen ab und verarbeiten das literarisch in Ihrem politisch-brisanten und berührenden Selbstporträt "Die Rückkehr des Hooligan“. Man spürt die gewisse Bitterkeit, resultierend aus der antisemitischen Verunglimpfung, die Ihnen durch die rumänischen Ultranationalisten zugefügt wurde. Sind Sie heute mit ihrem Geburtsland versöhnt?

Manea: Wie die Amerikaner so schön sagen: You need two for tango - Walzer tanzen kann man nur zu zweit. Die Rumänen sind noch nicht so weit und ich wollte nie zu einem professionellen Kämpfer gegen den Antisemitismus werden. Ich finde Antisemitismus sehr blöd und auch langweilig, es wiederholt sich immer. Wenn es möglich wäre, würde ich ihn gerne vergessen, aber das ist nicht möglich: Denn wenn man sich in der Welt umschaut, sieht es schlimm aus. Ich teile Hanna Arendts Einschätzung nicht, dass der rumänische Antisemitismus der schlimmste in der Welt ist. Ich beobachte einen harten Wettbewerb um diesen Titel. Aber es gibt ihn auch dort, trotzdem freue ich mich, dass Rumänien mit der EU-Mitgliedschaft in eine neue Etappe einsteigt.

DIE FURCHE: Wurden Sie schon offiziell nach Rumänien eingeladen?

Manea: 2008 war ich bei der Buchmesse in Bukarest. Ich bin wie jetzt in Wien häufig Gast der Rumänischen Kulturinstitute in Europa. Aber ich habe nie sehr gute Beziehungen zur Autorität gehabt, weder zur politischen noch literarischen. Es ist noch kein enger Tango, aber es ist der Beginn eines sehr schwachen Walzers.

DIE FURCHE: Ist Ihrer Meinung nach Rumänien schon in Europa angekommen?

Manea: Nein, überhaupt nicht, aber ich hoffe, dass es bald soweit ist. Sie haben gute Voraussetzungen dafür, denn die rumänische Zivilisation war auch immer eine lateinisch geprägte, ausgerichtet nach Frankreich und Italien. Diese Wurzeln sind wichtig, und deshalb hoffe ich, dass bald eine offene, demokratische Gesellschaft entsteht.

* Das Gespräch führte Marta S. Halpert

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