Freundschaft mit sich selbst schließen

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In Zeiten der Selbstoptimierung stehen sich viele Menschen auf der Suche nach einem erfüllten Leben selbst im Weg, weiß die Seelsorgerin Melanie Wolfers. In ihrem Buch "Freunde fürs Leben" beschreibt sie Wege, sich wohlwollend annehmen zu können.

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In Zeiten der Selbstoptimierung stehen sich viele Menschen auf der Suche nach einem erfüllten Leben selbst im Weg, weiß die Seelsorgerin Melanie Wolfers. In ihrem Buch "Freunde fürs Leben" beschreibt sie Wege, sich wohlwollend annehmen zu können.

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Es ist schon paradox: Da wird seit Jahren über eine zunehmend egomanische Gesellschaft geklagt, die außer dem eigenen Vorteil nicht viel in ihrem Fokus habe. Und ausgerechnet da soll das eigene Selbst mit seinen besonderen Bedürfnissen aus dem Blick geraten sein? Tatsächlich erscheint dieser Befund widersprüchlich, doch wie immer ist alles eine Frage der Perspektive.

Melanie Wolfers hat ihren Blickwinkel aus der Begleitung von Menschen gewonnen, die erschöpft, getrieben oder einfach nur suchend sind. 2004 ist die in Deutschland geborene Theologin und Philosophin in Österreich in den Orden der Salvatorianerinnen eingetreten, vier Jahre später hat sie das Projekt "ImPuls-Leben" (www.impulsleben.at) gegründet, das jungen Erwachsenen Angebote zur Sinnfindung, zu spirituellem Leben und sozialem Engagement bietet. Zahllose Gespräche hat die unkonventionelle Seelsorgerin und Beraterin in dieser Zeit geführt - und dabei vor allem eines gemerkt: Wie sehr die gegenwärtige Kultur des Wettbewerbs und des "Ego-Tunings" ein erfülltes, "stimmiges" Leben untergräbt - und wie sehr sich viele Menschen selbst im Weg stehen. Ein Ausweg aus dem Hamsterrad aus überzogenen Ansprüchen und einem "Lebensgefühl des Mangels" wäre es, endlich Freundschaft mit sich selbst zu schließen - und die eigenen Wünsche mit den verspürten Grenzen und den Ansprüchen des Alltags in Balance zu bringen. In ihrem neuen Buch "Freunde fürs Leben" beschreibt Wolfers diese Kunst - nicht ohne jene Stolpersteine zu nennen, die Menschen an einem achtsamen, ehrlichen und wohlwollenden Umgang mit sich selbst hindern.

Im inneren "Raum der Stille"

Es beginnt oft schon mit der Angst vor dem Alleinsein. "Eine Freundschaft mit anderen braucht Zweisamkeit. Eine Freundschaft mit sich selbst braucht Einsamkeit", schreibt Melanie Wolfers. Viele Zeitgenossen würden Stille kaum noch aushalten. Doch erst "in dem Maß, in dem wir -immer wieder neu -den inneren 'Raum der Stille' aufsuchen, werden wir bei uns selbst ankommen". Eine weitere Hürde ist Selbstmitleid: Sich auf das Elternhaus, die Gene oder die Gesellschaft auszureden, kann sehr entlastend sein. Und doch haben wir immer einen Gestaltungsspielraum, so Wolfers. "Wir sind Mitautorinnen und Mitautoren unserer Geschichte". Als dritten Stolperstein hat sie den zunehmenden Zwang zur Selbstoptimierung ausgemacht. Dabei gehört es gerade zum Wesen von Freundschaft, dass nicht Optimierung im Zentrum steht, sondern auch Schwächen Platz haben. An Freundschaften wird deshalb nicht gearbeitet, sie werden "gepflegt". Die eigenen Grenzen (durch Gesundheit, Charakter oder lebensgeschichtliche Prägungen) anzunehmen und als "Umfriedung" des eigenen Lebensraums zu begreifen, würde helfen, mit sich Frieden zu schließen, meint Wolfers.

Wie sich das in der konkreten Lebenspraxis niederschlagen kann? Zum Beispiel schon in einem achtsamen Umgang mit dem eigenen Körper: Die Sensibilität gegenüber Warnsignalen wie Rücken- oder Magenschmerzen gehört ebenso dazu wie maßvolles Essen oder das "Sich gehen lassen" beim Pilgern zu Fuß. Hilfreich sei auch ein bewusst gestaltetes Morgenund Abendritual ("Tagesschau"), eine "Freudenbiografie", in der man sich an schöne Erlebnisse erinnert, oder der Versuch, sich mit der eigenen Vergangenheit zu versöhnen.

Sich selbst ähnlicher werden

Der Friede mit der eigenen Geschichte ist nach Wolfers eine der zwei Hauptquellen für die Freundschaft mit sich selbst. Die zweite ist ein "stimmiges" und engagiertes Leben in der Gegenwart. Was dazu gehört, muss jeder und jede für sich herausfinden. Oft sind es gelungene Beziehungen, das Entthronen eines übereifrigen "Selbstkritikers" - und das Wagnis, entsprechend den eigenen Begabungen die Komfortzone zu verlassen und über sich hinauszuwachsen. Spiritualität wirke zudem entlastend. "Mit sich selbst befreundet sein macht das Leben nicht einfacher und bequemer", schreibt Melanie Wolfers. "Aber es schenkt einen tiefen Frieden und eine beständige Freude, wenn ich morgens in den Spiegel schaue und den Eindruck habe: Ich bin mir selbst ein Stückchen ähnlicher geworden."

Freunde fürs Leben

Von der Kunst, mit sich selbst befreundet zu sein.

Von Melanie Wolfers. adeo 2016.224 S., geb., € 17,50

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