Friede überwindet Gewalt

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Hildegard Goss-Mayr, die am 22. Jänner den 70. Geburtstag feierte, hat die Welt bewegt - von Europa über Lateinamerika und den Philippinen bis nach Afrika.

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Hildegard Goss-Mayr, die am 22. Jänner den 70. Geburtstag feierte, hat die Welt bewegt - von Europa über Lateinamerika und den Philippinen bis nach Afrika.

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Wir lebten lange in meinem Elternhaus. Das stand am Heuberg. Solange unsere Kinder noch bei uns waren, war es schön dort. Aber jetzt wäre es doch mühsam, immer dort hinaufzugehen." Hildegard Goss-Mayr wohnt jetzt in einem Neubau am Fuße des Heubergs im Wiener Vorort Neuwaldegg. Daß die zierliche Frau dieser Tage ihren 70. Geburtstag begeht und neunfache Großmutter ist, sieht man ihr nicht an. Noch weniger, daß sie wahrscheinlich die Österreicherin ist, die weltpolitisch am meisten bewegt hat - noch dazu mit einem radikalen Konzept: der Gewaltlosigkeit.

Die Kämpferin für Frieden und Gerechtigkeit wurde 1979 und 1987 für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen, 1991 erhielt sie in Japan den - beinahe ebenso renommierten - Niwano-Friedenspreis. Dennoch ist sie hierzulande wenig bekannt: "Ich bin halt sehr viel außerhalb Österreichs gewesen", so die fast entschuldigende Replik. Im Vorwort zu ihrem jüngsten Buch Wie Feinde Freunde werden schreibt Kardinal Franz König, durch das Beispiel von Hildegard Goss-Mayr werde gezeigt, "daß Religion, das christliche Welt- und Menschenbild, das Beispiel Christi und seiner Bergpredigt nicht eine politische Utopie, sondern der Weg sein können, um Frieden zu stiften und mit der Abrüstung der Waffen zu beginnen."

NS-Herrschaft und Kalter Krieg Die Spiritualität der Gewaltlosigkeit wurde Hildegard in die Wiege gelegt: Ihr Vater, Kaspar Mayr, gehörte zu den führenden Persönlichkeiten des Internationalen Versöhnungsbundes, der ersten ökumenischen Friedensbewegung. Die Gewalt der NS-Herrschaft und des II. Weltkriegs prägten Hildegard stark. 1953 - sie hatte soeben als erste Frau in Wien sub auspiciis promoviert - wurde sie Mitarbeiterin des Internationalen Büros des Versöhnungsbundes, im gleichen Jahr traf Hildegard Mayr den französischen Friedensaktivisten Jean Goss, den sie fünf Jahre später heiratete: Das Ehepaar Goss prägte jahrzehntelang die globale religiöse Friedensbewegung.

1957, mitten im Kalten Krieg begannen Jean und Hildegard bei offiziellen Friedensveranstaltungen in der Sowjetunion an der "Entfeindung" zu arbeiten. Vater Kaspar Mayr initiierte in dieser Zeit - in der Bundesrepublik wurde die Debatte um die Wiederaufrüstung geführt - die Zeitschrift "Der Christ in der Welt", in der sich katholische Pazifisten wie die Schriftsteller Reinhold Schneider und Friedrich Heer oder der US-amerikanische Mystiker Thomas Merton mit der Gewaltfreiheit Jesu auseinandersetzten.

1959, als in Wien die (kommunistischen) Weltjugendfestspiele stattfanden, die vom nichtkommunistischen Österreich medial boykottiert wurden, engagierten sich Jean und Hildegard Goss dort in zahlreichen Begegnungen zumal mit jungen Leute aus der Dritten Welt. Auch von kirchlichen Bewegungen wie der Katholischen Jugend wurden die Goss' der Kollaboration mit den Kommunisten geziehen. In diesen Jahren arbeiteten Hildegard und Jean auch bei der deutsch-polnischen Verständigung mit; das Engagement ging durch die Jahre weiter - bis in die Entstehungszeit der Gewerkschaft Solidarnos'c' Ende der siebziger Jahre.

Friedenslobby auf dem Konzil Einen bahnbrechenden Beitrag leistete das Ehepaar Goss beim II. Vatikanum: Es war ihnen schon im Vorfeld gelungen, den gefürchteten Exponenten der Konservativen, Kardinal Ottaviani, für eine moralische Verurteilung des Krieges zu gewinnen. Gemeinsam mit Theologen wie Karl Rahner, Yves Congar, Bernhard Häring, unterstützt von Kardinal Augustin Bea (einem der Wortführer der Progressiven) und Kardinal König fand das Anliegen der Gewaltfreiheit Eingang in die Pastoralkonstitution "Gaudium et Spes".

Auf dem Konzil lernten Hildegard und ihr Mann viele Bischöfe der Kirche der Armen aus Lateinamerika kennen - darunter Dom Helder Camara, zu dessen Beratern sie wurden.

Verhaftung in Lateinamerika Seit 1962 fuhren beide immer wieder nach Lateinamerika.Sie hielten Seminare über gewaltfreien Widerstand, ermutigten Basisgemeinden und die gewaltlose Bewegung: 1974 kam es zur Gründung des "Servicio Paz y Justicia - SERPAJ" des kontinentalen Zusammenschlusses dieser Bewegung. Leiter von SERPAJ wurde der Argentinier Adolfo Perez Esquivel - mit ihm gemeinsam wurde Hildegard Goss-Mayr 1977 in Brasilien verhaftet, kam aber nach einer Intervention durch Kardinal Arns von Sao Paulo frei. Adolfo Perez Esquivel blieb inhaftiert, wurde gefoltert: eine internationale Kampagne erreichte 1978 seine Freilassung, 1980 erhielt er für seinen gewaltlosen Kampf der Friedensnobelpreis.

Jean und Hildegard Goss, die auch für die lateinamerikanische Bischofskonferenz Gewaltfreiheitsseminare abhielten, konnten trotzdem Gewalt nicht verhindern. Daß der salvadorianische Erzbischof Oscar Romero, den sie beraten hatten, 1980 ermordet wurde, traf Hildegard Goss-Mayr schwer.

Von den Philippinen bis Madagaskar In den achtziger Jahren verlegte sich das Engagement auf die Philippinen. Ähnlich wie in Lateinamerika regte das Ehepaar Goss mit Seminaren und Überzeugungsarbeit (auch hier bei Bischöfen) gewaltfreien Widerstand gegen das Regime des Ferdinand Marcos an. Die - gewaltlose - Rosenkranz-Revolution 1986 auf den Philippinen gehört zu den spektakulärsten "Erfolgen" der Bemühungen des Ehepaars.

1991 stirbt Jean Goss, Hildegard setzt ihr Engagement allein fort. Hierzulande wenig bekannt ist der gewaltfreie Widerstand auf Madagaskar gegen das Regime Ratsiraka, den Hildegard Goss-Mayr 1991-93 begleitet; auch diesmal gelingt eine breite Bewegung mit Unterstützung der Kirchen des Landes. In den folgenden Jahren bleibt sie im frankophonen Afrika aktiv - von Togo bis Ostafrika: In der Tragödie von Ruanda und Burundi versucht sie, Wege aus der Gewalt zu zeigen: 1998 hält sie in verschiedenen Diözesen Burundis Seminare, an denen sowohl Hutus als auch die verfeindeten Tutsi teilnehmen. Dabei, so Goss-Mayr, erzählen die Teilnehmer zunächst drei Tage lang ihre Lebensgeschichte - und machen die Erfahrung, daß auch dem anderen Leid widerfahren ist. Erst dann wird versucht, gemeinsam zu arbeiten - und ein Netzwerk aufzubauen: Über 100 diesbezügliche Stützpunkte gibt es jetzt schon in allen Diözesen Burundis.

Waffenembargo für den Kongo Afrika bleibt Schwerpunkt von Hildegard Goss-Mayr. Derzeit engagiert sie sich für ein Waffenembargo im Kongo, denn - von der Weltöffentlichkeit weitgehend unbemerkt - findet im ehemaligen Zaire ein brutaler Krieg um Bodenschätze statt. Am 2. Februar 2000 soll ein von Kirchenführern, Friedensnobelpreisträgern und anderen moralischen Autoritäten unterzeichneter Appell an UN-Generalsekretär Kofi Annan für ein Waffembargo vorgestellt werden, auch diesen hat Goss-Mayr mitinitiiert.

Letztes Jahr hat sich Hildegard Goss-Mayr in Österreich für ein Friedensnetzwerk in Österreich eingesetzt, das in der eben begonnenen "UNO-Dekade für Frieden und Gewaltfreiheit" ("Das erste Mal, daß die UNO-Vollversammlung von Gewaltfreiheit spricht!" freut sich Goss-Mayr) aktiv werden soll.

Die Situation der Welt und Europas (vgl. das Gespräch mit Goss-Mayr zum Kosovo-Krieg in Furche 15/99) zeigt, daß trotz des Lebensengagements von Hildegard Goss-Mayr die gewaltfreie Bewegung weit davon entfernt ist, das globale Bewußtsein zu bestimmen. Es bleibt viel zu tun, und Hildegard Goss-Mayr, die heute Ehrenpräsidentin des Internationalen Versöhnungsbundes ist, wird wohl auch als 70jährige nicht müde werden dürfen.

Woher sie ihre Kraft bezieht? Goss-Mayr verweist auf ihre Verwurzelung im christlichen Glauben: "Ich bin überzeugt, daß Gewaltfreiheit eine Uroffenbarung der Menschheit ist." Sie weiß aber auch, daß vor allem die Menschen das Konzept der Gewaltfreiheit tragen können, die ihrerseits von Transzendenz getragen werden - sei es als Christ, Jude, Muslim, Buddhist ...

"Letztlich geht es darum", schreibt Hildegard Goss-Mayr in ihrem wegweisenden Buch Der Mensch vor dem Unrecht. Spiritualität und Praxis - Gewaltlose Befreiung (1976/81), "die gewaltfreie Revolution als humane, dem Menschen entsprechende, schöpferische - weil von Gott geoffenbarte - Form der Überwindung von Unrecht und der Erneuerung der Basis des Gesellschaftslebens zu verwirklichen."

Buchtip WIE FEINDE FREUNDE WERDEN.

Mein Leben mit Jean Goss für Gewaltlosigkeit, Gerechtigkeit und Versöhnung. Von Hildegard Goss-Mayr. 2. Aufl. Verlag Meinhardt Text und Design, Idstein 1999. 184 Seiten, kart., öS 145,-/e 10,54

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