Fromme Anarchisten & die Tücken der Postmoderne

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Anmerkungen zur Entweltlichung: Nach Gregor Maria Hoffs "Reformation Benedikts XVI.“ (FURCHE 39, Seite 19) kommentiert eine Religionswissenschafterin die Freiburger Konzerthausrede des Papstes.

Mit dem Aufruf zur Entweltlichung beschreitet der Papst philologisch einen neuen Weg - der Duden kennt das Wort nicht. Ob er dies auch theologie- und religionsgeschichtlich tut, ist indes fraglich. Wie Gregor Maria Hoff zurecht anmerkt, ist der Aufruf zur Entweltlichung in nuce ein Aufruf zur Reformation, wie er immer wieder im Lauf der Kirchengeschichte laut wurde, wenn die sichtbaren Zeichen der Weltlichkeit sich in den Palästen kirchlicher Würdenträger allzu breit machten. Schon die sozialrevolutionäre Gruppe der Circumcellionen im Nordafrika des 4. Jahrhunderts nahm die Entweltlichung des ihrer Meinung nach der Welt verfallenen Klerus selbst in die Hand: Sie raubten Klöster aus und setzten dem weltlichen Dasein ihrer Insassen durch das Schwert ein Ende. Ähnliches ist über die Dolcinianer im Spätmittelalter zu berichten, sie wollten die Geistlichkeit radikal von weltlichem "Reichtum entblößen“ und diese Bürde gerne selbst tragen. Kundigen wird nicht entgehen, dass die Geschichte der Entweltlichungsbewegungen bemerkenswerte Koinzidenzen mit der Häresiegeschichte aufweist.

"Entweltlichung“ gehört zur Häresiegeschichte

Einer anderen Reminiszenz folgend, und hier begeben wir uns in theologisches Sperrgebiet, geht der Aufruf zur Entweltlichung noch tiefer: Sich zu entweltlichen, an der Welt mit ihren Versuchungen, aber auch ihren Herrschaftsstrukturen so wenig als irgend möglich anzustreifen, ist die tiefste Sehnsucht der spätantiken Gnosis. Ironischerweise hat die katholische Kirche diese Lehre nicht zuletzt dadurch besiegt, dass sie sich Herrschaftsstrukturen zu schaffen verstand, die zwar von dieser Welt, aber eben in dieser Welt sehr nützlich waren. Das Modell einer kleinen Elite radikal Entweltlichter, die die Geschicke der verweltlichten, aber noch irgendwie gläubigen Masse lenkt, hätte Vorteile. Unbequeme Fragen nach laikaler Mitbestimmung oder verheirateten Priestern entfielen - sind sie doch Kennzeichen unzureichender Entweltlichung und disqualifizieren damit für den wahren, zuvor gründlich entweltlichten Dienst an der Welt. Auch dieses Modell hat die Kirche allerdings bereits einmal, in der Auseinandersetzung mit den von der Welt Gereinigten (den Katharoi), verworfen.

Naiver Optimismus, die Welt gestalten zu können?

Bleibt also die Frage, wie eine postmoderne Entweltlichung aussehen kann. Denn, allem scheinbaren Traditionalismus zum Trotz: Mit dem Aufruf zur Entweltlichung kommt die Kirche endgültig in der Postmoderne an. Die Forderungen des II. Vatikanums, ihr Optimismus, die Welt gestalten zu können, wirken heute fast wie der naiv-nostalgische Seufzer aller Pensionisten, dass es früher doch besser war.

Sich den "Ansprüchen und Sachzwängen der Welt“ zu entziehen, sich "des weltlichen Reichtums zu entblößen“ - klingt das nicht schon fast wie ein Postulat des "Schwarzen Blocks“ der Globalisierungsgegner? "Entweltlichung“ ginge gut als Buchtitel für die beiden Thomasse der österreichischen Literatur, Bernhard und Glavinic, durch.

Aber natürlich hat es der Papst nicht so gemeint: Die Mitra darf weiterhin bei der Fronleichnamsprozession in der Sonne glänzen, und dass aus entweltlichten Seminaristen fromme Anarchisten werden, die das Geld des IWF unter die Armen verteilen, ist nicht zu erwarten. Schade irgendwie.

* Die Autorin ist Professorin für Religionswissenschaft an der Kath.-Theol. Fakultät Graz

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