Frühling in der Kirche

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Walter Kirchschläger freut sich im Buch "Christus im Mittelpunkt“ über die Kirchenentwicklung. Bezeichnend, dass er es mit dem Jahrestag der Wahl von Franziskus zum Bischof von Rom datiert.

"Suchen Sie … nach den Prioritätensetzungen, nach dem, was Ihnen religiös wichtig, ja entscheidend gewesen ist in früheren Tagen, fragen Sie nochmals nach den Kriterien von damals und verfolgen Sie den aufgenommenen Faden weiter durch Ihr Leben. Schon die Entwicklung von Theologie und Kirche bringt es mit sich, dass sich dieser Werte- und Prioritätenkatalog verändert hat, biografische Elemente mögen bei der einen oder dem anderen hinzukommen.“

In diesen Sätzen liegt das Programm von Walter Kirchschlägers neuem Buch "Christus im Mittelpunkt“ vor. Veröffentlicht hat er es, nachdem er 2012 nach 30-jähriger Lehrtätigkeit als Professor für Neues Testament an der Universität Luzern emeritierte und dann, am 13. März 2013, von der Wahl Jorge Mario Bergoglios zum Bischof von Rom freudig überrascht worden ist. Zum ersten Jahrestag dieser Wahl hat er nun sein Buch publiziert.

In ihm geht es um eine wiedergefundene Freude am Weg Jesu Christi, eine Freude, die nie abhanden gekommen, aber durch kirchliche Vorgänge in den letzten Jahrzehnten erschwert, verdorben, niedergedrückt worden war. Kirchschläger gehörte zu den wenigen aus Österreich stammenden Theologen, die mutige und klare Worte gesprochen haben in den teils recht dunklen Zeiten, die in den vergangenen Jahrzehnten die Kirche weltweit und auch in Österreich getroffen haben - Stichworte für diese Zeiten sind die Maßregelungen von Befreiungstheologen, die Einsetzung von Bischöfen nicht für, sondern gegen das Kirchenvolk, um es zu disziplinieren usw. Es ist deshalb erfrischend aufrichtig, wenn Kirchschläger schon im Vorwort vom "Kirchenwinter“ spricht, der sich zwischen das Zweite Vatikanische Konzil und die Wahl des "Mannes vom Ende der Welt“ ausgebreitet hat. Kein Wort von der vor allem im deutschsprachigen Raum vielberedeten Kontinuität zwischen Benedikt XVI. und Franziskus, die weder im Stil noch in den Inhalten zu entdecken ist. Die Kontinuität liegt vielmehr zwischen Johannes XXIII., dem II. Vatikanischen Konzil und Franziskus, mit dem es nach dem Winter einer mondänen, narzisstischen Kirche endlich Frühling wird.

Die Überwindung des Kirchenwinters

Im Frühling bricht das Leben ungebändigt hervor. Im Kirchenwinter hütete man ein Museum mit seinen Exponaten, die vielleicht schön sind, aber abgestorben und leblos. Im Frühling revoltiert das Leben und schert sich wenig um die Agenten des Inventars. Die Botschaft des Christentums ist keine für Buchhalter des Wissens und seiner Begriffe, sondern für lebende Menschen mit Aufgaben, Dringlichkeiten und Zeitbezügen, die sie vor Gott, seinen Christus und die Mitmenschen bringen.

Genau das stellt Kirchschläger in seinem Buch vor. Auf etwas mehr als 200 Seiten spannt er einen Bogen von Jesu Leben zu den Geschichten des eigenen Lebens in der Nachfolge Jesu, zur zeitbezogenen Berufung der Kirche, die kein "Wohnzimmerchristentum“ (Zitat von Franziskus) einrichten darf, und schließlich zu Perspektiven der Vollendung - und das alles sammelt er gegen Schluss im Gebet ein als der entscheidenden "Beziehungspflege“ der Menschen mit Gott. Begegnungsgeschichten, wie sie das Johannesevangelium überliefert, rücken Christus ebenso in die Mitte wie der Einsatz des Paulus, von dem Kirchschläger vor allem die Texte aus dem 2. und 3. Kapitel des Philipperbriefes auslegt. Und immer wieder lässt Kirchschläger die einzelnen Schritte seiner Überlegungen wie durch eine Linse auf einen hellen Punkt brennen: Er redet den Leser, die Leserin direkt an und lädt sie durch Fragen ein, die entscheidenden Linien ins eigene Leben zu tragen und mit ihnen zum leben. Um Prioritäten geht es, um entdeckte Aufgaben, und sie haben stets Zeit- und Personbezug. Denn jeder Mensch ist vor die Aufgabe gestellt, die das II. Vatikanum benannt hat: die Zeichen der Zeit zu erfassen und sie im Licht des Evangeliums zu deuten.

Damit lässt Kirchschläger etwas anklingen, was Bischof Franziskus ganz innerlich ist: die ernsthafte Suche nach dem eigenen Weg vor Gott durch ebenso ernsthafte, klare, entscheidungsfähige Erwägungen, wie sie in den Ignatianischen Geistlichen Übungen zentral sind - im Bewusstsein des Sünders, den, wie Franziskus in einer Selbstbeschreibung gesagt hat, "der Herr angeschaut hat.“ Das ist unendlich wichtiger als die lehramtliche Kontrolle der (Nicht-)Übereinstimmung gesprochener Sätze.

Der Frühling hat eben erst begonnen

Eingeladen von Kirchschläger, Prioritäten zu erwägen, sind durch die Lektüre seines Buches ein paar Anfragen entstanden. Eine möchte ich ansprechen: Warum entfällt im Buch das messianisch-apokalyptische Bewusstsein des Paulus, das ihn förmlich "gejagt“ hat? Sein Gejagtsein ist messianisch bedingt: Das Ende steht unmittelbar vor der Tür. Auch dass Paulus unter "Druck“ steht, ist nur sekundär Zeichen seiner Schwierigkeiten mit Gemeinden; es ist wieder Zeichen dafür, dass dieser Messias-gläubige keine Zeit hat. Er denkt nicht auf Jahrzehnte oder Jahrhunderte hin, sondern auf morgen, übermorgen - ein gespannter Messiasgläubiger eben, der im bevorstehenden Zeitenende lebt. Das entspricht auch der angekündigten messianischen Königsherrschaft. Dass diese noch nicht gekommen ist, macht für mich den von Kirchschläger etwas rasch abqualifizierten jüdischen Vorbehalt gegen Paulus verständlich und zur eigenen Sache meines Christentums - Anzeige einer neuen Entwicklung, die bis jetzt im Christentum noch nicht angekommen ist. Denn wie lebe ich christlich aufrichtig damit, dass diese messianische Wirklichkeit geschichtlich nicht real und seit 2000 Jahren offen geblieben ist? Für diese widersprüchliche Not gibt das Buch keine Wegweisung.

Aber: Der Frühling hat eben erst begonnen. Kirchschläger schreibt von ihm, begeistert vom unerwartet neuen Leben nach dem Kirchenwinter und ernsthaft auf dem Weg. Sein Weg mit Christus in der Mitte, den er vorlegt, ist einzigartig, aber nicht einzig. So stößt Kirchschlägers Buch an, den eigenen Weg zu finden, zu gehen und zu bezeugen.

Der Autor ist Professor für Fundamentaltheologie an der Kath. Fakultät d. Uni Wien

Christus im Mittelpunkt

Impulse für das Christsein. Von Walter Kirchschläger. Styria Premium 2013. 216 Seiten, geb., e 19,99

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