"Für alle“ - aber in freier Annahme

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Anmerkungen zu der vom Papst angeordneten Übersetzung "für viele“ - statt wie bisher "für alle“ - in den Einsetzungsworten über den Kelch bei der katholischen Messfeier.

In einem Schreiben vom 14. April 2012 hat sich Papst Benedikt XVI. an den Vorsitzenden und die Mitglieder der Deutschen Bischofskonferenz sowie an die übrigen Bischöfe des deutschen Sprachraums gewandt, um zu erklären, warum er trotz der Bedenken mancher Bischöfe und eines zu erwartenden Widerstands in Teilen der deutschen Kirche an der von ihm verordneten Übersetzung der Kelchworte im Hochgebet der Messe "… das für euch und für viele vergossen wird“ - statt wie derzeit "… und für alle“ - festhält. Diese Änderung soll mit dem überarbeiteten deutschen Messbuch bindend in Kraft treten, nach dem Wunsch des Papstes bereits bei der bald zu erwartenden neuen Ausgabe des "Gotteslobs“. Obwohl er wie in allen Fragen nach geltender katholischer Lehre die Vollmacht hat, solche Entscheidungen allein zu treffen, versucht er doch, sie ausführlich zu begründen, "um einer […] Spaltung im innersten Raum unseres Betens zuvorzukommen.“

Zuerst erklärt er die Entstehung des Problems: "In den 60er-Jahren, als das Römische Missale unter der Verantwortung der Bischöfe in die deutsche Sprache zu übertragen war, bestand ein exegetischer Konsens darüber, dass das Wort ‚die vielen‘, ‚viele‘ in Jes 53,11 f. eine hebräische Ausdrucksform sei, um die Gesamtheit, ‚alle‘, zu benennen.“ Dies bezog man laut den Ausführungen des Papstes damals auch auf das Wort "viele“ in den Einsetzungsberichten bei Matthäus und Markus und übersetzte das lateinische "pro multis“ daher mit "für alle“. Ohne ein sachliches Argument schreibt der Papst dann: "Dieser exegetische Konsens ist inzwischen zerbröckelt; er besteht nicht mehr.“ Er übergeht dabei, dass in Jes 53,6 von der "Schuld von uns allen“ die Rede ist.

Anschließend fährt Benedikt XVI. aber fort: "Die Wiedergabe von ‚pro multis‘ mit ‚für alle‘ war keine reine Übersetzung, sondern eine Interpretation, die sehr wohl begründet war und bleibt, aber doch schon Auslegung und mehr als Übersetzung ist.“ Das wirft natürlich die Frage auf, warum eine ohnehin "begründete Interpretation“ jetzt auf einmal aufgegeben werden muss, obwohl das notwendig den Eindruck erweckt, dass Jesus eben nicht "für alle“, sondern nur "für viele“ gestorben sei. Diese psychologische Wirkung der vorgesehenen Änderung wird sich durch keine noch so guten Erklärungen, dass es Gott dennoch um das Heil für alle geht, vermeiden lassen. Benedikt XVI. führt selbst drei Schrifttexte als Belege dafür an, dass Jesus für das Heil aller Menschen gestorben sei (Röm 8,32; 2 Kor 5,14; 1 Tim 2,6). Warum konnte es dann nicht bei "für alle“ bleiben?

Kein Originalwortlaut Jesu

Diesbezüglich verwickelt sich der Papst in Widersprüche: Einerseits will er die von ihm zuvor für berechtigt erklärte bisherige Kombination von Übersetzung und Auslegung aufheben, andererseits schreibt er: "Auch die einfühlsamste Übersetzung kann die Auslegung nicht ersetzen: Es gehört zur Struktur der Offenbarung, dass das Gotteswort in der Auslegungsgemeinschaft der Kirche gelesen wird […].“ Dennoch heißt es wieder gleich danach: "In diesem Zusammenhang ist vom Heiligen Stuhl (also von ihm; P. W.) entschieden worden, dass bei der neuen Übersetzung des Missale das Wort ‚pro multis‘ als solches übersetzt (Hervorhebung im Original; red.) und nicht zugleich schon ausgelegt werden müsse.“ Der Papst stellt selbst die Fragen: "Hat die Kirche ihre Lehre verändert? Kann und darf sie das? Ist hier eine Reaktion am Werk, die das Erbe des Konzils zerstören will?“ Damit bezieht er sich auf die Lehre des Konzils, dass alle Menschen guten Willens, auch Ungläubige, "der Auferstehung entgegengehen“ (Gaudium et spes, Art. 22).

Anschließend beruft sich der Papst darauf, dass die Kirche "für viele“ sagen müsse "aus Respekt vor dem Wort Jesu, um ihm auch bis ins Wort hinein treu zu bleiben.“ Dabei übergeht er, dass es verschiedene Varianten des Einsetzungsberichtes gibt und wir schon aus diesem Grund gar nicht wissen können, wie Jesus es ursprünglich gesagt haben soll. Die jetzigen Einsetzungsworte sind eine Kombination der Texte bei Mt/Mk mit jenen bei Lk/1 Kor; die Bezeichnung "und ewigen (Bundes)“ wurde überhaupt eingefügt. Aber er geht noch darüber hinaus und gibt selbst eine Auslegung, mit der er die Übersetzung mit "für viele“ inhaltlich rechtfertigen will: "Die vielen tragen Verantwortung für alle. […] Die vielen, die wir sind, müssen in der Verantwortung für das Ganze im Bewusstsein ihrer Sendung stehen. […] Wir sind viele und stehen für alle. So gehören die beiden Worte ‚viele‘ und ‚alle‘ zusammen und beziehen sich in Verantwortung und Verheißung aufeinander.“

Annäherung an die Pius-Brüder?

Diese Auslegung ist aber höchst problematisch. Sie setzt voraus, dass das Heil über die Christen, die Eucharistie feiern, gefeiert haben oder feiern werden, zu allen Menschen gelangen soll, also auch zu jenen, die von Jesus nie etwas hören oder sogar schon vor ihm gelebt haben. Irgendwie bemerkt das auch der Papst, wenn er schreibt: "Wie der Herr die anderen - ‚alle‘ - auf seine Weise erreicht, bleibt letztlich sein Geheimnis.“ Ähnlich hat es auch das Konzil formuliert: "Da nämlich Christus für alle gestorben ist, müssen wir festhalten, dass der Heilige Geist allen die Möglichkeit anbietet, sich mit diesem österlichen Geheimnis in einer Gott bekannten Weise zu verbinden“ (Gaudium et spes, Art. 22).

Es ist zu befürchten, dass der Papst durch seine Entscheidung ohne genügende Rücksprache und Einigung mit den Ortskirchen und ihren Gemeinden sowie mit Fachleuten eine größere Krise auslösen wird. Es drängt sich die Vermutung auf, dass auch diese Maßnahme im Dienst seines Bemühens steht, die Pius-Priesterbruderschaft wieder in die Einheit der Kirche zurückzuholen. Doch dies darf nicht zu anderen und noch größeren Spaltungen in der Gemeinschaft der Gläubigen führen. Allerdings gibt es noch einen wichtigen Gesichtspunkt in dieser Auseinandersetzung, den der Papst nicht erwähnt, obwohl er als Argument für seine Forderung dienen könnte und für die Priesterbruderschaft der eigentliche Grund ist, dass es "für viele“ heißen muss.

Gott zwingt niemanden zum Heil

Das "für alle“ könnte nämlich so verstanden werden, als ob damit eine Garantie gegeben wäre, dass tatsächlich alle Menschen durch die Hingabe Jesu das ewige Heil erlangen werden, also gleichsam automatisch, unabhängig von ihrer Lebensweise und ihrer freien Entscheidung. Dieser Eindruck könnte noch verstärkt werden, wenn man bei Jesus ein göttliches Vorauswissen annimmt, sodass das "für alle“ - wenn er es so gesagt hat - als eine Ansage interpretiert werden könnte, dass alle Menschen das endgültige Heil erreichen. Auch wenn diese Worte als eine Aussage über den Sinn der Lebenshingabe Jesu gemeint sind (nicht über deren Ergebnis), sollte ausdrücklich geklärt werden, dass es sich bei diesem allgemeinen Heilswillen Gottes um ein Angebot handelt, das von den Menschen in Freiheit angenommen werden muss.

Wenn sich also jemand freiwillig auch im Tode noch aus eigener Schuld endgültig dem Willen Gottes verschließt, weil er selbst wie Gott sein will und sich der Liebe verweigert (vgl. Mt 25,41-46), wird er nicht gegen seinen Willen von Gott in seine Nähe und in die Gemeinschaft der Heiligen gezwungen. Das heißt konkret, dass Gott ihn nicht dazu auferweckt, um ihn für immer in eine "Hölle“ zu verdammen. Er bleibt nach einem letzten Sich-Auflehnen tot, denn "wer nicht liebt, bleibt im Tod“ (1 Joh 3,14). Auch wenn man keine Hölle annimmt, in der Menschen ewige Qualen erleiden, besteht die Freiheit und damit die Möglichkeit, das ewige Heil, das Gott "für alle“ will, zu verfehlen.

Daher wäre es besser gewesen, der Papst hätte das richtige Verständnis des "für alle“ dargelegt, als eine Änderung auf "für viele“ zu fordern und damit den Anschein zu erwecken, Gottes Heilswille gelte nicht allen Menschen. Und noch wichtiger wäre es, zu klären, dass der Kreuzestod, den Jesus auf sich nahm, nicht ein von Gott gefordertes blutiges Opfer seines unschuldigen, geliebten Sohnes zur Sühne für unsere Sünden war, sondern die letzte Konsequenz einer nachgehenden Liebe: Gott wollte uns durch Jesus mit der Endlichkeit unseres geschöpflichen Daseins und ihren Folgen versöhnen, damit wir der Sünde an ihrer Wurzel widerstehen können (vgl. Paul Weß, GOTT, Christus und die Armen. Münster 2011 (2. Aufl.), 156-174; im Internet unter: http://www.itpol.de/?p=333).

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