Für alle - die es brauchen

19451960198020002020

Im 21. Jahrhundert wird der Staat nicht auf einer abstrakten Ebene agieren können. Vielmehr wird es um das Erfassen der wesentlichen Bedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger und deren zielgerichtete Umsetzung gehen müssen. Dennoch steht nicht zwangsläufig der Rückbau des Staates im Vordergrund, sondern die Steigerung seiner Leistungsfähigkeit.

19451960198020002020

Im 21. Jahrhundert wird der Staat nicht auf einer abstrakten Ebene agieren können. Vielmehr wird es um das Erfassen der wesentlichen Bedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger und deren zielgerichtete Umsetzung gehen müssen. Dennoch steht nicht zwangsläufig der Rückbau des Staates im Vordergrund, sondern die Steigerung seiner Leistungsfähigkeit.

Werbung
Werbung
Werbung

Im gesamten 20. Jahrhundert steht der Staat für die Einlösung der Ziele von sozialer Gerechtigkeit, staatsbürgerlicher Gleichheit und der Möglichkeit sozialen Aufstiegs. Nicht umsonst hat sich für diese Ära - weit über die sozialdemokratischen Parteien hinaus - der Begriff vom "sozialdemokratischen Jahrhundert" durchgesetzt. Der Staat übernahm die zentrale Rolle der Gestaltung; seitens der Gesellschaft wurde dem Staat diese Rolle nur allzugerne übertragen. Am Ende jahrzehntelanger Bemühungen des Staates steht der "Wohlfahrtsstaat", die politisch-organisatorische Umsetzung eingangs definierter Ziele.

Warum also Korrekturen vornehmen? Warum also in Frage stellen, was sich offensichtlich bewährt hat? Nun, weil im selben Maße wie es zu Verbesserungen der Lebenssituation aller Bevölkerungsschichten gekommen ist, auch die Kritik an dieser Form des Staates zugenommen hat. Eine Kritik, die von unterschiedlichster Seite ansetzt. Da ist erstens eine ökonomische Staatskritik, die angesichts enger werdender Finanzierungsspielräume der öffentlichen Hand die Notwendigkeit von Einsparungen einmahnt. Da ist zweitens eine liberale Staatskritik, die als einen Nachteil des Sozialstaates die Hemmung der Leistungsbereitschaft und der Eigeninitiative der Bürgerinnen und Bürger sieht. Und drittens wird unser Staat von einer "bürgergesellschaftlich" argumentierenden Richtung angegriffen, die Obrigkeitsstaatlichkeit entdeckt haben will und ein Mehr an Wahlfreiheit einfordert.

Das Zusammenwirken dieser Kritik bildet den Ausgangspunkt der aktuellen Debatte um eine Neuordnung der Staatsaufgaben für das 21. Jahrhundert. Es ist dies eine Debatte, der sich die Sozialdemokratie als gestaltende Kraft des 20. Jahrhunderts nicht entziehen will und wird. Die Sozialdemokratie wird sich dabei aber auf keine der angesprochenen Seiten schlagen, sondern vorliegende Staatskritiken ihrerseits einer kritischen Überprüfung unterziehen. So ist der Ruf nach Kostenersparnis - Stichwort "schlanker Staat - zwar wohlklingend, er orientiert sich jedoch zu sehr an betriebswirtschaftlichen Kriterien und blendet soziale Verantwortung beinahe gänzlich aus. So scheint die Forderung nach Leistungsbereitschaft und Eigeninitiative auf den ersten Blick durchaus nachvollziehbar, vergessen wird dabei aber, daß die Voraussetzungen für mehr Leistung und Eigeninitiative ungleich verteilt sind. Und letztlich ist auch die Kritik an der Obrigkeitsstaatlichkeit als - mäßig raffinierter - Versuch der Schwächung des Staates leicht durchschaubar, geht sie doch von der falschen Annahme der klaren Trennung von Staat und Gesellschaft aus. Faktisch übt die Gesellschaft, üben Medien, NGOs und Bürgerinitiativen aber längst eine Kontrollfunktion gegenüber Regierung und Verwaltung aus, die obrigkeitsstaatliches Agieren glücklicherweise verunmöglicht.

Ist die Kritik am jetzigen Staat also völlig ungerechtfertigt? Ist im Staat - salopp gesagt - alles paletti und soll alles so bleiben wie es ist?

Natürlich nicht. Viele Kritiker des Staates treffen mit ihrer Kritik zwar nicht "ins Schwarze", aber sie verfehlen das Ziel zumindest nicht zur Gänze. Selbstverständlich muß der Staat effizienter haushalten, selbstverständlich muß Eigeninitiative stärker gefördert werden und selbstverständlich muß jeder Anflug von Obrigkeitsstaatlichkeit unterbunden werden. Aber genauso selbstverständlich muß die wichtigste Funktion des Staates, die Steuerungsfunktion im Bereich grundlegender Strukturentscheidungen, erhalten bleiben.

Daß der Staat - in der Vergangenheit häufig der Verschwendungssucht geziehen - den ersten Teil der Kritik verstanden und bereits Lernfähigkeit bewiesen hat, zeigt ein Blick auf die Entwicklung des Bundesstellenplanes. Hat sich der Personalstand des öffentlichen Dienstes bis Ende der achtziger Jahre jährlich gesteigert, so ist er seit Beginn der neunziger Jahre rückläufig und weist 1998 mit 222.843 den niedrigsten Stand seit mehr als 30 Jahren auf. Auch der zweite Teil der Kritik wurde wahr- und aufgenommen. Zu strenge Regulative verhinderten und verhindern im wahrsten Sinne des Wortes selbständiges Handeln. Und nicht zuletzt zeigt die wachsende Tendenz zur Einbindung von Bürger- und Interessensgruppen in den politischen Entscheidungsprozeß, daß "Allmachtsphantasien des Staates" längst der Vergangenheit angehören.

Worum soll es also bei einer Neudefinition der Staatsaufgaben gehen? Aus Sicht der österreichischen Sozialdemokratie sicherlich nicht um einen radikalen Kahlschlag alles Staatlichen. Und mit gleicher Sicherheit kann es auch nicht mehr um die Gegenüberstellung von Markt und Staat gehen. Unser Ziel muß ein perfektioniertes Zusammenspiel von Staat, Markt und Gesellschaft sein - mit dem obersten Staatsziel, Strukturen zu schaffen, die allen Bürgerinnen und Bürgern Chancen eröffnen. In dieser neuen "Chancengesellschaft" müssen die Mitglieder der Gesellschaft Partner sein, die bestehende und entstehende Räume selbstverantwortlich nützen können. Daß dabei die Absicherung im "Fall des Falles" nicht vernachlässigt werden darf, versteht sich für uns Sozialdemokraten von selbst.

Auf dem Weg hin zu dieser neuen Partnerschaft, zur Umsetzung dieser "Chancengesellschaft", wird der Staat der Zielorientiertheit und der Treffsicherheit seiner Maßnahmen verstärkte Aufmerksamkeit widmen müssen. Aktionen mit dem Attribut "für alle" wird es dabei nur mehr bedingt geben können. Anstelle dessen werden durch die notwendige Öffnung individuellere Lösungen treten müssen. "Für alle" wird ersetzt werden durch "für alle, die es brauchen". Die Neudefinition der Staatsaufgaben muß damit einer Bündelung der Aufgaben des Staates gleichkommen, die den Mitgliedern der Gesellschaft dort Hilfestellungen bietet, wo sie wirklich gebraucht werden.

Einem Umbau des öffentlichen Sektors, der es ihm ermöglicht, Aufgaben effektiver zu erfüllen, steht die österreichische Sozialdemokratie positiv gegenüber. Mehr noch: wir fordern diesen Umbau vehement ein. Aus unserer Sicht ist dazu aber kein radikaler Rückbau des Staates notwendig, sondern die Wiederherstellung seiner vollen Leistungsfähigkeit durch eine Aufgabenkonzentration.

Der Autor ist Klubobmann der SPÖ.

Zum Thema Ein Relaunch für die Republik? (IV) Mit den Beiträgen von Peter Kostelka und Heide Schmidt findet die Debatten-Reihe über eine Neudefinition der Aufgaben des Staates einen (vorläufigen) Abschluß. Gegebenenfalls werden zu einem späteren Zeitpunkt Personen aus dem nicht-politischen Bereich zu dieser - wie wir meinen - zentralen demokratiepolitischen Frage Stellung beziehen.

Da sich Heide Schmidt - als einzige - erfreulicherweise explizit und durchaus kritisch auf den der Debatte zugrundeliegenden Artikel von Herbert Kohlmaier bezieht, haben wir zentrale Aussagen dieses Textes in einem Kasten herausgestellt. Ebenso können Sie die Kernsätze des letzte Woche erschienenen Artikels von Madeleine Petrovic hier nochmals nachlesen. RM

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung