Für einen neuen Blick auf die Welt

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Die erste Enzyklika von Papst Franziskus bildet die Abrundung der Rundschreiben von Benedikt XVI. Es beschreibt ein wiederzuentdeckendes Licht für die gesamte Menschheit. Eine theologische Einordnung.

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Die erste Enzyklika von Papst Franziskus bildet die Abrundung der Rundschreiben von Benedikt XVI. Es beschreibt ein wiederzuentdeckendes Licht für die gesamte Menschheit. Eine theologische Einordnung.

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Mit der Veröffentlichung der Enzyklika Lumen fidei setzte Papst Franziskus ein Zeichen der Verbundenheit mit seinem Vorgänger. Das päpstliche Rundschreiben bringt ein theologisches Programm, das Benedikt XVI. anhand dreier Enzykliken (Deus Caritas est / Gott ist die Liebe, Spe salvi / Auf Hoffnung hin gerettet, Lumen fidei / Das Licht des Glaubens) konzipierte, zum Abschluss. Als Grundmuster dieses Programms greift er auf die drei theologischen Tugenden Glaube, Hoffnung, Liebe zurück, die sich in den paulinischen Briefen an prominenter Stelle finden: In den ersten Versen des Briefes an die Gemeinde von Thessaloniki (1 Thess 3), der ältesten Schrift des Neuen Testaments, und am Ende des berühmten Hymnus auf die Liebe aus dem ersten Brief an die Korinther: "Für jetzt bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei " (1 Kor 13,13). Diese drei sind für Benedikt XVI. das Bleibende in einer postapokalyptischen Welt, die zwischen Materialismus, Obskurantismus, Relativismus, Indifferentismus, Zynismus und Nihilismus taumelt.

Mit ihnen verbindet er die Vision einer geistigen Sicht auf die Welt, die an der logoshaften, d.h. verstehbaren, sinnvollen, lesbaren Struktur der Welt, der Materie, des Seins festhält. In Lumen fidei heißt es dazu: Das Licht des Glaubens "erleuchtet auch die Materie, baut auf ihre Ordnung und erkennt, dass sich in ihr ein Weg der Harmonie und des immer umfassenderen Verstehens öffnet".

Es gehe um ein Offenbleiben "für die Wirklichkeit in all ihrem unerschöpflichen Reichtum" (Nr. 34) und darum wahrzunehmen, "wie das Sichtbare und Materielle sich auf das Geheimnis der Ewigkeit hin öffnen"(Nr. 40). Dass Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei, nach dem überraschenden Ende des Pontifikats Benedikts XVI. nun als sein Vermächtnis bleiben können, ermöglichte ihm ein brüderlicher Gestus des Nachfolgers.

Keine zwingende Nähe

Entscheidend dabei ist die Geste, aus der nicht zwingend eine besondere theologische Nähe der beiden Päpste abzuleiten ist. Franziskus gab Benedikt die Gelegenheit, in theologischer Weise sein Pontifikat mittels einer Enzyklika abzuschließen, hat selbst jedoch schon lange eine andere Weise des Ausdrucks und ein anderes Format der Kundmachung seiner Botschaften gewählt: Gesten und Predigten. Weltweit werden die Ansprachen, die Franziskus bei den Morgenmessen zum Tagesevangelium hält, gelesen und zitiert. Wenigstens in Zusammenfassungen sind sie am folgenden Tag schon in mehreren Sprachen im Internet zugänglich und erreichen eine Verbreitung, welche die Enzykliken, bislang die päpstlichen Rundschreiben, die auf die größtmögliche Reichweite zielten, nicht erlangen können.

Am auffallendsten sind jedoch die von Franziskus gesetzten Gesten der Menschlichkeit: Bergoglio, der von sich selbst sagt, er sei fast vom Ende der Welt zum Bischof von Rom berufen worden, verlässt das Zentrum der symbolischen Welt des Katholizismus immer wieder, um selbst an die Ränder der gesellschaftlichen Ordnung zu gehen - denken wir nur an die Fußwaschung am Gründonnerstag in einem Jugendgefängnis oder die erste offizielle Reise, die ihn nach Lampedusa führte. In diesen Gesten gibt er eine konkrete Antwort auf eine Frage, welche die Enzyklika Lumen fidei offen lässt.

Der Prolog des Schreibens (Nr. 1-7) beginnt mit einer Reflexion über Christus als "Das Licht des Glaubens" (Nr. 1), welches das Streben des vorchristlichen Kults nach dem Licht und seine Feier des Übergangs von der Finsternis zum Licht aufzugreifen vermochte. Ein wesentlicher Unterschied bestehe jedoch im Ausschluss des Bereiches der Finsternis im heidnischen Kultus: "Auch wenn die Sonne jeden Tag wiedergeboren wurde, verstand man sehr wohl, dass sie nicht imstande war, ihr Licht über das ganze Sein des Menschen auszustrahlen. Die Sonne erleuchtet ja nicht die ganze Wirklichkeit, ihr Strahl vermag nicht bis in den Schatten des Todes vorzudringen, dorthin, wo das menschliche Auge sich ihrem Licht verschließt."(Nr. 1) Es gibt also einen ausgeschlossenen Bereich des Dunklen, des Arkanen, der unzugänglich bleibt. Ja, man könnte sogar sagen, dass die römische Religion, auf die hier angespielt wird (aber dieser Gedanke würde sich wohl auch auf andere Kulte ausweiten lassen), beständig vom Ausschluss eines dunklen Bereiches lebt, demgegenüber sie je neu eine Grenzziehung vornehmen muss. Die christliche Erzählung hingegen universalisiert das Motiv des Lichtes und bekennt Christus als das Licht, das in den Tod und die Unterwelt hinabgestiegen ist. Es handelt sich weder um das Licht, das alle Finsternis vertreibt (also gleichsam um das Phantasma umfassender Erklärung der Welt) noch um ein Licht, das ständig des Ausschlusses des Dunkels bedarf. Vielmehr geht es um ein Licht, das an den Ort der Finsternis geht und jene begleiten möchte, die durch sie gehen oder sich bewusst an ihren Ort begeben.

Sehr schön drückt dies das vorletzte Kapitel der Enzyklika aus, das von der tröstenden Kraft im Leiden spricht: "Der Glaube ist nicht ein Licht, das all unsere Finsternis vertreibt, sondern eine Leuchte, die unsere Schritte in der Nacht leitet, und dies genügt für den Weg. Dem Leidenden gibt Gott nicht einen Gedanken, der alles erklärt, sondern er bietet ihm seine Antwort an in Form einer begleitenden Gegenwart, einer Geschichte des Guten, die sich mit jeder Leidensgeschichte verbindet, um in ihr ein Tor zum Licht aufzutun."(Nr. 57)

In knappen Worten, die wohl einer weiteren Differenzierung bedürften, spricht die Enzyklika dann in Kapitel 2 und 3 davon, dass die Moderne das Licht des Glaubens für eine "Licht-Illusion" oder "ein subjektives Licht" halte oder den Glauben gar "mit der Dunkelheit in Verbindung" bringe. Demgegenüber gälte es heute das Licht des Glaubens wiederzuentdecken (Nr. 4-7). Diesem Anliegen ist die gesamte Enzyklika, die weniger lehrhaften als katechetischen Ton hat, gewidmet. Das wiederzuentdeckende Licht müsse fähig sein, "das gesamte Sein des Menschen zu erleuchten"(Nr. 4), wobei "gesamte" eines der wenigen Worte ist, die im Text durch Kursivierung hervorgehoben sind.

Die Geste als Antwort

Der Versuch, dieses Wort zu verstehen, führt uns genau zu jener Frage, welche die Enzyklika offen lässt, der aber Franziskus eine Antwort in seinen Gesten geben möchte: Wohin muss dieses Licht getragen werden, dass es das gesamte Sein des Menschen zu erleuchten vermag? Wo können heute die Orte sein, an denen das Licht des Glaubens, das "wiederentdeckt werden muss" (Nr. 4-7), in die Finsternis leuchten kann? Wo gibt es Orte, an denen der Glaube einen Beitrag leisten kann, "unsere Gesellschaften so aufzubauen, dass sie einer Zukunft voll Hoffnung entgegengehen"(Nr. 51)?

Franziskus setzt Gesten der Menschlichkeit gerade an jenen Orten, die selbst das dunkle, arkane Moment unserer Gesellschaften sind, die diese Orte - das Gefängnis, die Flüchtlingsinsel - als unzugängliche Enklaven aus sich ausschließen. Er stellt damit Fragen, die sich unserer Gesellschaften zumeist verbergen. Auf Lampedusa fragt er Europa in Gegenwart von Migranten, Frauen und Männern: "Wer hat über all das und über Dinge wie diese geweint?" Wer tritt einer "Globalisierung der Indifferenz" entgegen?

Im Christentum geht es nicht allein um "einen bloß lehrmäßigen Inhalt", sondern darum, "das neue Licht, das aus der Begegnung mit dem lebendigen Gott kommt"(Nr. 40) weiterzugeben. Dieses Licht, so könnte man die Enzyklika aus der Sicht von Franziskus deuten, muss zu einem neuen Blick auf die Welt führen.

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