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Für freiere Sicht der Sexualität
1. Eros und Sexualität sind vitale Grundkräfte des Menschen. Sie sind in sich gut und bedürfen keiner besonderen Rechtfertigung. Die Bibel sieht in ihnen - wie in einem Abbild - die Liebe und die Kreativität Gottes ausgedrückt.
2. Eros und Sexualität erfüllen sich in der Zuwendung zu einem geliebten Menschen. Diese Zuwendung wird ganzheitlich geschenkt und erfahren - mit allen Kräften und Fähigkeiten des Menschen. Sie wird von der Bibel gutgeheißen.
3. Eros und Sexualität haben eine Bedeutung, die über die Biographie der Liebenden hinausgeht, wenn sie neues Leben schaffen und bewahren. Darin nehmen sie teil am schöpferischen Werk Gottes und werden zum Abbild des Schöpfers.
4. Eros und Sexualität erfüllen einen Sinn im Leben der Liebenden, wenn sie sich selbst in der Erfahrung der Lust als vital und lebensfroh empfinden. Lebensfreude bedeutet, mit Lust und Liebe leben zu können.
5. Eros und Sexualität erfahren ihren vollen Sinngehalt, wenn alle drei Bedeutungen erfüllt sind: Liebe -neues Leben - Lust. Das Ideal einer christlichen Ehe vereinigt die drei Bedeutungen und sieht in ihnen ein Symbol der Liebe Gottes.
6. Eros und Sexualität sind allgegenwärtig, in vielen Spielarten und Konstellationen möglich und sinnvoll. Wenn sie als vitale Grundkräfte des Lebens aufbauend und belebend wirken und keines Menschen Würde verletzen, sind sie gut.
7. Das jüdisch-christliche Menschenbild der Bibel geht mit Eros und Sexualität unbefangen um und kennt im Hohen Lied einen dichterischen Lobpreis dieser Kräfte. Gleichzeitig lassen die Strafgesetze des Judentums die Tabus ihrer Zeit erkennen.
8. Entgegen weit verbreiteter Meinung ist das 6. Gebot kein Sexualgebot. Es schützt vielmehr die Ehe und untersagt den Ehebruch. In einer Einengung auf den genitalen Bereich hat die christliche Tradition im 6. Gebot aus einem Ehegebot ein Sexualgebot gemacht.
9. Liebe, Eros und Sexualität sind nicht in erster Linie ein moralisches Thema. Die kirchliche Gewohnheit, diesen Bereich zuerst und vor allem unter dem Aspekt der Sünde zu sehen, hat eine unbefangene Einstellung jahrhundertelang behindert.
10. In den verschiedenen Lebensformen — ob allein, ob in Beziehung, ob in einer Familie lebend - haben erotische und sexuelle Erfahrungen ihren Platz, als Ausdruck der Liebe und in Bespekt vor der Würde des anderen.
11. Im vorehelichen Bereich wird Erotik und Sexualität im Gleichklang mit dem näheren Kennenlernen und der wachsenden Vertrautheit erlebt und erlernt. Der übergangslose Wechsel von absoluter Enthaltsamkeit zu vollem Sexualleben in der Ehe ist fragwürdig.
12. Gleichgeschlechtliche Beziehungen sind nur in dem Maß sittlich abzulehnen, als sie anderen Menschen Leid zufügen oder deren Menschenwürde mißachten. Liebe und Treue verlieren nicht ihren Wert, wenn sie gleichgeschlechtlich erfahren werden.
13. Empfängnisverhütung - nicht die Beseitigung bereits bestehenden Lebens - liegt in der Verantwortung der Partner und ist in erster Linie ein medizinisches, nicht aber ein sittliches Problem von religiöser Bedeutung.
14. Sehr wohl kann es ethisch bedeutsam sein, aus welchen Gründen ein Paar Nachkommenschaft verhindert. Doch gilt das für alle Bereiche menschlichen Handelns und stellt kein spezifisch sexualethisches Problem dar.
15. Das Verbot der Frauenordinati-on ist nicht begründbar mit der Männlichkeit Jesu oder der Apostel, sondern verkürzt das symbolische
Handeln Jesu auf Faktizität und wird sowohl dem Umgang Jesu mit Frauen als auch der Lebenswirklichkeit von Frauen heute in keiner Weise gerecht. .....
16. Das Eheverbot für Weltpriester stammt aus einer leib-, frauen- und sexualfeindlichen Epoche der Kirche und ist nicht in der Bibel begründet. Es ist daher die völlig freie Wahl der Lebensform für Priester wiederherzustellen.
17. Das Gelübde der Ehelosigkeit unter Ordensleuten - Frauen und Männern - hat eine andere Bedeutung. Der Verzicht auf eine bürgerliche Familie zugunsten einer religiö-
sen Familie in völliger Freiwilligkeit steht in alter christlicher Tradition.
18. Kirchenrechtliche Bestimmungen, die dem Evangelium nicht entsprechen und deren Begründung nicht einsichtig ist, verpflichten nicht im Gewissen. Das setzt aber - etwa beim Priesterzölibat - nicht die Verpflichtung zum Respekt vor der Würde anderer außer Kraft.
19. Die Hypothek einer leib-, frauen- und sexualfeindlichen Geschichte wird erst dann bewältigt sein, wenn die Kirche die anstehenden Fragen unter Mitwirkung der Betroffenen im Sinn der Liebesbotschaft des Evangeliums gelöst haben wird.
Der gegenwärtige Lernprozeß der Kirche zu diesem Thema steht unter der Schwierigkeit, daß er von Seiten des kirchlichen Lehramtes zumeist von Männern betreut wird, die oft unter dem Zölibatsgesetz leben. Sowohl die Anliegen der Frauen als auch der Eheleute sind nicht durch konkrete Lebenserfahrungen gedeckt, wenn die kirchlichen Entscheidungsträger über solche Themen beraten. So ist es auffallend, daß vorwiegend Singles an der Festlegung der kirchlichen Lehre über die Familie beteiligt sind.
Der Autor ist
Akademikerseelsorger in Linz und Mitverfasser des „Herdenbriefes.".
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