Für Unsterblichkeit gerüstet?

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Furche Nr. 17, 28 April 1973

Der Regensburger Dogmatik-Professor Joseph Ratzinger beginnt seinen Beitrag für die Oster-Furche 1973 so:

Die Frage, ob es eine Zukunft über den Tod hinaus gibt, hat die Menschen immer von neuem beschäftigt und wird sie wohl auch nie loslassen. Wo das Leben als Leid erfahren wird, kann der Gedanke an ein Fortgehen des Lebens nach dem Tod zum Alptraum werden, wie im Buddhismus und in manchen Formen des Hinduismus. Man war sich dort bewußt geworden, daß der Mensch sich durch sein Werk tief in die Geschäfte dieser Welt verstrickt, so daß er nach seinem Verscheiden gleichsam mit seinen Wurzeln darin haften bleibt.

Die Hinterlassenschaft seines Tuns wirkt fort; er bleibt eingezwängt in die Passion dieser Welt, der er selbst neue Nahrung zugeführt hat; solange diese Hinterlassenschaft seines Tuns, sein "Karman", beiträgt zum Leiden dieser Welt, solange ist er auch selbst nicht frei, solange gehört er irgendwie mit hinein in die Tragödie eines Lebens, das Leid ist. Das Ziel muß also für solche Weltanschauung sein, das Karman, die weiterschwelende Flamme des irdischen Seins zu löschen und so zu versinken im Nirvana, der leidlosen Seligkeit des Ganz-Anderen, das so sehr die Entgegensetzung zu unserem Sein als Leid darstellt, daß es verglichen dazu das "Nichts" heißen muß.

Auch in dieser Sehnsucht nach dem Verlöschen in das Nichts hinein gibt es also wohl, wenn auch ganz verhüllt die Hoffnung auf das Eigentliche, auf Erlösung von dem Sein, das Leid ist. Wenn sich hier die Hoffnung des Menschen als Sehnsucht nach dem Nichts darstellt, so trifft man im übrigen viel häufiger auf die umgekehrte Weise des Empfindens: Der Mensch, der die Gabe des Seins, des Lebens gekostet hat, erschrickt vor dem Nichts, an das der Tod ihn zu stürzen scheint; er versucht, ihm zu entfliehen. Er sehnt sich nach Leben, nach Zukunft [...]

Freilich, wer genauer nachdenkt, wird durchaus gewahr werden, daß auch ihm die vorhin angedeutete Empfindung des indischen Menschen keineswegs einfach fremd ist. Niemand kann sich wünschen, daß es endlos so weitergehe; die Endlosigkeit unseres Alltagslebens ist kein erstrebenswertes Ziel und deshalb kann eine medizinisch hergestellte, Unsterblichkeit für den Menschen und die Menschheit im Grunde nur ein Alptraum sein: Der Mensch ist seelisch nicht zugerüstet für die Unsterblichkeit des Leibes und die Menschheit müßte an den inneren Spannungen zerbrechen, die ihr aus dem Nebeneinander von Generationen erwüchsen, die sich immer schneller voneinander entfernen, abgesehen von den wirtschaftlichen Problemen, die sich auf einer solchen Erde der Alten ergäben: So steht der Mensch vor der Spannung, daß er Unendlichkeit will, aber Endlosigkeit fürchten muß; daß er Zukunft einerseits braucht und andererseits sie nicht ertragen kann. Er müßte also zugleich sterben und weiterleben - vor dieses Dilemma stellt ihn die Komplexität seines Wesens. [...]

Nächste Woche: Furche 1974 über die Juden-Serie der "Krone".

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