Fürchtet Euch nicht. Wählt!

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Österreich wählt am Sonntag seine Abgeordneten zum Europäischen Parlament. Ein Wahlkampf, auf den niemand stolz zu sein braucht, geht zu Ende. Die wesentlichen Themen Europas wurden nicht debattiert.

Stünde es einem zu, man möchte unserer Jugend das ursprünglich biblische, nun das geflügelte Wort von Papst Johannes Paul II. zurufen: "Fürchtet Euch nicht!". Und ergänzen: "Wählt, bitte, wählt!" Doch die Mischung aus Desinteresse an Politik, namentlich internationaler, aus Verdrossenheit über das von hiesiger Politik Gebotene und aus der irrigen Vermutung, kaum etwas am Ganzen ändern zu können, lassen bei der Jugend das Interesse an der für Sonntag angesetzten Wahl der österreichischen Abgeordneten zum Europäischen Parlament auf einen Tiefstwert sinken. Konjunktur hingegen haben Protest und Kritik, womit offenbar die Jugend als nächste Generation von einem anti-europäischen Bazillus angesteckt wurde. Eine gefährliche Infektion.

In den Hitzeschlachten und Grabenkämpfen, die sich die Kandidaten und Parteien zur Europawahl lieferten, gingen Kern und Ziel der Sache unter: Europa.

Widersprüchliches Meinungsklima

Das Meinungsklima unter den Jugendlichen bis zum Alter von 26 Jahren ist, wie das IFES-Institut erhob, offensichtlich widersprüchlich und damit wohl auch sehr österreichisch: Nahezu drei Viertel halten den EU-Beitritt für eine gute Sache, aber nahezu die Hälfte interessiert sich nicht für die Europawahl und beklagt ein Informationsdefizit, dessen Ursache wie üblich überall, nur nicht bei einem selbst vermutet wird. So kann das nicht gelingen. Und der Politik, die sich flächendeckendes Versagen in Kampagnen und Kommunikation vorhalten lassen muss, ist zu bescheinigen, das Thema Europa völlig verfehlt zu haben.

Es war dem französischen Wissenschafter Olivier Louis bei einer der zahlreichen Kongresse dieser Tage in Wien vorbehalten, Klartext zu sprechen: Die Europäische Union bietet eine neue und die modernste Art, Politik zu machen. Die Union hat sich Regeln gegeben, Themen und Ziele gesetzt. Mit gemeinsam entwickelten Methoden erarbeitet sie Kompromisse - was denn sonst? Zudem: Unabhängige Behörden erarbeiten in transparenten Prozessen vernünftige Lösungen. Das mag nicht immer funktionieren, aber ein besseres Verfahren kennen wir nicht. Zudem: Die Union arbeitet mit soft power, nicht mit militärischem Drohpotenzial. Wer in der Union Mitglied ist oder mit ihr kooperieren will, soll Normen erfüllen und Regeln einhalten. Zudem gibt es, dem rechtspositivistischen Grundgedanken der österreichischen Bundesverfassung ganz ähnlich, Verfahren, eben diese Normen und Regeln weiterzuentwickeln.

Was, bitte, ist daran falsch? Nichts, es ist schlicht richtig. Und was, wenn es sein muss, will man mehr? Nichts, denn mehr geht nicht. Unabhängige, offene und vernünftige Verfahren, um korrigierbare Normen und Regeln festzulegen, sind das Beste. Es ist so: Die Europäische Union hat eine neue, die derzeit modernste Art entwickelt, Politik zu machen. Das lässt sich nicht damit widerlegen, dass es erstens nicht immer gelingt, dass es zweitens nicht alle wissen und dass es drittens Missbrauch und Betrug auch dort gibt, wo man sich um Korrektheit, Integrität und Kontrolle bemüht.

Völlige Themenverfehlung

Wäre im Europawahlkampf ernstlich über Europa debattiert worden, hätten die kritischen Befunde besser angesprochen, vielleicht zu einer Klärung vorangetrieben werden können. Etwa die fehlende Zuständigkeit der Union für eine gemeinsame Politik gegen den Terror, für die Forschung, die Umwelt und die Energie. Oder ein gemeinschaftliches Regelwerk zur Gewährleistung von Korrektheit in allen Steuer- und Finanzangelegenheiten. Doch stattdessen äußerten sich die Kandidaten, wohl unter dem Druck des Wettbewerbs und mancher Medien, zu den Nicht-Themen Türkei und Israel, deren Beitritte weder zur Debatte noch am Sonntag zur Wahl stehen. Und es hätte sich trefflich streiten lassen, warum lokale sowie nationale Politiker ein zum Teil so fälschliches Zeugnis ablegen von der Europäischen Union. Jetzt aber ist Wahltag. Und man möchte gerade der Jugend zurufen, sich nicht zu fürchten, sondern zu wählen.

* claus.reitan@furche.at

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