"Fußball ist alles: Tragödie, Jubel, Kampf"

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Österreichs Teamchef Hans Krankl über die Faszination des Fußballsports, Parallelen zur Religion, die mäßigen Erfolge heimischer Mannschaften - und das Phänomen Frank Stronach.

21. Juni 1978: Bei der Fußball-WM im argentinischen Córdoba trifft Österreich auf Deutschland. Es steht 1:1 - bis zum Auftritt von Hans Krankl: In der 66. Minute sorgt er für das 2:1. Nach dem Ausgleich der Deutschen gelingt ihm schließlich in der 88. Minute die Sensation: Krankl versetzt seinen Bewacher - und zirkelt den Ball ins Tor. Erstmals nach 47 Jahren hat das ÖFB-Team seinem Erzrivalen eine Niederlage beschert. Heute trainiert der "Held von Córdoba" selbst die österreichische Nationalmannschaft.

Die Furche: Herr Krankl: Was macht in Ihren Augen die Faszination des Fußballs aus?

Hans Krankl: Fußball ist die interessanteste und faszinierendste aller Sportarten, weil er Menschen auf der ganzen Welt begeistert: junge und alte, reiche und arme, gescheite und dumme. 22 Männer messen sich auf dem Feld - und es ist alles dabei: Tragödien, Jubel, Kampf.

Die Furche: Sie sind nicht nur eine österreichische Fußball-Legende, sondern auch mit dem FC Barcelona 1979 Sieger des Europapokals der Pokalsieger geworden. Worin unterscheidet sich der Fußball in Österreich von dem in Spanien?

Krankl: Kein Vergleich. In Barcelona kommen zu einem Heimspiel 100.000 Menschen, in Österreich höchstens 15.000. Der Fußball in einem Land wie Spanien oder Italien ist fast etwas Heiliges: die Familien, die Massen pilgern dort hin. In Barcelona erscheinen täglich fünf Sportzeitungen, die von jedem Training berichten.

Die Furche: Sie haben Begriffe wie "heilig" und "pilgern" verwendet. Sehen Sie Parallelen zwischen Fußball und Religion?

Krankl: Ich persönlich sehe Parallelen nur im Ausdruck, aber für manche Fußballanhänger ist ihr Verein so etwas wie eine Religion. Es gibt ja den berühmten Ausspruch "Rapid ist eine Religion". In Spanien sagt man auch "Barça es mas que un club", also "Barcelona ist mehr als ein Fußballclub". Es ist zwar übertrieben, dass dort alle Spieler jede Woche vor dem Match in der stadioneigenen Kapelle vorbeischauen, aber was den Glauben betrifft, ist es unter den Fußballspielern anders als bei uns.

Die Furche: Viele Spieler bekreuzigen sich vor dem Anpfiff oder wenn sie eingewechselt werden...

Krankl: Das Bekreuzigen ist mittlerweile eine Modeerscheinung geworden. Aber die spanischen oder italienischen Fußballer, mit denen ich gespielt habe, sind religiös erzogen worden, und ihnen war es ernst.

Die Furche: Werden heute nicht weniger der Fußball oder die Spieler angebetet, sondern der Mammon? Die Spielergagen und die Ablösesummen sind zum Teil exorbitant...

Krankl: Der richtige Fußballspieler und der richtige Fußballfan haben den Mammon nie angebetet. Wie es scheint, ist bei den horrenden Ablösesummen die Spitze überschritten worden. Die Vereine haben einfach nicht mehr soviel Geld. Die 50 besten Spieler der Welt verdienen zwar noch immer sehr viel, aber sie bringen auch sehr viele Zuschauer ins Stadion. Allerdings kann so ein Spieler auch sehr unter Druck geraten: Weil der Fan nicht verzeiht, wenn der Spieler nicht mit Herz Leistung erbringt. Die Zuschauer reagieren da heute viel, viel härter. Das ist aber das gute Recht des Zuschauers. Er bezahlt seine Eintrittskarte, wenn er unzufrieden ist, darf er auch seinen Unmut äußern. Allerdings nur bis zu einer bestimmten Grenze.

Die Furche: Wo liegt diese Grenze?

Krankl: Der Spruch im Fußball war immer ein wenig hart. Aber was heute manchmal geschrien wird, ist nicht mehr lustig. Das möchte ich nicht wiedergeben, schon gar nicht in der Furche. Es gibt die Hooligans, die gar keine Fußballanhänger sind, sondern nur auf den Fußballplatz gehen, um sich die Schädel einzuhauen. Und es gibt Rassisten, die sich am Fußballplatz ausleben wollen. Das sind ganz wenige, aber auf die muss man sehr aufpassen. Es ist unheimlich wichtig, gerade im Fußball Zeichen gegen den Rassismus zu setzen. Die Vereine, die Bundesliga, der ÖFB tun das.

Die Furche: Zurück zum Geld: Was halten Sie davon, dass sich immer mehr Superreiche Traditionsvereine zulegen? Der FC Chelsea gehört einem russischen Geschäftsmann. Und Frank Stronach hat sich die Wiener Austria gekauft...

Krankl: Vielleicht ist das ein amerikanisches Phänomen. Dort ist es gang und gäbe, dass sich reiche Leute einen Eishockeyclub oder einen American Football-Club kaufen. Das muss eine Art Hobby sein. Frank Stronach hat irrsinnig viel Geld in die Austria hineingesteckt, das er nie wieder zurückbekommt. Genausowenig glaube ich, dass Roman Abramowitsch mit Chelsea etwas verdient. Aber diese Leute scheinen soviel Geld zu haben, dass sie sich einen Verein als Spielzeug leisten können. Warum nicht? Daran ist ja nichts Verwerfliches.

Die Furche: In Österreich wird wesentlich weniger Geld in den Fußball gesteckt als in anderen Ländern. Ist das der Grund dafür, dass der heimische Fußball momentan international nicht mithalten kann?

Krankl: Wir sind ein kleines Land und können mit großen Fußballländern niemals mithalten. Es hat eine Zeit gegeben, wo Rapid den AC Milan geschlagen hat, und es hat eine Zeit gegeben, wo Sturm Graz den AS Monaco besiegt hat - aber das waren alles Sternstunden. Dass es in Österreich wieder einmal eine Mannschaft geben kann, die auch viel größere Gegner besiegen kann, ist aber durchaus möglich.

Die Furche: Österreich hatte zeitweise großartige Nationalmannschaften: das Wunderteam der dreißiger Jahre, das Team, das bei der Weltmeisterschaft 1954 den dritten Rang belegte, und nicht zuletzt das Team, das 1978 Deutschland besiegte. Wie kommt es zu einem solchen Auf und Ab?

Krankl: Mein Wunderteam war das 78er-Team. Dass wir nicht immer eine gute Mannschaft haben können, liegt an der Kleinheit des Landes. Es wird nicht immer eine Generation von guten Fußballern geboren.

Die Furche: Aber auch die Niederlande sind ein kleines Land und gehören dennoch zu den europäischen Top-Fußballnationen...

Krankl: Die Niederlande haben schon vor vielen Jahren sehr viel Geld in den Nachwuchs gesteckt. In Österreich gab es nur Lippenbekenntnisse, keiner hat einen Schilling dafür ausgegeben. Erst seit ein paar Jahren wird auf diesem Gebiet anständig gearbeitet. Österreich hat sich immer an Deutschland orientiert, aber auch Deutschland hat die technisch-taktische Ausbildung und die Nachwuchsarbeit vernachlässigt. Natürlich sind die Deutschen nicht so schlecht wie wir, Deutschland ist ein größeres Land und hat große Mannschaften. Aber sie haben andere Ansprüche. Die Deutschen haben den Anspruch, Fußballweltmeister zu werden. Das werden sie nie mehr! Wenn sie kein Glück haben, kommen sie bei den nächsten Bewerben nicht einmal in die Zwischenrunde.

Das Gespräch führte Michael Kraßnitzer.

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