Gartenzwerg schööön

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Konrad Paul Liessmann und die Ehrenrettung des Gartenzwerges.

Der "Kitsch-Mensch", lautete das vernichtende Urteil Hermann Brochs, "ist nicht einer, der minderwertige Kunst erzeugt, er ist kein Nichts- oder Wenigkönner, er ist durchaus nicht nach den Maßstäben des Ästhetischen zu werten, sondern er ist ein ethisch Verworfener, er ist der Verbrecher, der das radikal Böse will. Und weil es das radikal Böse ist, das sich hier manifestiert, das Böse an sich, das als absoluter negativer Pol mit jedem Wertesystem in Verbindung steht, deshalb wird Kitsch nicht nur von der Kunst, sondern von jedem Wertesystem aus böse sein." Der Schriftsteller hat wohl nicht im Traum daran gedacht, wie sehr sich die Wertesysteme seit seinem Tod vor fünf Jahrzehnten geändert haben. "Was lange als Kitsch gegolten hat, bildet nun die Speerspitze des ästhetischen Bewusstseins. Wer gegen den Kitsch heute noch zu polemisieren wagte, machte sich nicht nur des Kulturpessimismus verdächtig, sondern generell des ästhetischen Banausentums", behauptet Konrad Paul Liessmann in seinem jüngsten Buch mit dem programmatischen Titel "Kitsch! oder Warum der schlechte Geschmack der eigentlich gute ist".

Gepolstertes Buch

Wer röhrende Hirsche, Plastikmadonnen mit Beleuchtung, Porzellannegerinnen mit Baströckchen liebt und auch für Gartenzwerge etwas übrig hat, für den ist Liessmanns Buch ein Muss: ein relativ kurzer kulturphilosophischer Essay, der den Ursachen der Begeisterung für Kitsch im Allgemeinen und der Ästhetik der fünfziger Jahre im Speziellen nachgeht. Dem Inhalt entspricht auch die aufwendige Aufmachung: das Cover ist nicht nur pink, sondern auch noch gepolstert - wie das Stammbuch eines Teenagers aus dem Jahr 1985. Viele der zahlreichen farbigen Illustrationen - von Engelsdarstellungen bis Nierentischen ist alles vertreten - bilden Objekte der legendären Ausstellung "Kitsch und Kult" ab, die vor fünf Jahren in der Wiener Alpenmilchzentrale gezeigt wurde. Für diese Schau schrieb Liessmann auch den Text, der allerdings erst jetzt erscheinen konnte. Seiner Gültigkeit tut dies keinen Abbruch.

Die Stuttgarter Kulturwissenschafterin Franziska Roller hat ein Modell der drei Ebenen des Geschmacks aufgestellt. Ebene Eins: Schön ist, was vergnügt, angenehme Gefühle erweckt, was Gemütlichkeit und Wohlbefinden suggeriert, kurz: der schlechte Geschmack der Ungebildeten und Unkultivierten. Hier ist unter anderem der Kitsch angesiedelt, den Roller definiert als "Entwendung von Formen und Sujets, die der Hochkultur zuzurechnen sind und nun verzerrt, verniedlicht und banalisiert erscheinen". Man denke nur an Familienfotos in goldenen Plastikrahmen oder Nofretete als Schlüsselanhänger. Auf Ebene Zwei ist der Bildungsbürger zu Hause. Er liebt nur, was als kulturell hochstehend und geschmackvoll gilt. Der weit unter seinem Niveau befindliche Kitsch ist ihm ein Gräuel und mit Theodor W. Adorno doziert er: "Eines der Momente von Kitsch, die als Definition sich anbieten, wäre die Vortäuschung nicht vorhandener Gefühle und damit deren Neutralisierung sowohl wie die des ästhetischen Phänomens." Auf Ebene Drei tummeln sich jene, die genau wissen, was gemeinhin als guter und was als schlechter Geschmack gilt - nur um lustvoll gegen diesen Wertekanon zu verstoßen und gerade das schön zu finden, was schlecht und niveaulos ist. Und dies durchaus mit dem Habitus der Ebene Zwei: So haben Pierre & Gilles mit ihren schwülstigen Tableaux und Jeff Koons - seine vergoldete Porzellanfigur von Michael Jackson und dessen Schoßäffchen erzielte unlängst bei einer Auktion einen immensen Preis - Eingang in die Welt der Kunst gefunden.

Liessmann, ohne auf Roller Bezug zu nehmen, sieht in der Kitschbegeisterung des ausgehenden 20. und frühen 21. Jahrhunderts "eine sublime Rache an den Zumutungen der Moderne". Denn der Bannstrahl der Moderne mit ihren Prinzipien Vernunft, Kritik, Abstraktion, Distanz machte das Ausleben vieler Sehnsüchte, sofern man sich zum Kreis der Gebildeten zählte, unmöglich. "Wer sich, wie augenzwinkernd auch immer, zu den Schönheiten des Kitsches bekennt, hat einen Weg gefunden, das zu genießen, was die radikale Moderne und die politische Aufklärung ihm verweigern wollten: Gegenständlichkeit, plakative Gefälligkeit, sinnliche Religiosität, sentimentale Stimmungen, Sonnenuntergänge, den C-Dur-Akkord, den Endreim, die Tränen des Glücks und eine ungebundene Lust am Exotischen", bringt Liessmann die nunmehrige Salonfähigkeit des Kitsches auf den Punkt.

Zeit der Unschuld

Als Exempel dient ihm die Formensprache der fünfziger Jahre, die in "Kitsch!" so reichhaltig dokumentiert ist. Diese Ästhetik stand bis vor kurzem unter dem Verdacht, durch die Affirmierung einer heilen Welt an der Verdrängung des Nationalsozialismus beteiligt und damit gewissermaßen die Prolongation der faschistischen Ästhetik gewesen zu sein. Dies bestreitet der Wiener Philosoph: Im Gegensatz zu den "geometrischen Körpern und agressiven Kolonnen, den monumentalen Quadern und abgezirkelten Lichtdomen" der Nazis dominierte in den fünfziger Jahren "das Runde, das Geschwungene, das leicht Asymetrische, das Harmlose". "Überall Kurven, Bauchiges, Schwingendes. So als sollte die böse Zackigkeit von Hakenkreuz, Hitlergruß und SS-Rune durch die Gnade von Käfer, Muschel, Niere vergeben und vergessen werden." (Karl Markus Michel) Es war eine Zeit der Unschuld, so Liessmann, in denen die technische Zivilisation noch als unbeflecktes Glücksversprechen erscheinen konnte: Die Fahrer der Vespa und des Puch 500 ahnten noch nichts vom kommenden Verkehrsinfarkt, die Freude über die aufkommenden Selbstbedienungsläden wurde noch nicht durch das getrübt, was später als "Konsumterror" gegeißelt werden sollte, die Euphorie über unzerstörbare Kunststoffe wusste noch nichts vom Problem der Entsorgung und eine neue Bademode wurde ohne Zynismus nach dem Ort einer Atombombenexplosion benannt: Bikini.

Kitsch! oder warum der schlechte Geschmack der eigentlich gute ist

Von Konrad Paul Liessmann.

Christian Brandstätter Verlag, Wien 2002, 80 Seiten, 80 Abb., e 21,50

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