Geblieben und GsiberGer geworden

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Es ist Freitagabend, das Hafengelände am Bodensee füllt sich mit Menschen. Orientalische Musik tönt aus dem Festzelt, darüber der Schriftzug "Unser aller Ländle". Im Zelt reiht sich ein Stand an den nächsten: Afrikaner, Aleviten, Bosnier, Serben, Marokkaner, Türken, Tschetschenen oder Polen sind nur einige der 16 hier vertretenen Kulturregionen.

Hinter der Bude des alewitischen Kulturzentrums Vorarlberg steht Ethem Sahin. Der 46-Jährige mit den grau melierten Locken schenkt Getränke aus und bereitet flink einen Döner nach dem anderen zu. "Wir pflegen nicht nur Glaube und Kultur, sondern helfen auch Jugendlichen in Vorarlberg beruflich weiter", betont Sahin. Wegen seiner eigenen Biografie ist das dem Unternehmer ein besonderes Anliegen.

Sahin kam als Zwölfjähriger aus einem anatolischen Dorf nach Vorarlberg, sein Vater fand Arbeit am Bau. Heute führt er eine Verputz-Firma und beschäftigt 20 Mitarbeiter mit türkischem, bosnischem und deutschem Migrationshintergrund. Der Weg zum Erfolg war steinig. Eine Lehrstelle zu finden gestaltete sich trotz Sahins Ehrgeiz im Vorarlberg der Achtziger Jahre als schwierig. Schließlich konnte er seinen Traum verwirklichen und sich selbstständig machen.

Jeder kennt jeden

"Weil im Montafon jeder jeden kennt, habe ich mit den Ämtern keine Probleme mehr", sagt er. "Wenn man sich persönlich kennenlernt, kann man Missverständnisse und Vorurteile klären." Viele Vorarlberger Kommunen beschäftigen sich schon lange mit Integrations-Themen, denn Migranten gibt es dank der Industrie auch in den kleine Orten. "Die Stimmung auf lokaler Ebene ist weniger ideologisch aufgeladen, da werden pragmatische Lösungen gesucht", weiß Eva Grabherr, Geschäftsführerin der Projektstelle "Okay. Zusammen leben" für Zuwanderung und Integration in Vorarlberg. Von diesem unaufgeregten Zugang könnten auch die Landes- und Bundespolitik lernen.

Inzwischen honorieren die Vorarlberger Sahins Erfolg. In seinem 3000-Seelen-Dorf im Montafon durfte er sogar zehn Jahre lang Funkenzunftmeister sein. Eine große Ehre, ist doch das Funkenfeuer zur Vertreibung des Winters ein jahrhundertealter alemannischer Brauch. Sein Erfolgsrezept: "Man darf nicht nur fordern, sondern muss auch geben. Zeigt man Willen, ist vieles möglich."

Wenn der Obmann Diskussionsveranstaltungen für den alewitischen Kulturverein organisiert, lädt er auch Vertreter der FPÖ ein. "Es wäre falsch, sie auszuschließen, weil wir die Probleme gemeinsam lösen müssen", erklärt Sahin. "Sie sitzen im Landtag und wir wollen ja im Gegenzug auch eingeladen werden."

Außerhalb von Vorarlberg wird der dreifache Familienvater, der mit einer Einheimischen verheiratet ist, wegen seines Dialekts längst als Vorarlberger identifiziert, nicht mehr als Türke. Sahin muss jetzt schnell weiter, denn gleich kommt ÖVP-Landeshauptmann Markus Wallner zur Eröffnung des dreitätigen interkulturellen Fests ins Zelt. In Zeiten des Wahlkampfs sind die Migranten eine umworbene Zielgruppe. Auch vor der Merkez Moschee in Bregenz teilen Wahlkampfhelfer Kulis, Zuckerln und andere Wahlgeschenke aus.

Anders leben als die Mutter

Welcher Partei sie ihre Stimme geben wird, weiß die türkischstämmige Aysel Demir noch nicht genau. Die 36-Jährige mit dem Kopftuch lebt bereits in der dritte Generation im Ländle. "Als unsere Familie in den Sechzigern hierher kam, waren wir sehr uninformiert. Wir haben keine Beratungsstelle aufgesucht", erinnert sie sich, "aber wahrscheinlich hätte es öffentliche Unterstützungs-Angebote noch gar nicht gegeben".

In ihrem Heimatort Feldkirch hat sie sich nie ausgegrenzt gefühlt. Zu den religiösen Festen haben die Demirs und ihre Nachbarn einander immer eingeladen. Als Jugendliche wurde ihr klar: "Ich will ein anderes Leben führen als meine Mutter, die als Analphabetin kaum Chancen hatte." Demir besuchte als erste Migrantin die Fachschule der Kreuzschwestern. Sie wurde Krankenschwester, ging in den Pflegebereich und arbeitet nun im Bildungshaus Batschuns als pädagogische Mitarbeiterin im Bereich der interkulturellen Altenarbeit.

Das christliche Bildungshaus bemüht sich schon seit den Achtzigerjahren um eine gelingende Integration und den interreligiöser Dialog. Im Haus gibt es sowohl eine türkische, säkulare Muslima als auch eine bosnische, religiöse Muslima und eine türkische, religiöse Muslima. Die Bilder der Mehrheitsgesellschaft würden da schnell durcheinander kommen, sagt Christian Kopf, Leiter des Bildungshauses Batschuns: "Das war für viele eine neue Erfahrung, dass es sowohl liberale Muslimas mit Kopftuch gibt als auch konservative ohne Kopftuch."

Als Kopftuchträgerin kennt auch Demir schiefe Blick. "Deswegen habe ich keine Stelle in einem Krankenhaus gefunden und musste in die Pflege wechseln." Wenn sie an der Supermarkt-Kassa steht, reden die Leute öfter über sie - wohl in dem Glauben, sie würde kein Deutsch verstehen. "Wenn sie mutmaßen, ob ich zum Kopftuch tragen gezwungen werde, frage ich im Dialekt zurück:'Ist es Ihre freie Entscheidung, dass Sie diese Haarfarbe haben?'" Dann sind viele erstmal sprachlos.

Zehn Prozent der Vorarlberger Bevölkerung sind muslimisch. "Die Mehrheitsbevölkerung ist den Türken gegenüber am kritischsten", weiß "Okay. Zusammen leben"-Leiterin Grabherr. Wegen der hitzig geführten Integrationsdebatte wurde die Landespolitik früh aktiv: Dornbirn beschloss als erste österreichische Stadt 2002 ein Integrationsleitbild. "Wir sind weggegangen von der bloßen Migranten-Beratung und haben Strategien entwickelt, wie wir als Mehrheitsgesellschaft unsere Systeme fit für Migranten machen", erklärt Grabherr. Vorarlberg ist stolz darauf, dass das Integrationsleitbild von allen Parteien mitgetragen wird, auch von der FPÖ. Die Bedeutung der frühen Sprachförderung hat man hier schon 2006 erkannt, bevor das Thema bundespolitisch aufgegriffen wurde. Mit der türkischstämmigen Grünen Vahide Aydin hat Vorarlberg seineerste Landtags-Abgeordnete mit Migrationshintergrund.

"Die Vergangenheit wird viel zu rosig gesehen und die Gegenwart zu schwarz", meint Grabherr. Schon im 19. Jahrhundert waren die Trentiner, die in die Vorarlberger Industrieregionen zogen, mit ähnlichen Vorurteilen konfrontiert wie Migranten heute: Sie würden den Einheimischen die Arbeitsplätze wegnehmen. Als nächste Gruppe wanderten Südtiroler zu, nach dem Zweiten Weltkrieg folgten Kärntner und Steirer. Sie galten vielerorts als "windig", hatten es nicht leicht, wenn sie in Vorarlberger Familien einheiraten wollten. In den Neunzigerjahren kamen Menschen aus Ex-Jugoslawien und schließlich aus der Türkei.

Dass viele Deutsche, auch aus dem ehemaligen Osten, stärker nach Vorarlberg immigrieren, ist ein jüngerer Trend. Früher arbeiteten sie hauptsächlich im Gastgewerbe, heute findet die Vorarlberger Wirtschaft qualifizierte Fachkräfte in Deutschland. Der Schwabe Stefan Schlenker kam vor 25 Jahren als Musikpädagoge nach Dornbirn und arbeitet inzwischen als Kinderclown und Kabarettist. Seine Karriere hätte er in Deutschland so nicht aufbauen können, ist Schlenker überzeugt. Er mag an Vorarlberg, dass man hier Dinge schnell umsetzen kann. "In Wien weiß man ja noch gar nicht, dass es uns gibt, und für die Schweiz sind wir ein übrig gebliebener Kanton - also machen wir hier unser eigenes Ding", erklärt der 50-Jährige. "Ich kann ins Rathaus gehen und zum Bürgermeister sagen:'Ich habe eine Idee!' Die muss dann gar nicht die Hierarchien durchlaufen, sondern da heißt es schnell: 'Probieren wir das doch!'" Diese kleinteiligen Strukturen schätzt er: "Man kennt immer wen, der wiederum wen kennt, der einem weiterhilft".

Lieber "Piefke" als Wiener

Sein Dasein als Deutscher im Ländle hat Schlenker zum Thema seines Kabarett-Programmes "Ein Piefke in Voradelberg" gemacht. Er fühlt sich aber als solcher sehr willkommen, es sei denn, es findet gerade eine Fußball-Europameisterschaft oder -Weltmeisterschaft statt. "Man gehört hier bald einmal dazu. Die Vorarlberger haben einen Piefke noch immer definitiv lieber als einen Wiener", sagt er schmunzelnd.

Das Wort "mögig" beschreibt für Schlenker Land und Leute am besten: "Wenn etwas mögig ist, kann man es gern haben." Genauso "mögig" findet er Vorarlberg: Liebenswert und gemütlich. "Wenn ich über die Dornbirner Messe schlendere, ist es zwar jedes Jahr genau das gleiche, aber man bleibt alle paar Meter stehen, weil man jemanden trifft, den man kennt." Das liebt er an Vorarlberg: "Provinziell" im besten Sinne.

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