Gebremster Aufbruch

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Eine Bilanz des Jubeljahres beinhaltet nicht nur die großen Gesten des Papstes: Trotz deren Symbolkraft fällt die Standortbestimmung der katholischen Kirche ambivalent aus (siehe auch Seite 6 und 7).

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Eine Bilanz des Jubeljahres beinhaltet nicht nur die großen Gesten des Papstes: Trotz deren Symbolkraft fällt die Standortbestimmung der katholischen Kirche ambivalent aus (siehe auch Seite 6 und 7).

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Ein eindrückliches Zeichen bildete den Abschluss des Jubeljahres - wie schon die 379 Tage zuvor voller Zeichen gewesen waren: Der greise Papst schloss mit dem Bronzetor der Heiligen Pforte von St. Peter die Feiern, die den Übergang vom zweiten ins dritte christliche Millennium markiert hatten. Viele Berufe, Berufungen und Lebenswelten - zuletzt am 5. Jänner die Kinder - begingen eigene Heilig-Jahr-Feiern in Rom, daneben kamen Diözesanwallfahrten, Gruppen - weltumspannend, generationenübergreifend, berufsüberschreitend: als ob die Globalisierung von heute auf der 2000-jährigen Tradition einer Großkirche fußte - in allen Ecken der Erde vertreten, vernetzt, vereint.

Auch wenn die katholische Kirche bei weitem nicht überall in Blüte steht, zeigte das Jubiläumsjahr einmal mehr ihre Globalität. Kaum eine andere Religionsinstitution, schon gar kaum eine andere christliche Gemeinschaft hat die Organisationskompetenz und jahrhundertelange Erfahrung, ihre Glaubensüberzeugung öffentlich so darzustellen.

Die zentral-universale Verfasstheit der katholischen Kirche, die an sich schon den Medienbedürfnissen der Zeit entgegenkommt, kulminiert in der Gestalt des gegenwärtigen Papstes, der das Jubiläum 2000 - für alle Welt sichtbar - unter dem unbändigen Einsatz seiner schwindenden Kräfte vorantrieb. Die Zeichen und Gesten, die er setzte, waren berührend und werden im Gedächtnis bleiben: wie Johannes Paul II. beim großen Schuldbekenntnis für die Verfehlungen der "Söhne und Töchter der Kirche" in Rom das Kreuz umarmte; wie er wenige Wochen später in Yad Vashem um die ermordeten Juden trauerte und an der Klagemauer um Vergebung bat; wie er unter den Millionen Jugendlichen im römischen August den Glauben feierte ...

Die Medienwelt, die auch von der Personalisierung lebt, hat in Johannes Paul II. einen Weltstar. Und die katholische Kirche verfügt mit ihm über den globalen Zeugen. Das ist kein Widerspruch, und dieser Papst wusste gerade im Jahr 2000 diese Fähigkeiten im Sinne seiner Botschaft zu vereinen.

Die Zeichen, auch die Lebenszeichen, sind das eine. Die Standortbestimmung der römischen Kirche nach dem Ende des Jubiläums fällt aber trotz aller Symbolkraft ambivalent aus.

Schon die geistige und geistliche Macht, die Johannes Paul II. für seine Kirche bedeutet, entpuppt sich als Ohnmacht in der Realität (kirchen)politischer Verhältnisse: Die Pilgerfahrt zu den Spuren Abrahams in den Irak war wegen des weiter schwelenden Golfkriegs nicht möglich. Heute - wenige Monate nach seiner Wallfahrt nach Israel und Palästina - könnte der Papst auch das Heilige Land nicht mehr besuchen, sein Friedenswunsch verhallte ungehört. Und an der Reise nach Athen, dorthin, wo Paulus wirkte, hinderten ihn die ökumenischen Verwerfungen zwischen der Orthodoxie und Rom.

Doch nicht nur äußere Bedingungen lassen die Bilanz der Jahrtausendfeier zwiespältig erscheinen. Die Kraft, mit der sich Johannes Paul II. dem Jubiläum widmete, ging in der katholischen Kirche einher mit der Erstarrung des Systems und mit großen Widersprüchen: Das Heilige Jahr war auch ein Jahr der Kontroversen unter Christen; die von vielen als "apostolischer Kuhhandel" empfundene gleichzeitige Seligsprechung der Päpste Pius IX. und Johannes XXIII. oder die weltweit zahlreiche Kritik an der Erklärung "Dominus Iesus" sind Beispiele für diesen Befund.

Ein Blick in die Ortskirchen des deutschen Sprachraumes, die nach Beurteilung vieler prominenter Katholiken (von Kardinal König bis zum früheren Stuttgarter Bischof Walter Kasper, der heute an der Kurie tätig ist, und der Diesbezügliches in der Jesuiten-Zeitschrift "Stimmen der Zeit" äußerte) viel zu sehr am Gängelband der Zentrale hängen, fördert Bewegendes nur bedingt zu Tage.

Johannes Paul II. fordert in seinem jüngsten Schreiben "Novo millennio ineunte" (vgl. Seite 16/17 dieser furche) zwar zur Gemeinschaft innerhalb der Kirche auf: Wenn aber Kirche hierzulande uneins ist - die Bischöfe untereinander, das Volk, einzelne Bischöfe und das Volk (man denke nur an die jüngsten Auseinandersetzungen in Salzburg), dann können kaum jener Aufbruch und jene Hoffnung erreicht werden, zu denen der Papst im zitierten Dokument aufs Neue ermuntert.

Neben den großen Zeichen für die Welt muss es im kleinen Alltag der Kirche genug Raum zur Entwicklung geben - und Rahmenbedingungen, die nicht bloß aus Abgrenzungen bestehen. Um ein Beispiel zu nennen: Nicht nur die anderen christlichen Kirchen sind in der letzten Zeit von römischen Aussagen zur Ökumene irritiert. Auch Katholiken, die den Dialog seit langem voran treiben, werden entmutigt, wenn ökumenische Selbstverständlichkeiten (etwa dass man auch protestantische Gemeinschaften als "Kirchen" bezeichnet) auf einmal geleugnet oder theologische Knochenarbeit mit wenigen Federstrichen zunichte gemacht werden.

Beispielsweise haben Theologen verschiedener Kirchen seit fast zwanzig Jahren substanzielle Annäherungen im Verständnis der Eucharistie erreicht, die aber von Rom nicht akzeptiert wurden. Im Gegenteil: "Dominus Iesus" oder - auf ortskirchlicher Ebene - die Äußerungen des Salzburger Erzbischofs im jüngsten Konfliktfall machen solche Errungenschaften von Jahren kaputt.

Johannes Paul II. spricht in seinem Schreiben "Novo millennio ineunte" auch davon, dass ein "wechselseitiges Zuhören von Hirten und Gläubigen" notwendig ist. Zur Zeit kann gerade auf weltkirchlicher Ebene von derartiger Kommunikation, die auf Gegenseitigkeit beruht, keine Rede sein.

Post festum - das Jubeljahr ist vorbei - sollten sich die Katholiken dieser Diagnose nüchtern stellen. Und mit neuer Knochenarbeit beginnen, diesen untragbaren Zustand zu ändern.

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