Geburt des zweiten Adam

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Weihnachten im Licht der Bibel: Warum die hellenistische Inkulturation des Christentums relativiert werden sollte.

Gott(-Sohn) ist Mensch geworden, damit wir vergöttlicht werden", schrieb der alexandrinische Kirchenlehrer Athanasius. Dies ist der zentrale Inhalt der ostkirchlichen Erlösungslehre, die damit die Bedeutung des Weihnachtsgeschehens aussagen will. Auch bei uns ist dieser Satz immer öfter zu hören; vielleicht deshalb, weil die abendländische Auffassung von der Erlösung durch einen Sühnetod Jesu Christi am Kreuz allmählich aufgegeben wird (den Ostkirchen blieb sie fremd). Die griechischen Kirchenväter wollten mit ihrem Verständnis von Jesus Christus keine neue Lehre entwickeln, sondern waren überzeugt, die Bibel richtig zu interpretieren. Sie merkten nicht, wie sehr sie von ihren hellenistischen philosophischen Voraussetzungen geprägt waren und mit ihrer Auslegung ungewollt den Sinn der Schrift veränderten.

Im Prolog des Johannesevangeliums (Vers 14) steht nicht, dass Gott Mensch wurde, sondern "das [göttliche] Wort ist Fleisch [Mensch] geworden". Mit diesem "Wort" ist kein eigenes (zweites) göttliches Wesen gemeint, sondern in feierlicher, hymnischer Weise wird damit das Sprechen und Wirken Gottes ausgedrückt (vgl. etwa die Redeweise: "Das Wort des Königs ergeht an sein Volk"). Ähnlich spricht das Alte Testament ehrfürchtig von der Weisheit Gottes, als ob sie eine eigene Person wäre, "die an deiner [Gottes] Seite thront" (Weisheit 9,4). Die griechischen Kirchenväter hingegen verstanden entsprechend der hellenistischen Philosophie unter dem "Wort" (griechisch: "Logos") ein eigenes von Gott stammendes Mittler-Wesen, das sie mit Jesus Christus gleichsetzten. Von diesem wurde dann im Konzil von Nizäa (325) definiert, dass er nicht nur gottähnlich, sondern gottgleich sei (vgl. im Großen Glaubensbekenntnis: "Jesus Christus, ... wahrer Gott vom wahren Gott ...").

"Fleischwerdung" des Wortes

Zu dieser Identifikation des Wortes (Logos) mit Jesus Christus kam es auch deshalb, weil maßgebliche griechische Theologen unter "Fleisch" anders als die Bibel nicht den ganzen Menschen in seiner Hinfälligkeit verstanden, sondern entsprechend dem hellenistischen Leib-Seele-Dualismus nur den Leib. Daher fassten sie die "Fleischwerdung" des Wortes Gottes als "Inkarnation" ("Im-Fleisch-Werden") einer zweiten göttlichen Person auf (vgl. im Glaubensbekenntnis: "... hat Fleisch angenommen ..."). Jesus Christus war für sie der dem Gott-Vater wesensgleiche Gott-Sohn in einem menschlichen Leib. Später wurde zwar allgemein anerkannt, dass er auch eine menschliche Seele gehabt haben muss, aber die irreführende Redeweise, mit dem Namen des "Menschen Christus Jesus" (1 Timotheus 2,5) zugleich eine (zweite) göttliche Person zu bezeichnen, wurde beibehalten; wobei im Konzil von Chalkedon (451) definiert wurde, dass derselbe Christus "in zwei Naturen unvermischt" und "ungetrennt" sei. Dagegen besagt der Vers 14 des Prologs: Gott hat auf menschliche Weise gesprochen, sein Wort erging durch einen Menschen. Vom göttlichem Wort war auch in den Versen 9 bis 13 die Rede, also: "Es [das Wort] war das wahre Licht ... Es [statt: Er] war in der Welt ..." und so fort.

Der Erstgeborene von vielen

Ebenso ist "die Herrlichkeit ... voll Gnade und Wahrheit" (im Vers 14) die des "einzigartigen" oder "einzig stammenden" Wortes, das vom Vater-Gott ausgeht, also nicht eine "des einzigen Sohnes". Das ist eine unrichtige Übersetzung des griechischen Begriffs "monogen\0xEAs" (dieser bedeutet "einzig in seiner Art oder Abstammung", nicht "einzig geboren" oder "Sohn"), die von der späteren Theologie bestimmt ist, in der das göttliche Wort mit dem biblischen "Sohn Gottes" gleichgesetzt wurde. In der Bibel ist mit Christus als "Sohn Gottes" nicht ein innergöttlicher Sohn gemeint, sondern seine einzigartige Verbundenheit mit Gott, seine Erwählung und Sendung als Messias. Auch als solcher ist er nicht der einzige Sohn, sondern der "Erstgeborene von vielen Brüdern [und Schwestern]" (Römer 8,29).

Um das Wort geht es auch im folgenden Teil des Prologs. Im Vers 17 wird Jesus Christus genannt, weil durch ihn "die Gnade und die Wahrheit" (des Wortes) erschienen sind. Dabei wird Jesus in Parallele zu Mose gesetzt, durch den das Gesetz gegeben wurde. Im Buch Exodus wird schon von Mose gesagt, dass er für seinen Bruder Aaron (4,16) und für den Pharao (7,1) Gott sein werde. Wenn Gott nach dem jüdischen Glauben schon in und durch Mose so wirkt, dass dieser für andere Gott "ist" (nicht in realer Identität), dann gilt das im Neuen Testament erst recht von Jesus Christus. In diesem Sinn kann Thomas ausrufen: "Mein Herr und mein Gott" (Johannes 20,28).

Von einer Vergöttlichung oder einem realen Gott-Sein eines Menschen ist also weder bei Mose noch bei Jesus die Rede. Gott bleibt auch für Jesus Christus der Größere (Johannes 14,28), an den er geglaubt und dessen Willen er erfüllt hat. Jesus lehnt es ab, sich als "gut" bezeichnen zu lassen, denn: "Niemand ist gut außer Gott, dem Einen" (Markus 10,18). Er unterscheidet zwischen dem einzigen wahren Gott und sich selbst als dem, den Gott gesandt hat (Johannes 17,3). Er hat sich am Kreuz von Gott verlassen gefühlt, aber sich ihm anvertraut und auf ihn gehofft. Christus, "der [von Gott!] Gesalbte", ist der "Erstgeborene der ganzen Schöpfung" (Kolosser 1,15) - also selbst Geschöpf - und der "Anführer und Vollender des Glaubens" (Hebräer 12,2).

Jesus als der zweite Adam

Als wichtiges Argument für die Lehre, dass Jesus Christus schon in der Bibel ein Name für den Menschen Jesus und Gott (eine zweite göttliche Person) sei, wird oft der Philipperhymnus angeführt (Philipper 2,6-11). Doch der grundlegende Vers 6 dieses Textes wird meist nicht richtig wiedergegeben, so auch in der Einheitsübersetzung, wo steht: "Er [Christus Jesus] war Gott gleich, hielt aber nicht daran fest, wie Gott zu sein." Nach dem griechischen Urtext müsste es heißen: "Kommend in Gestalt Gottes, hielt er es nicht für ein Raubgut, wie Gott zu sein."

Dieser Satz und der ganze Hymnus lassen sich viel besser so verstehen: Jesus kam in Gestalt Gottes, das heißt als sein (Ab-)Bild oder als der zweite Adam (vgl. Römer 5 und 1 Korinther 15), wollte aber im Gegensatz zum ersten Adam es nicht als einen Raub an sich reißen, wie Gott zu sein, sondern entäußerte sich und wurde den Menschen in ihrem Sklavendasein (als Folge ihrer Sünden) gleich, gehorsam bis zum Tod am Kreuz. Darum hat Gott ihn über alle (anderen) erhöht. Im Vers 10 muss es richtig heißen: "damit alle ... ihre Knie beugen im [nicht: vor dem] Namen Jesu". Christus ist der Herr "zur Ehre Gottes, des Vaters", der durch ihn sein Reich errichtet. Aber am Ende "wird auch er, der Sohn, sich dem unterwerfen, der ihm alles unterworfen hat, damit Gott ist alles in allem" (1 Korinther 15,28).

Menschwerdung als Gnade

Wenn in biblischer Sicht nicht von Jesus Christus als einem Gottmenschen gesprochen werden kann, dann noch weniger von einer Vergöttlichung des Menschen durch ihn. "Vergöttlichung" ist kein biblischer Begriff. Wenn den Gläubigen verheißen wird, dass sie "an der göttlichen Natur Anteil erhalten" (2 Petrus 1,4), dann bedeutet dies, dass wir von und in Gott leben (vgl. Apostelgeschichte 17,28), aber nicht, dass wir wie Gott sein werden. Vergöttlichung ist auch nicht das Ziel der menschlichen Sehnsucht. Wir sehnen uns nach einem erfüllten und für immer vollendeten Mensch-Sein in Gemeinschaft, das nur Gott uns schenken kann. Falls wir es erhalten (ansatzweise schon jetzt), sind wir selig und fühlen uns "unendlich" glücklich.

Wenn Mystiker meinen, in solchen Augenblicken Gott selbst begegnet zu sein, dann halten sie die scheinbare Unendlichkeit einer erfüllt erlebten Endlichkeit versehentlich für eine reale, göttliche Unendlichkeit. Wir können nur Gottes Nähe erfahren. Er selbst ist und bleibt nicht nur unbegreifbar (das sind wir uns selbst auch), sondern darüber hinaus das uns umgreifende, unzugängliche Geheimnis, das "kein Mensch ... je zu sehen vermag" (1 Timotheus 6,16). Nur "anzielend" können wir von ihm sprechen, indem wir die Erfahrungen unseres vorgegebenen Daseins auf ihn hin (rück-)deuten.

Ein Geschöpf kann weder Gott sein noch (wie) Gott werden, auch nicht in einer nachträglichen, "übernatürlichen" Erhöhung aus Gnade. Eine solche zu empfangen, dazu fehlt ihm als begrenztem Wesen die Kapazität; die Vergöttlichung bliebe ein Fremdkörper wie ein auf einen Wildling "aufgepfropftes" Edelreis. Nach dem Schöpfungsbericht sind wir nicht Gottes Ebenbild, sondern sein Abbild (wörtlich: Statue). Gegen Gottes Gebot "wie Gott werden" zu wollen, wozu die Schlange die Menschen verführt (Genesis 3,5), gilt als die Sünde schlechthin, die den Tod bringt. Die Bibel verheißt keine Gottwerdung des Menschen, sondern die Vollendung seiner Menschwerdung als Gnade. Die Erlösung durch Jesus Christus bedeutet, dass in ihm und durch ihn die Menschenfreundlichkeit Gottes erschienen und voll wirksam geworden ist. In seinem Leben und seiner Liebe wurde sie so erfahrbar, dass auch uns der Glaube möglich wird, "zusammen mit ihm ... gerettet" zu werden (Epheser 2,5). Jesus ist der neue oder zweite Adam, das wahre Abbild Gottes. In der Pastoralkonstitution des Zweiten Vatikanums (Art. 41) wird diese Sicht formuliert: "Wer immer Christus, dem vollkommenen Menschen, folgt, wird auch selbst mehr Mensch."

Weihnachten neu bezeugen

Wenn das Christentum die Synthese des biblischen Glaubens mit dem griechischen Geist wäre, wie Papst Benedikt XVI. meint, dann wären Christus selbst und die Judenchristen noch keine Christen im vollen Sinn gewesen. Um der Wahrheit willen und auch für das Gespräch mit dem Judentum und dem Islam sowie mit anderen Religionen und Weltanschauungen wäre es dringend nötig, dass die christlichen Kirchen wieder neu an die bleibend grundlegende neutestamentliche Sicht von Jesus Christus und seiner Sendung als Messias anknüpfen und die hellenistische Interpretation der Bibel als eine bestimmte, aber nicht unfehlbar gültige Inkulturation des Christentums relativieren (ohne in einen Relativismus zu geraten; vgl. Furche 38/2006, S. 10). So könnten sie die Bedeutung von Weihnachten auch für kritische Menschen besser bezeugen: die Geburt Jesu Christi als Beginn einer Gemeinschaft von durch ihn erneuerten Menschen, die auf eine endgültige Vollendung von und in Gott hoffen.

Der Autor ist Dozent für Pastoraltheologie an der Kath.-Theol. Fakultät der Universität Innsbruck.

Buchtipps:

Bekenntnis statt Dogma. Kriterien der Verbindlichkeit kirchlicher Lehre (Quaestiones disputatae 163)

Von Hans-Joachim Schulz, Verlag Herder, Freiburg 1996, 421 S. kt. Euro 38,10

Glaube zwischen Relativismus und Absolutheitsanspruch. Beiträge zur Traditionskritik im Christentum. Von Paul Weß, mit einer Antwort von Hans-Joachim Schulz. Lit-Verlag, Münster 2004. 224 Seiten, kt. Euro 20,50

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