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An diesem Sabbat hören Beter in der Synagoge die Zehn Gebote -schon wieder. Am ersten Februarwochenende wurde die Passage aus dem Buch Exodus (20,1-14) vorgetragen; nun ist im Tora-Lesezyklus der später entstandene Text aus Deuteronomium (5,6-18) an der Reihe. Die beiden Versionen weisen theologische Unterschiede auf, etwa beim vierten (nach christlicher Zählung dritten) Gebot: den Sabbat zu halten. Die frühere Quelle bezieht sich auf den Schöpfungsbericht. Der Mensch ehrt Gott durch Nachahmung, indem er am siebten Tage ruht (Ex 20,11). Im Verlauf der biblischen Geschichte rückte dann der Auszug aus Ägypten als zentrales Motiv in den Vordergrund. Mit dem Sabbat wird daher Gott als Befreier geehrt (Dtn 5,15).

Die inhaltlichen Unterschiede spiegeln sich auch in der sprachlichen Form der Gebote. Im Buch Exodus spricht Gott, "Gedenke des Sabbats", in Deuteronomium "Achte auf den Sabbat". Dort wechselt im Dekalog die Sprecherrolle: Zunächst spricht Gott selbst, dann jemand anders über Gott (Dtn 5,10-11). Für frühere Interpreten, die von einem einzigen, von Gott offenbarten und daher widerspruchsfreien Text ausgingen, waren diese Unterschiede erklärungsbedürftig. Im Talmud (Shevuoth 20b) heißt es, Gott habe gleichzeitig die hebräischen Worte für "Gedenke" und "Achte auf" gesprochen. Auch der Wechsel in der Sprecherrolle lässt sich aufklären: Nachdem die Israeliten zunächst Gottes Stimme hörten, waren sie so voller Furcht, dass Moses als Mittler die weiteren Gebote sprach (Dtn 5,20-24).

Was sind diese Erklärungsversuche für uns moderne Leser, die um die Entstehung der Tora aus verschiedenen Quellen wissen? Wortklauberei? Exegetische Kreativität? - Eher ein Zeichen der Ehrfurcht vor dem heiligen Text und seinem Autor, und des Respekts für den Ruhetag. Schabbat schalom!

Der Autor ist Wissenschafter am Institut für Jüdische Theologie der Universität Potsdam

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