Gedenktag für die Moderne

19451960198020002020

Ob der "Bloomsday" nicht doch in den kirchlichen Kalender aufgenommen werden sollte? Vielleicht als eine Art "Gedenktag für die Ambivalenz der Moderne"?

19451960198020002020

Ob der "Bloomsday" nicht doch in den kirchlichen Kalender aufgenommen werden sollte? Vielleicht als eine Art "Gedenktag für die Ambivalenz der Moderne"?

Werbung
Werbung
Werbung

An einem 16. Juni gibt es nicht viel zu bedenken. An Ereignissen, die sich an diesem Tag zutrugen, stechen der Start zum ersten Weltraumflug einer Frau 1963 und ein Hochsprungweltrekord 1978 hervor. Geboren wurde unter anderen Stan Laurel, gestorben ist Wernher von Braun. Im kirchlichen Kalender steht nichts Spektakuläres. Ein ganz normaler Tag. Oder? Der 16. Juni ist "Bloomsday", benannt nach Leopold Bloom, der Zentralfigur jener Odyssee, die James Joyce in seinem Roman "Ulysses" auf über tausend Seiten an einem einzigen Tag, am 16. Juni 1904, in vierundzwanzig Stunden ablaufen lässt.

Es ist kein besonderer Tag, an dem Bloom seine Irrfahrt durch das moderne Leben bestreitet. Es ist ein All-Tag im strengen Sinn des Wortes, weil sich an ihm einfach alles erfahren lässt. Das ganze Leben an einem Tag.

C.G. Jung war der Meinung, die Welt des Leopold Bloom sei hoffnungslos, "weil sie durch ewig wiederholte Allerweltsalltage dahinrollt". Diese Hoffnungslosigkeit mündet in den Narrentanz des Zynismus. Hinter der Wiederholbarkeit aller Dinge steht die Austauschbarkeit von allem und jedem, ein untrügliches Kennzeichen dafür, wie weit das alltägliche Leben von der Logik des Geldes bestimmt ist.

Ein ganz anderer Blick auf den jeweils heutigen Tag begegnet im Evangelium. Dort ist der Alltag in den Sinnhorizont des Reiches Gottes eingezeichnet. Seht die Vögel unter dem Himmel, seht die Lilien auf dem Feld, heißt es im Evangelium nach Matthäus (6,26ff), sie arbeiten nicht und Gott ernährt sie doch. Darum sorgt nicht um den morgigen Tag, denn das Morgen wird seine eigenen Sorgen haben. Ob der "Bloomsday" nicht doch in den kirchlichen Kalender aufgenommen werden sollte? Vielleicht als eine Art "Gedenktag für die Ambivalenz der Moderne"?

Der Autor ist Oberkirchenrat der Evangelischen Kirche A.B.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung