Gefährliches Wort "Unterschicht"

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In Deutschland findet eine aufgeheizte Debatte zum Stichwort "Unterschicht" statt. Diese Auseinandersetzung provoziert auch die Kirchen, Stellung zu nehmen. Wolfgang Huber, Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland, meldet sich zu Wort. Ein Gespräch über Religion in Gesellschaft und Politik sowie den (Zu-)Stand der Ökumene.

Die Furche: Was ist der Ort von Religion in der Politik?

Bischof Wolfgang Huber: Religion hat nicht mehr wie in früheren Jahrhunderten die Funktion, dass sie der Legitimation der politischen Ordnung dient. Religionsfreiheit bildet die Grundlage des Gemeinwesens, der demokratische, freiheitliche Rechtssaat ist die Heimstatt aller Bürgerinnen und Bürger unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit. Trotzdem behält Religion eine öffentliche Bedeutung, und das gilt selbstverständlich auch für den christlichen Glauben. Und deswegen nehmen christliche Kirchen ihre öffentliche Verantwortung auch gegenüber dem Staat wahr, und sie tun es insbesondere und überall dann, wenn grundlegende Fragen der Menschenwürde und der Menschenrechte und der persönlichen Freiheit zur Debatte stehen, Parteinahme für diejenigen, die nicht für sich selber sprechen können, ist ein wichtiges Thema.

Die Furche: Welchen Fragen sehen Sie da vordringlich?

Huber: Die Situation von Menschen am Anfang und am Ende des Lebens hat da hervorragende Bedeutung, Armutsentwicklungen, auch Ausgrenzungsprozesse sind Vorgänge, zu denen die Kirchen auch in Zukunft nach meiner festen Überzeugung in Europa nicht schweigen werden.

Die Furche: In Deutschland erlebt ja gerade der Begriff "Unterschicht" eine Renaissance ...

Huber: ... er erlebt keine Renaissance, sondern wir haben jetzt seit zwei Wochen eine etwas angeheizte Diskussion über das Wort "Unterschicht", und mein ganzes Bestreben ist, dass die Diskussion über das Problem, das zugrunde liegt, nicht durch die Erregung über ein Wort verschluckt wird.

Die Furche: Ausgerechnet die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung hat das angefangen ...

Huber: ... die Friedrich-Ebert-Stiftung hat nicht "Unterschicht" verwendet, sondern ein neues Kunstwort: "Prekariat". Prekäre Lebensverhältnisse sind das Thema, und ein Politiker, Kurt Beck, hat das Ganze ins Deutsche zu übersetzen versucht und zwar mit "Unterschicht". Unterschicht ist aber nicht das Thema, sondern Armut. Der Begriff der Unterschicht hat tatsächlich etwas Gefährliches, weil er Menschen festlegt auf eine vermeintlich unabänderliche Situation. Genau das ist es, was wir als Christen gar nicht zulassen dürfen. So verzweifelt und perspektivlos die Situation eines Menschen auch sein mag, wir haben die Pflicht, ihn niemals definitiv auf diese Situation festzulegen, sondern wir sehen ihn im Licht der Gnade Gottes als einen Menschen mit ungeteilter Würde. Wir haben daher die Pflicht, das Unsre immer zu tun, um ihn zur Teilnahme am gesellschaftlichen Leben zu befähigen.

Die Furche: Thema Ökumene: Beobachter konstatieren da eine starke Verlangsamung zwischen katholischer und evangelischer Kirche.

Huber: Die Ökumene zwischen römisch-katholischer und evangelischer Kirche hat in den letzten Jahrzehnten wichtige Fortschritte gemacht. Es ist gerade einmal sieben Jahre her, dass wir am Reformationstag 1999 die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre in Augsburg unterzeichnet haben. Dieser Meilenstein hat uns dazu genötigt, dass wir uns Themen zuwenden, die in den letzten Jahrzehnten noch nicht so in den Fokus geraten sind - und diese Themen haben mit den bleibenden Unterschieden zwischen uns zu tun. Wenn man bleibende Unterschiede feststellt und sich mit ihnen auseinander setzt, dann kann ich daran keinen ökumenischen Rückschritt sehen, sondern einen Schritt zu mehr ökumenischer Wahrhaftigkeit, zu mehr ökumenischem Mut. Und wenn man an diesen Beispielen sieht, dass wir so schnell nicht ganz zusammenkommen werden, haben wir auch der Gesellschaft gegenüber eine Verpflichtung zu erklären, was uns weiterhin trennt.

Die Furche: Was ist eigentlich das Ziele der Ökumene?

Huber: Auf diese Frage kommt alles an: Welche Art von Einheit stellen wir uns vor? Da sagen wir von evangelischer Seite denjenigen, die da vielleicht noch Zweifel haben könnten: Eine Rückkehr-Ökumene ist es nicht, was wir als Lösung des ökumenischen Problems ansehen können, sondern es wird immer eine Einheit in Vielfalt sein, es wird immer den Charakter einer versöhnten Verschiedenheit tragen. Darum geht auch unterschwellig der Streit: Was ist eigentlich das Einheitsmodell der Zukunft?

Die Furche: Es gibt auch Befürchtungen, die katholische Kirche und die Orthodoxie könnten auf Kosten der Evangelischen zusammenrücken.

Huber: Wenn es zwischen der römisch-katholischen Kirche und den orthodoxen Kirchen wirkliche Fortschritte gibt, dann haben wir keine Gründe, uns davor zu fürchten, sondern da haben wir Gründe, das zu begrüßen. Denn das ist auch eine große historische Aufgabe. Freilich muss man hoffen, dass das nicht zu Lasten von Überzeugungen geht, von denen wir meinen, dass sie für die römisch-katholische Kirche genauso wichtig sein müssen wie für uns: Die haben zu tun mit der Würde der einzelnen Person, mit der Mündigkeit des Menschen, mit einem kritischen Wahrheitsbewusstsein. Da beobachten wir in der Tat sehr aufmerksam, welche Töne im Dialog zwischen der römisch-katholischen Kirche und den Orthodoxen zu bemerken sind.

Die Furche: Wie geht es Ihnen da mit der Person des Papstes?

Huber: Papst Benedikt XVI. hat die ökumenische Aufgabe - und zwar nicht in einer Einschränkung auf die Beziehung zur Orthodoxie - zum Primat seines Pontifikats erklärt. Da haben wir allen Grund, dies dankbar zu akzeptieren. Er hat in verschiedenen Äußerungen gezeigt, wie wach er auch Impulse aus der reformatorischen Theologie aufgenommen hat. Gerade bei seiner letzten Reise nach Bayern hat er die Botschaft von der Rechtfertigung des Menschen allein aus Gnade an verschiedenen Stellen sehr nachdrücklich betont. Zugleich glaube ich, dass diejenigen nicht recht hatten, die angenommen haben, seine Art der Sorge für die Einheit der römisch-katholischen Kirche selber hätte sich nun gewandelt. Insofern ist der Charakter einer beharrenden Art der Leitung seiner Kirche durchaus weiter zu verspüren. Und deshalb habe ich nie zu denjenigen gehört, die schnelle ökumenische Fortschritte für wahrscheinlich gehalten haben.

Das Gespräch führte Otto Friedrich.

Scharfsinniger Anwalt der Evangelischen

Nicht immer steht ein Intellektueller an der Kirchenspitze; Wolfgang Huber, seit 2003 Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland, also der oberste kirchliche Repräsentant der Evangelischen in Deutschland, gehört zu den ebenso scharfsinnigen wie engagiert eloquenten Anwälten der Sache der Christen in seinem Land. Ob seine widerständige, auch die Muslime in die Pflichte nehmende Sicht des Islam, sein Plädoyer für die Familie und den Religionsunterricht (der in seiner Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz immer noch politisch umkämpft ist), seine Interventionen zu Gesellschaftspolitik, Bioethik, Ökumene oder Kirchenreform: Wolfgang Hubers Stimme hat in den verschiedensten Auseinandersetzungen in Deutschland Gewicht. -

Der heute dreifache Familienvater wurde 1942 in Straßburg geboren und wuchs in Südwestdeutschland auf. Er studierte Theologie in Heidelberg, Göttingen und Tübingen. 1980 wurde er Professor für Sozialethik in Marburg, 1984 nahm er die Professur für Systematische Theologie in Heidelberg an; in den Jahren 1983 bis 1985 war er zusätzlich Präsident des Deutschen Evangelischen Kirchentages. Seit 1994 ist Wolfgang Huber Bischof der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg, zu der seit 2004 auch die schlesische Oberlausitz gehört.

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